© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Der Alptraum der CDU
Edmund Stoiber wird die CDU in Sachen Einwanderung vor sich hertreiben – zunächst
Manuel Ochsenreiter

Peter Müller lehnt sich zurück und lächelt zufrieden. Die erste Hürde ist genommen – mit Bravour. Die CDU-Zuwanderungskommission hat vergangenes Wochenende unter Leitung des saarländischen Ministerpräsidenten ein 90 Seiten umfassendes Zuwanderungskonzept verabschiedet – einstimmig. Wenn sein Zeitplan aufgehen sollte, wird das Konzept diesen Donnerstag vom Bundesvorstand beschlossen werden und Anfang Juni dem Bundesausschuß in Berlin zur endgültigen Beschlußfassung vorliegen.

Das Konzept ist wenig originell, wurden doch die meisten Ecken und Kanten regierungskonform abgeschliffen. Die umstrittene Gesamtquote bei der Zuwanderung wurde ersatzlos gestrichen. "Die Aufnahme von politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen ist nicht limitierbar." Überhaupt wirkt das CDU-Konzept weitgehend vom Drei-Säulen-Modell der Grünen abgekupfert.

Für Asylbewerber soll es auch weiterhin keine Quote geben, und das Grundrecht auf Asyl soll nicht angetastet werden. Dies würde bedeuten, daß auch künftig jährlich rund 100.000 Asylbewerber aufgenommen würden. Bei jüdischen Kontingentflüchtlingen sowie Aussiedlern sieht die Kommission Quotierungsmöglichkeiten. Das wird vor allem die Aussiedler betreffen, von denen zur Zeit noch jährlich rund 100.000 kommen.

Bei der Zuwanderung an Arbeitskräften unterscheidet die CDU-Kommission drei Gruppen: höchstqualifizierte Arbeitskräfte, gut qualifizierte Bewerber und die Geringqualifizierten. Die Höchstqualifizierten sollen künftig unbeschränkt und unbefristet einreisen dürfen. "Die Entscheidung, wie lange sie in Deutschland bleiben wollen, liegt bei ihnen, nicht bei uns", heißt es in dem Papier der Kommission. An diesem Punkt hat sich das Konzept fast vollständig an jenes der Regierungs-Kommission unter Rita Süssmuth angenähert.

Geringqualifizierte sollen nach einem Punktesystem eingestuft werden, welches ihnen abhängig von Ausbildung, Alter und Sprachfähigkeiten die Einreise gestattet oder nicht. Einziger augenscheinlicher Unterschied zu regierungsnahen Konzepten ist das Eintreten für schnellere Genehmigungsverfahren in der Asylfrage. Asylanträge sollen künftig maximal ein Jahr dauern.

Aber selbst dieser Vorstoß wird an späterer Stelle wieder aufgeweicht. Flüchtlingen, die bisher als Asylbewerber abgelehnt, aber dennoch aus humanitären Gründen nicht abgeschoben wurden, soll auch künftig ein sicherer Aufenthalt in Deutschland gewährt werden. Müller, der sich selbst gerne zu den "Jungen Wilden" in der CDU zählen läßt, hat ganze Arbeit geleistet. Lob bekommt er – wie auch nicht – von der Linken. Sein Konzept beuge vor, daß Einwanderung zu einem Wahlkampfthema werde. Vor allem der SPD-Fraktionsvorsitzende Struck ist guter Dinge, daß das Thema Einwanderung "vor den kommenden Wahlen" unter Dach und Fach sei.

Auch die CSU hat ein Konzept vorgelegt. Dieses wiederspricht in einigen Kernbereichen dem der Schwesterpartei. Die CSU greift das Grundrecht auf Asyl zwar nicht direkt an, stellt es aber dennoch zur Disposition. Auch die Forderung nach einer Gesamtquote hält die CSU aufrecht. Der größte Unterschied zum CDU-Papier dürfte das Festhalten am Begriff der "deutschen Leitkultur" sein, der bei der CDU ersatzlos gestrichen wurde. Auch legt die CSU weiterhin Wert darauf, daß Deutschland "kein klassisches Einwanderungsland" sei.

