© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Heiterkeit in finsteren Zeiten
Die deutsche Intelligenz nach der Katastrophe von 1945: Friedrich Georg Jüngers Briefwechsel mit Schlichter, Niekisch und Nebel
Tobias Wimbauer

Im Hausverlag Ernst Jüngers, bei Klett-Cotta in Stuttgart, ist in diesen Tagen ein Band erschienen, der drei Briefwechsel seines Bruders Friedrich Georg (1898–1977) mit Rudolf Schlichter, Ernst Niekisch und Gerhard Nebel vereint, herausgegeben von den beiden Dresdner Germanisten Ulrich Fröschle und Volker Haase.

Auf den ersten Blick scheint die Zusammenstellung der Briefpartner recht zufällig. Wer sich dann etwas hineinliest, stellt zudem schnell fest, daß sich hier die vielzitierten Schiffe in der Nacht begegnet sind, die anscheinend nur ein Grußsignal getauscht haben. Denn, so räumen die Herausgeber ein, richtig warm geworden sei Jünger mit keinem seiner Korrespondenten, und nach relativ kurzer Zeit hätten weltanschauliche Gegensätze den Austausch enden lassen. Warum also zusammenführen, was vielleicht gar nicht zusammengehört?

Eine Antwort darauf ergibt sich für die Herausgeber aus der Zeitgeschichte, den Übergangsjahren zwischen dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und der westdeutschen Währungsreform: Die Lektüre der drei Briefwechsel erlaube einen "mikroskopischen Blick" auf Fragen, mit denen sich ein Teil der deutschen Intelligenz nach der Katastrophe in "jener Grauzone" zwischen Kapitulation und Neubeginn beschäftigt habe. Genauso ist es, aber bei der Schärfeneinstellung des Mikroskops – dies sei rühmend erwähnt – helfen die beiden Herausgeber, deren biographisch-historische Einleitungen und Anmerkungen gut die Hälfte des Bandes füllen, kräftig mit.

Der Maler und Schriftsteller Rudolf Schlichter (1890–1955) lernte die Brüder Jünger in den Zwanzigern in Berlin kennen. Er zählte damals, von der Linken kommend, zum Umfeld der "Konservativen Revolution". Schlichters wesentlich umfangreichere Korrespondenz mit Ernst Jünger liegt, ediert von Dirk Heißerer, seit 1997 vor. Der Umfang des Schriftwechsel mit dem Bruder nimmt sich dagegen sehr schmal aus: acht Briefe, lediglich zwei darunter von Friedrich Georg Jünger, die Todesanzeige des Malers und eine Danksagung der Witwe werden mitgeteilt. Hier bewähren sich die Editoren erstmals als kundige Wegweiser in der Ideenlandschaft. Sie dokumentieren Schlichters innige Verbundenheit mit dem katholischen Milieu um den Hochland-Herausgeber Carl Muth, ein Umgang, der dem in München lebenden Maler während des Krieges auch punktuelle Berührungen mit Mitgliedern der "Weißen Rose" gestattet. Von hier aus entwickeln Fröschle und Haase stringent, daß zwischen dem christlich-abendländisch, auf "Rekatholisierung" setzenden Schlichter und dem "Heiden" Friedrich Georg Jünger ein fruchtbares Gespräch sich kaum entspinnen konnte. Die beiden gemeinsame Antiposition zur technischen Moderne, ihre Einigkeit darin, eine numinose "Substanz" gegen den "universalen Zugriff des funktionalen Denkens" bewahren zu müssen, wirkte hier nicht beflügelnd. Jünger geht auf Schlichter, der ihm fremd blieb, kaum ein. Im Tagebuch notierte Jünger anläßlich des Todes von Rudolf Schlichter: "Sein Leben war, von innen her, nicht leicht. Und er tat etwas dazu, um die Verwirrung zu steigern."

