© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Feuer für die Stadtwerke
Umweltpolitik: Die geplante Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung sorgt für gewerkschaftsinternen Streit
Martin Lohmann

Kaum konstituiert, steht der neuen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi eine handfeste Auseinandersetzung ins Haus. Der Kontrahent auf der Gegenseite ist bemerkenswerterweise nicht im Arbeitgeberlager zu suchen, sondern in den eigenen Reihen der Gewerkschaftsbewegung. Die Frontlinien sind nicht eindeutig; sie verlaufen sowohl zwischen den im kommunalen und industriellen Energiesektor Beschäftigten innerhalb von Verdi, als auch zwischen Verdi und der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IGBCE).

Der Gegenstand der heftigen Auseinandersetzung, die die Solidarität der Gewerkschafter untereinander auf das äußerste zu strapazieren droht, sind die Bemühungen um eine Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK).

Seit der 1999 begonnenen Liberalisierung des Strommarktes stehen die zumeist von den kommunalen Stadtwerken betriebenen kohlebefeuerten Kraftwerksanlagen, die nach dem KWK-Prinzip mit hohem Wirkungsgrad Elektrizität und Wärme produzieren, unter enormem Druck, da die Strompreise derart drastisch gefallen sind, daß viele dieser Anlagen auch ihres personellen Aufwands wegen nicht mehr rentabel betrieben werden können und ihnen somit das Aus droht. Die Gewerkschaft ÖTV, die nunmehr in Verdi aufgegangen ist, steht seitdem in Verhandlungen mit der Bundesregierung, um eine staatliche Förderung dieser Anlagen mittels festgelegter Quoten auf den Weg zu bringen. Nur mit einer Quote und dem Ausbau der KWK, argumentiert Verdi, könne die Bundesregierung ihren internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz durch CO2-Reduktion nachkommen und seien die Arbeitsplätze der kommunalen Energieversorger zu retten. Diese Position wurde seitens Verdi am 28. März noch einmal in einem Schreiben an den Bundeskanzler bekräftigt.

Diese Quoten-Pläne passen wiederum den Betriebsräten der großen Energieversorger nicht in das Konzept. Nur wenige Tage später wandten sich die Gesamt-Betriebsräte der Konzerne Eon und RWE in getrennten Schreiben an den Bundeskanzler und die zuständigen Fachminister Werner Müller (Wirtschaft) und Jürgen Trittin (Umwelt) und distanzierten sich sehr deutlich von den Quoten-Plänen von Verdi. Sie sehen in einer KWK-Quote eine unzulässige Subventionierung der kommunalen Stadtwerke auf Kosten der industriellen Energieversorger, die ihre Produkte Strom und Wärme zum größten Teil weit weniger aus KWK-Anlagen herstellen als aus Kernkraft und anderen getrennten Kraftwerksanlagen.

Die von Verdi gewünschte Quote soll die Produzenten dazu verpflichten, einen bestimmten Anteil ihres Stroms aus KWK-Anlagen zu gewinnen. Dies erfordert jedoch seitens der industriellen Produzenten einen massiven Zubau von KWK-Anlagen. Diese KWK-Anlagen wären aber in erster Linie sich rasch amortisierende Öl- und Gaskraftwerke, die mit geringstem Personalaufwand zu betreiben sind. Damit komme es aber wiederum an anderer Stelle zu einem Abbau von personalintensiven Kapazitäten – und das in einer Situation, in der die Stromproduzenten durch Preisdruck und Stromimporte der umliegenden Staaten ohnehin schon ihre Kapazitäten herunterfahren. Die voraussichtlich mit preisgünstigem russischen Erdgas befeuerten Gaskraftwerke würden dann gleichzeitig die Anbieter von heimischen Energieträgern, die Braun- und Steinkohlegruben, massiv unter Preisdruckdruck setzen.

Angesichts dessen wurden besonders die Eon-Betriebsräte in ihrem Schreiben an Kanzler Schröder sehr deutlich. "Das Maß ist voll", bekannten sie gegenüber dem "lieben Kollegen" Schröder freimütig, nachdem nun die Beschäftigten der Stromwirtschaft eine Reihe von "Zumutungen" wie die Stromliberalisierung, den Ausstieg aus der Kernenergie, die Stromsteuer und das Erneuerbare-Energien-Gesetz ertragen hätten, und forderten ihn auf, in dem Interessenkonflikt endlich von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen und von der gegenüber Verdi zugesagten Quotenregelung abzurücken. Nachdem durch den Wettbewerb bereits 40.000 Arbeitsplätze in der Stromwirtschaft weggefallen sind, wolle man nicht noch weitere Wettbewerbsverzerrungen durch die KWK-Quote hinnehmen.

