© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    18/01 27. April 2001

 
Ein Akademiemitglied sieht rot
Vergangenheitspolitik in Frankreich: Ein Pamphlet gegen die kommunistische Kulturhegemonie und ihre Hintergründe
Charles Brant

Der frühere Kulturminister, Kriegsheld und Publizist Maurice Druon, Mitglied der Académie française, hat ein kurzes Pamphlet veröffentlicht, in dem er offenlegt, wie stark Frankreich unter kommunistischem Einfluß steht. Besser spät als nie.

Nach den Mißerfolgen, die seine Partei bei den Kommunalwahlen im März erlitt, war Robert Hue, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei, zunächst das Lachen vergangen. Inzwischen hat er sich von dem Schock erholt und sich in alter Frische auf die sozialen Konflikte gestürzt. Seine Genossen riefen zum Boykott des Lebensmittelherstellers Danone auf. Sie legten den Zugverkehr lahm. An der Regierung sind sie nach wie vor beteiligt und stellen sogar den Verkehrsminister, Jean-Claude Gaysot. Insgesamt verlieren die Kommunisten in Frankreich zwar an Boden, wissen aber weiterhin geschickt ihr Störpotential zu nutzen. Dies haben sie nun seit über fünfzig Jahren in die Waagschale werfen können.

Im politischen Leben der Republik spielen die Kommunisten eine eher dekorative Rolle, gelten wie selbstverständlich jedoch als "salonfähig": Jacques Chirac begegnet Robert Hue freundschaftich, Lionel Jospin verhätschelt ihn regelrecht. Die Medien biedern sich bei ihm an. Einem bekennenden Kommunisten oder früheren Kommunisten bleibt keine Tür verschlossen, im Gegenteil. Der Fall der Sowjetunion hat nichts an der Aura der Respektabilität ändern können, von der die Kommunisten seit Jahrzehnten zehren. Und das, obwohl die Öffnung der sowjetischen Archive bestätigt hat, was man seit langem wußte: finanzielle und ideologische Abhängigkeit, die Hand in Hand ging mit einer totalen strukturellen Unterwerfung. In der französischen Öffentlichkeit haben diese Enthüllungen kaum Erregung ausgelöst.

"Eine Nation, der an ihrer Würde und an ihrer Unabhängigkeit gelegen ist, eine Republik, die von ihren Parlamentariern Ehrlichkeit erwartet, ein Staat, der illegale Aktivitäten unterbinden will, wäre es der bürgerlichen Moral schuldig gewesen, die Kommunistische Partei und den Allgemeinen Gewerkschaftsbund (CGT) aufzulösen. Als Rechtsgrundlage hätten die geheimen Verbindungen zu einem fremden Regime genügt."

Diese mißtönenden Sätze stammen aus der Feder von Maurice Druon. Der 83jährige zählt zu den letzten Überlebenden des historischen Gaullismus und nimmt immer noch regelmäßig an den Treffen seiner ehemaligen Waffenbrüder teil. 1942 schloß er sich den freien französischen Streitkräften in London an. Von 1973 bis 1974 war er Kulturminister. Er hat ein reiches und populäres publizistisches Gesamtwerk geschaffen. Seit 1966 Mitglied der Académie française, diente er ihr über lange Jahre als Sekretär.

Einen Teil seines Ruhms verdankt Druon den rachsüchtigen Worten des Chant des partisans, den er 1943 gemeinsam mit seinem Onkel, dem Schriftsteller und Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs Joseph Keller, schrieb. (Wie Historiker Dominique Venner in seiner "Kritischen Geschichte der Résistance" berichtet, soll der Text am Sonntag, dem 30. Mai 1943 "im Zeitraum von einer Stunde und zwei Whiskeys in der Bar des Ashdown Park Hotel vor dem malerischen Hintergrund der Surrey-Landschaft" entstanden sein.) Nach der Melodie eines alten russischen Liedes gesungen, weist dieser "Partisanengesang" deutlich hörbare sowjetische Anklänge auf.