Ernst Niekisch (1889–1967) ist eine der legendären und zugleich zwiespältigsten Gestalten der "Konservativen Revolution", ein Grenzgänger zwischen Links und Rechts, der exemplarische Nationalbolschewist. Bis zu ihrem Verbot im Jahre 1934 gab er die Zeitschrift Widerstand heraus. Von 1937 bis 1945 durchlitt er eine Haft im Zuchthaus und wandte sich nach dem Kriege, von der Roten Armee befreit, nahezu erblindet, der SED zu und wurde Abgeordneter der Volkskammer. Niekisch knüpfte damit an die Ostorientierung des Widerstandskreises zu Weimarer Zeiten an.Der Briefwechsel Jüngers mit Niekisch umfaßt immerhin 28 Dokumente. Ein wohl großer Teil der Korrespondenz, die Briefe bis zu Niekischs Verhaftung, hat sich nicht erhalten, wahrscheinlich wurden sie vernichtet, da diese – neben anderen Schriftstücken – für "zwanzig Schreckensurteile ausreichten", wie Ernst Jünger in einem Brief an Niekisch schrieb.

Nach dem Kriege waren sich Niekisch und Friedrich G. Jünger zunächst einig in der Beurteilung des Vergangenen, auch darüber, daß Niekisch mit seinen frühen Prognosen recht gehabt hatte, was für diesen "mehr ein Anlaß des Kummers als der Genugtuung" war. Schließlich war die Lage der besiegten und besetzten Nation desolat: "Politisch sind wir völlig bankrott, nicht einmal ein völkerrechtliches Subjekt sind wir mehr. Die Reichsauflösung macht unverkennbare Fortschritte; auf Deutschlands Rücken werden die Spannungen zwischen den großen Mächten ausgetragen." (Niekisch) Jünger, unbeirrt bekennend, sich "von diesem Volke einfach nicht mehr trennen" zu können, antwortete: "Ich bin in bezug auf die Zukunft insofern skeptisch, als ich gelernt habe, in der Vergangenheit die Modelle der Zukunft zu suchen – wo anders sollten sie zu finden sein? Ich beobachte den Fortgang der Methoden, und ich nehme wenig Unterschiede wahr. Denn auch dort, wo sie sich verändern, bleiben sie wirksam, sie schneiden nur von einer anderen Seite ein."

An die alten Übereinstimmungen in politicis konnten beide aber nicht mehr anknüpfen. Vor allem weil Jünger sich noch skeptischer als in den frühen Dreißigern Niekischs universalistischen "Planstaat"-Utopien gegenüber zeigte: "In dem Gedanken der One World, die von einem kleinen brain-trust gelenkt wird, liegt für mich nichts Einladendes." Jünger glaubte an die Stärke des Einzelnen, indes Niekisch dem Kollektivgedanken verpflichtet war: "Ich bin nicht mehr romantisch genug, um zu glauben, im Abseitsstehen und -gehen etwas ausrichten zu können und habe außerdem auch nicht die Neigung zur Flucht. Was über uns verhängt ist, dem will ich mich stellen und will darin erfüllen, was erfüllt werden muß."

Über das wechselseitige Unverständnis bricht die Korrespondenz 1948 ab. Jünger brachte wesentliche Unterschiede ihrer Auffassungen in einem Brief an seinen Verleger Vittorio Klostermann zum Ausdruck: Niekisch "verschweigt vieles, so den klaren Verhalt, daß es ohne Marxismus keinen Nationalsozialismus gibt. Daß der Nationalsozialismus großbürgerlich ist, ein Werkzeug des Großbürgertums, davon habe ich nie etwas bemerkt. Es sind doch die kleinen Leute, die ihn erfunden haben, und jeder weiß, daß kleine Leute großen Sachen nicht gewachsen. Ja, die Soziologie! Wer sich auf deren Determinanten einläßt, der sitzt schon in einer Maschine und beginnt mechanisch zu denken."