Statt dessen favorisieren die industriellen Arbeitnehmervertreter die direkte Subventionierung des aus KWK geförderten Stroms und die staatliche Förderung und Modernisierung bestehender KWK-Anlagen, ohne daß in einem ohnehin übersättigten Markt neue entstehen. Derzeit liegt diesbezüglich ein von dem Land Nordrhein-Westfalen und dem IGBCE-Vorsitzenden Hubertus Schmoldt, der einen zu Verdi vollkommen entgegengesetzten Kurs fährt, entworfener Vorschlag dem Bundeswirtschaftsministerium zur Prüfung vor.

Auch gegenüber dem neuen Bundesvorsitzenden von Verdi, Frank Bsirske, wurden die Arbeitnehmervertreter sehr deutlich. Er erhielt vom Konzern-Betriebsrat der Eon im gleichen Zug ein Schreiben, in dem er über die Briefe an die Bundesregierung informiert wurde, und mußte darin zur Kenntnis nehmen, daß sich die Eon-Betriebsräte dagegen verwahrten, daß Verdi-Vertreter im Eon-Aufsichtsrat eine den Interessen der Eon-Arbeitnehmer widersprechende Politik vertreten. Gemäß diesem Schreiben wurden Kopien davon auch an Kanzler Schröder, die Fachminister und den Bundesvorsitzenden der IGBCE, Schmoldt, zugestellt.

Bsirske hätte eigentlich vorgewarnt sein müssen über die zunehmenden Spannungen an der industriellen Basis. Schon Mitte Februar erhielt das für den Bereich Ver- und Entsorgung zuständige ÖTV-Vorstandsmitglied, Erhard Ott, vom Konzern-Betriebsrat der Eon reichlich Prügel für ein Interview im Handelsblatt. Ott behauptete in dem Interview, daß ohne die KWK-Quote in den nächsten zehn Jahren bis zu 20.000 Arbeitsplätze bei den Stadtwerken wegfallen würden, und kritisierte in diesem Zusammenhang die "Verzögerungsstrategie" der Großstromerzeuger Eon, HEW, EnBW, VEAG, und Ruhrgas. Detailliert legten die Eon-Betriebsräte in ihrem Schreiben an Ott die Position der Beschäftigten der industriellen Stromproduzenten dar und bestritten strikt den Nutzen einer KWK-Quote auf die Verringerung der CO2-Immissionen. Außerdem verneinten sie eine beschäftigungssichernde Wirkung des Quoten-Konzeptes für die Stadtwerke.

Ott gegenüber verwandten die Eon-Betriebsräte eine ebenso klare Sprache, indem sie ihm seiner Position wegen unsolidarisches Verhalten vorwarfen. Spätestens ab hier hätte Bsirske Vorsicht walten lassen müssen, anstatt nur wenige Wochen später durch den Brief an Kanzler Schröder mit der Forderung nach einer KWK-Quote noch einmal die Gemüter anzuheizen.

Die Stimmung an der industriellen Basis ist extrem gereizt. Wenn es dem Verdi-Vorsitzenden Bsirske nicht gelingt, einen tragfähigen Kompromiß zu erzielen, droht Verdi der große Verlierer des Streits zu werden. Die Folge wäre eine Vertiefung der Spaltungstenzenden innerhalb von Verdi. Insbesondere zahlreiche Beschäftigte aus den Kernkraftwerken sehen sich von einem Verdi-Vorsitzenden, der gleichzeitig Mitglied der Grünen ist, nicht mehr glaubwürdig vertreten. Somit ist eine massive Abwanderung von Verdi-Mitgliedern aus dem industriellen Sektor hin zur industriefreundlicheren IGBCE nicht mehr ausgeschlossen. Zuverlässigen Informationen zufolge gab es bereits vereinzelte Kontakte von in Verdi organisierten Arbeitnehmervertretern aus der betrieblichen Ebene mit der IGBCE betreffs eines möglichen Gewerkschaftswechsels. Durch historische Entwicklungen hatte es sich ergeben, daß sich im Energiesektor regional verteilt zwei Gewerkschaften etablierten. Wo nebeneinander Energie produziert und Bergbau betrieben wurde, ist zumeist die IGBCE tätig, vor allem im Ruhrgebiet, während Verdi ihre Schwerpunkte vor allem im kommunalen Energiesektor hat.

Eindeutige Gewinner wären dann Bundeswirtschaftsminister Müller, der noch nie ein Freund der KWK-Quote war, und die Arbeitgeber, die sich unter Umständen mit der für sie günstigen Situation konfrontiert sähen, zwei Gewerkschaften im Betrieb zu haben, die sie leicht gegeneinander ausspielen könnten. Das wäre vielleicht sogar für andere Branchen der Anfang vom Ende des Konzeptes "ein Betrieb – eine Gewerkschaft" – und ein überaus schlechter Start für Verdi.

 

KWK-Kraftwerk in Kassel: Am 28. April, dem "Tag der erneuerbaren Energien", lobte Umweltminister Trittin das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Die CO2-Einsparung soll bis 2010 auf 50 Millionen Tonnen verdoppelt werden.


 
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