© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Todesfest
Nachruf auf Giuseppe Sinopoli
Hans-Jörg von Jena

Man kann sagen, man sei dabeigewesen. Und wünscht sich, man hätte es nicht erlebt. Giuseppe Sinopolis Herz versagte so jäh und unerwartet, daß in Berlins Deutscher Oper erst allmählich Fassungslosigkeit um sich griff.

Freitag, 22.03 Uhr. Man hatte "Aidas" wehmütiges "Mai più" (Nie wieder) noch im Ohr, mit dem Aida sich eingesteht, sie werde ihr Vaterland nicht wiedersehen. Und soeben hatte sich das Duett bewegend leise ausgesungen, in dem die Liebenden ihre – sie ahnen es – aussichtslose Flucht beschließen. Auf einmal, in die Generalpause hinein, ein lautes, unangenehmes Poltern im Orchestergraben. Der Dirigent lag am Boden. Sänger eilten zur Rampe, mit schreckgeweiteten Augen sprangen Musiker auf. Das Licht im Saal ging an, der Vorhang schloß sich, zögernd erhob sich das Publikum. André Schmitz, seit Götz Friedrichs Tod amtierender Intendant des Hauses, sprach ein paar beruhigende Worte und bat, im Foyer zu warten. Ein paar Minuten später erklärte er die Vorstellung für abgebrochen. Als sich herumsprach, Sinopoli sei bei Bewußtsein, hoffte man das Schlimmste schon überstanden. Spät am Abend dann die Nachricht: der Dirigent ist tot.

Schloß sich da ein Kreis? Eben in der Deutschen Oper hatte 1980 seine Karriere als Dirigent mit einer sensationellen Einstudierung von Verdis "Macbeth" begonnen. Anfang der neunziger Jahre war er zum Chefdirigenten ausersehen, geriet dann aber in Streit mit Götz Friedrich, an dessen Intendantenrechten er ungestüm rüttelte. Erst vor zwei Jahren versöhnte man sich. Zwei Aufführungen der "Aida" unter Sinopolis Leitung wurden für die Abschiedsspielzeit von Friedrichs zwanzigjähriger Intendanten-Ära verabredet. Mit einem ergreifenden Nachruf widmete sie Sinopoli dem im Dezember letzten Jahres Verstorbenen, der sein Freund gewesen und wieder geworden war. Verdis ägyptische Todesoper als Requiem, das sich unversehens als in eigener Sache zelebriert erwies.

Viel spricht dafür, daß der Dirigent Sinopoli seine besten, eigentlichen Jahre noch vor sich hatte. Er galt als Intellektueller unter seinen Pultkollegen und war ein außergewöhnlich vielseitiges Talent. Promovierter Mediziner, zudem studierter Archäologe, hatte er zur Musik als Beruf erst relativ spät gefunden. Zuerst kannte man ihn als Komponisten. Aber er war selbstkritisch genug, diese immerhin erfolgreiche Laufbahn nicht fortzusetzen. Die Berlin in Aussichts gestellte Neufassung seiner Oper "Lou Salomè" hat er nie fertiggestellt. Statt dessen der raketengleiche Start in die Dirigentenkarriere, die ihn bald zum gesuchten Gaststar machte. 1996 übernahm er in Dresden die Chefposition bei der traditionsreichen Staatskapelle. 2003 sollte er auch Generalmusikdirektor der berühmten Dresdner Semperoper werden. In Bayreuth hat er seit 1985 viele Male dirigiert, zuletzt Jürgen Flimms Neuinszenierung des "Ring".

Beiden Richards, Wagner sowohl wie Strauss, galt die besondere Leidenschaft des gebürtigen Venezianers. Aber so tief verbunden er sich deutscher Musik wußte, so unbefangen maß er sie an einem südlichen Klangideal. Er musizierte aus dem Geist des Belcanto, suchte Komplexes transparent zu machen. Die intensiv geprobte "Aida" offenbarte noch einmal diese Begabung. So zart, so differenziert gesanglich, so festlich düster schimmernd – mit einem Wort: so lyrisch hat man Verdis Oper zuletzt vor dreißig Jahren in der Deutschen Oper hören können, damals unter Claudio Abbado.

Mit seinem Herztod im Alter von 54 Jahren setzt Guiseppe Sinopoli die illustre Reihe von Dirigenten fort, die – meist mit Mitte Fünfzig – das gleiche Schicksal am Pult ereilte: Felix Mottl (1911), Joseph Keilberth (1968) und Guiseppe Patanè (1989). Nicht immer garantiert das Sich-Ausleben vor dem Orchester ein biblisches Alter.


 
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