Der Schriftsteller und promovierte Philosoph Gerhard Nebel (1903–1974) lernte Ernst Jünger im Stabe Stülpnagels in Paris kennen. Als er seine Meinung zu laut äußerte, wurde er als outcast of the islands (so sein Spitzname in Paris) auf die Kanal-Insel Guernsey (straf-)versetzt. Über diese Zeit geben seine kurz nach dem Kriege publizierten Tagebücher Aufschluß. Nebel, ein aufbrausendes Naturell, schaffte es oftmals, sich mit vielen Freunden zu verkrachen und – sofern diese nicht allzu nachtragend waren – rasch wieder zu versöhnen. So war es mit Carl Schmitt, den Brüdern Jünger, Erhart Kästner, Armin Mohler und mit vielen anderen.

Der Briefwechsel Friedrich G. Jüngers mit Nebel ist nicht sehr umfangreich. Hier sind es, neben der Todesanzeige Nebels, 28 Briefe, die wiedergegeben werden. Nebel wandte sich im April 1947 an F. G. Jünger mit der Frage, ob dieser in Wuppertal lesen wolle, um "etwas Heidnisch-Kräftiges in diese nach christlichen Nachttöpfen und sozialistischen Unterröcken müffelnden Atmosphäre" zu bringen. Jünger schrieb, mit Blick auf die durch Trümmerlandschaften des "totalen Krieges" führenden Schienenstränge und überfüllten Züge: "Ich liebe es, als Mensch zu reisen, nicht aber als Vieh verfrachtet zu werden."

Zur geistigen Lage im Nachkriegsdeutschland schreibt Nebel nach einem Treffen mit dem Germanisten Ernst Bertram, der in die "Aschenkiste" geraten sei, über die Begründung des Besatzungsoffiziers: "Er sei mit George befreundet gewesen, und George sei ja bekanntlich ein Vorläufer des Dritten Reiches gewesen. Er habe ein Buch über Nietzsche geschrieben, und Nietzsche sei ja bekanntlich usw. Und schließlich vertrete er ... das Elite-Prinzip. An solchen Beispielen wird einem wieder einmal das Maß des geistigen Terrors klar, das heute waltet, und man kann sagen, daß wir vom Regen in die Traufe geraten sind." Jünger antwortete: "Die Demokratie befriedigt nur noch ideologische Bedürfnisse, denn wir leben in dem perfekt gewordenen Polizeistaat, der bis ins Kleinste das regelt, was nicht vorhanden ist. Sein Kodex ... ist nur von dem zu erfüllen, der sich zum Sterben legen will."

Der prinzipielle Dissens zwischen beiden resultiert aus dem Verständnis von Antike und Christentum. Interessierte den christlich geprägten Altphilologen Nebel die Antike eher kulturgeschichtlich, war sie Zentrum des Jüngerschen Geschichtsdenkens. So kommt es in der Korrespondenz zur angeregten Debatte über das Kyklische, die heidnische Wiederkehr der Zeit, die der protestantisch-eschatologische fixierte Nebel anders als Jünger nur als Signum "tragischer Sinnlogkeit des Seins" begreifen wollte.

Kürzlich war in dieser Zeitung (JF 13/01) zu vermelden, daß man Friedrich Georg Jünger wissenschaftlich endlich zu entdecken beginne. Ulrich Fröschle ist seit einigen Jahren als Friedrich Georg Jünger-Kenner bekannt. Fröschle und Haase springen also mit ihrer Edition nicht auf einen möglicherweise nun anrollenden Zug auf; nein, Fröschle hat diesen Zug auf die Gleise gestellt, mit seiner Bibliographie den Fahrplan erstellt und die Wegweiser auf der jüngerianischen Landkarte eingezeichnet. Und die in Arbeit befindliche Friedrich Georg Jünger-Biographie von Fröschle kann mit Spannung erwartet werden.

 

Ulrich Fröschle/ Volker Haase (Hg.): "Inmitten dieser Welt der Zerstörung". Briefwechsel Friedrich Georg Jüngers mit Rudolf Schlichter, Ernst Niekisch und Gerhard Nebel. Klett-Cotta, Stuttgart 2001, 229 Seiten, 39,50 Mark


 
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