Derselbe Druon erhebt nun Anklage gegen die Kommunisten. Er wirft ihnen vor, Frankreich in den Ruin zu treiben. Als Belege führt er die Verstaatlichungen an, die in der Folge des Zweiten Weltkriegs vorgenommen wurden; den übermäßigen Einfluß, den der Syndicat du Livre auf die französische Presse ausübt; die Abwege, auf die das Bildungssystem geraten ist; die Kollektivierung der Landwirtschaft.

Was Druon hingegen mit keinem Wort erwähnt, ist die zehn Jahre nach der Implosion des Sowjetsystems ungebrochene intellektuelle Macht der Kommunisten. Zwar spricht er die Flurschäden an, die die marxistische Ideologie in der Geschichtsschreibung angerichtet hat, aber er hütet sich, etwa die Passagen hervorzuheben, in denen Fernand Braudel, der geistige Vater dieser Strömung, eine Apologetik der Sowjetunion vornimmt. Er sagt nichts über die unverantwortliche Blindheit der französischen Intellektuellen gegenüber dem kommunistischen Einfluß auf die Kultur und das Gedankengut. Über das Engagement des Dichters und nachmaligen gaullistischen Kulturministers André Malraux lange vor dem Zweiten Weltkrieg geht er ebenso schweigend hinweg wie über die Tatsache, daß die Kommunisten unter Thorez, zu denen im übrigen auch der Dichter Louis Aragon zählte, bei der Befreiung Frankreichs den Ton angaben. Nicht einmal der berühmte Bannfluch, mit dem Sartre die Antikommunisten belegte, ist ihm eine Erwähnung wert: "Alle Antikommunisten sind Hunde."

Anscheinend sind Druon die Schriften des Soziologen Jules Monnerot nicht bekannt, der als einer der ersten auf die "unheimliche Durchsetzung" der französischen Gesellschaft aufmerksam machte. Auf jeden Fall hat er eine Lektion aus den Londoner Jahren verlernt – die des Antifaschismus als Mittel des intellektuellenTerrorismus. Druon bezieht sich nirgends auf die Enthüllungen, die Thierry Wolton 1997 in seinem Buch "La France Sous Influence" veröffentlichte. Wolton dokumentiert französisch-sowjetische Ränkeschmiedereien, deren Anstifter und Urheber kein geringerer als General Charles de Gaulle war. Um so fleißiger zitiert Druon Alexis de Tocqueville, übersieht aber wiederum vieles, was Tocqueville dem Kommunismus anlastet, und bezieht sich statt dessen vor allem auf seine Kritik am französischen Zentralismus und den Ideen von 1789.

Druons Darstellung mangelt es an Stringenz. Sie verläßt sich zu sehr auf einen "Ohrfeigeneffekt". Und sie wirft Fragen auf. Warum hat Druon soviel Zeit verstreichen lassen, bevor er sein Schweigen brach? Etwa, weil dieser überzeugte Gaullist sich nicht eingestehen konnte, daß gerade die Ikone de Gaulle viel dazu beigetragen hat, die Kommunisten an die Macht zu bringen. War es nicht de Gaulle, der 1944 nach Moskau reiste, um mit Josef Stalin ein französisch-sowjetisches Bündnis zu schließen? War es nicht de Gaulle, der den Deserteur Thorez nach Paris zurückholte und 1945 an die Kommunisten appellierte, sich seiner Regierung anzuschließen?

Das Pamphlet des "unsterblichen" Akademiemitglieds will als Alarmsignal wirken. Es zeigt die Verwirrung eines alten Gaullisten, der mit einiger Verspätung an Gewissensbissen und dem Verlust seiner Illusionen leidet. Das große Verdienst dieses kleinen Buches liegt dennoch darin, auszusprechen, was die Franzosen jeden Tag beobachten können: Unter seiner Maske des charmanten Verführers ist Frankreich eine Art Sowjetrepublik.


 
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