Der saarländische Ministerpräsident Müller sieht das eher locker. Er ist sich sicher, daß man eine "gemeinsame Linie" finden wird. Wie dies zu machen sei, darüber schweigt er sich vorerst aus. Das Lob des politischen Gegners läßt sich so erst mal besser genießen. Kurios ist hierbei auch, daß die Regierungskommission von einer CDU-Politikerin geleitet wird.

Die SPD selbst hat bislang noch kein umfassendes Konzept zur Einwanderung vorgelegt, sondern möchte erst mal das Konzept der Regierungskommission abwarten.

Interessant ist das Polit-Schauspiel vor allem vor dem Hintergrund der kommenden Bundestagswahlen. Große Teile der CDU sind quasi als Promotionteam für die linksliberale Politik der rot-grünen Bundesregierung unterwegs – und diese "zahlt" in Form von Belobigungen. Gerne attestiert man den CDU-Leuten dann "Konsensfähigkeit" und "Umsichtigkeit".

Was die Union nicht wahrhaben will, ist, daß sie gerade bei den deutschfeindlichen Konzepten von Rot-Grün keine gemeinsame Sache machen darf mit den Regierungsparteien. Im Gegenteil, will sie im Herbst nächsten Jahres bei der Bundestagswahl auch nur den Hauch einer Chance gegen Schröder haben, muß sie sich den Wählern als unterscheidbare Alternative präsentieren. Doch bleibt schleierhaft, wo sie das notwendige Profil noch finden will. Denn daß die Union sich höchstens zu Korrekturen der rot-grünen Leitlinie in Sachen Einwanderung bereitfinden würde, war spätestens klar, als sich die Partei mit der Besetzung der regierungsamtlichen Zuwanderungskommission unter dem Vorsitz Rita Süssmuths einverstanden erklärte.

Süssmuth steht für einen Kurs, der in der gesamten Ära Kohl ein Tabu-Thema war. Wo die Millionen von Wählern bleiben, die – außerhalb Bayerns – auch weiterhin die bisherige CDU-Linie favorisieren, bleibt offen; eine relevante demokratische Artikulation ihrer Interessen ist ihnen bei der Bundestagswahl 2002 verwehrt. Zwar spricht Wolfgang Bosbach, CDU-Bundestagsabgeordneter und Kommissionsmitglied, davon, daß er sich in Anbetracht der rot-grünen Positionen "einen Konsens nicht vorstellen" könne, doch gerade wo kaum Unterschiede zu finden sind, müssen diese um so nachdrücklicher behauptet werden. Denn selbst eine schlußendliche Abgleichung ähnlicher Positionen muß dem Wähler als Ergebnis zähen Ringens verkauft werden.

Die CSU indes wird sich den Mund in Sachen Einwanderungspolitik bestimmt nicht verbieten lassen. Denn die Bayern haben kein Verständnis für die Amorphie ihrer Brüder im Bund. Andererseits werden sie den anvisierten Wahlsieg 2002 keinesfalls durch Mißstimmigkeit mit der CDU gefährden. Eine taktische Übereinkunft ist wahrscheinlicher: Innerhalb Bayerns wird auch mit diesem Thema auf Kundgebungen und Versammlungen der Wähler mobilisiert, außerhalb des Freistaates dagegen Stillschweigen gehalten, um den Unions-Partner nicht zu brüskieren. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber weiß, bis zum Einlenken der CSU zur Wahl im nächsten Jahr muß er der Schwesterpartei noch soviel wie möglich an Profil in Sachen Einwanderung abtrotzen. Und so bleibt er bis dahin der Alptraum der CDU.


 
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