© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Jede Sünd’ wird euch vergeben
Selbst der wohlbedachte Mord . . . Neuerscheinungen zu Flucht und Vertreibung in den deutschen Ostprovinzen
Wolfgang Müller / Jessica Rohrer

Die Geschichtsschreibung der preußisch-deutschen Ostprovinzen erlebt einen Generationswechsel. Es ist nicht mehr zu übersehen, daß die "Erlebnisgeneration" in Rente geht. Deren historiographisches Interesse endete spätestens mit den letzten großen Austreibungen 1948. Was mit den Provinzen unter polnischer und sowjetischer Verwaltung geschah, zählte daher für sie nicht mehr zur deutschen Geschichte.

Natürlich hat die geheimniskrämerische Politik der Ostblock-Potentaten einen erheblichen Anteil daran, daß für Ostdeutschland ein historiographisches Nirwana entstand. Es forscht sich halt schwer, wenn, wie das lange in Warschau, Allenstein oder Stettin praktiziert wurde, Archive verschlossen waren oder ganze Regalmeter von Akten – dies auch heute noch! – der Benutzung entzogen bleiben. Oder das Forschungsgebiet, wie das hermetisch abgeriegelte nördliche Ostpreußen bis 1991, so unbetretbar war wie der Mond.

Doch auch dies ist bereits Vergangenheit. Nach der Ostblock-Implosion wurden die Karten auch historiographisch neu gemischt. Eine jüngere, zumeist um 1960 geborene Historikergeneration betrat das im Zeichen des Kalten Krieges heftig umkämpfte Erinnerungsterrain. Gleichzeitig öffneten sich zögerlich polnische und russische Archive. Die mit den "Ostsprachen" vertrauten Junghistoriker rezipierten neben ihrem Aktenstudium das umfangreiche, bis 1989 allerdings arg ideologisch eingetrübte Schrifttum der polnischen, litauischen und russischen Kollegen, die die östliche Geschichtslandschaft doch schon genauer vermessen hatten, als man vermuten durfte. Und sie verfügten über biographisch bedingte Distanz, um sich mit analytischer Kälte einem Zeitabschnitt zuzuwenden, der geschichtspolitisch immer noch als kontaminiert gilt: die Jahre 1945 bis 1948.

Den Reigen der Neuerscheinungen, die sich mit dem ostdeutschen Kriegs- und Nachkriegsschicksal befassen, eröffnete jedoch ein Werk, das, im Vergleich mit den skizzierten neuen Tendenzen, noch einmal auf ausgetretenen Pfade geht. Heinz Schöns "Tragödie Ostpreußen 1944–1948" erhebt zwar im Titel den Anspruch, die Untergangsjahre dieser östlichsten deutschen Provinz darzustellen, doch enden die Bemühungen des Verfassers am 9. Mai 1945. Schön, Schlesier des Jahrgangs 1926, kein professioneller Historiker, hat sich als Sammler Verdienste erworben und die von der Kriegsmarine gemeisterte Evakuierung der Heimatvertriebenen über die Ostsee dokumentiert. Daß er, wie der Verlag wirbt, nun aber gar ein Standardwerk zu jenem Abschnitt ostpreußischer Geschichte – "als die Rote Armee das Land besetzte" – verfaßt haben soll, würde Schön vermutlich selber als Verzeichnung seiner Möglichkeiten zurückweisen. Denn entstanden ist erneut eine Dokumentation, die keine wissenschaftlichen Ansprüche befriedigt und bestenfalls als Einführung ins Thema gelten darf. Schön paraphrasiert im ersten, 150 Seiten umfassenden Kapitel über den "Rachefeldzug der Roten Armee" die bekannte militärhistorische Literatur von den ersten Einbrüchen der Sowjets im Sommer 1944 bis zur Verteidigung der letzten Brückenköpfe im Frühjahr 1945. Es folgen sechsundzwanzig für Schöns Privatarchiv nach 1945 angefertigte "Frontberichte" von Zeitzeugen, die an den Kämpfen um Ostpreußen beteiligt waren. Zwanzig weitgehend von Alfred de Zayas übernommene Seiten über die Aufteilung der Kriegsbeute zwischen Sowjets und Polen beschließen den Band. Schöns Arbeit veranschaulicht nochmals exemplarisch die konventionelle Verengung des Geschichtsbildes auf die Vertriebenensicht, die das "Schicksal der Ostdeutschen nach 1945 als ein historisch gleichsam voraussetzungsloses Martyrium darstellte und keinen Raum für Wahrnehmung andersnationaler Perspektiven ließ" (Andreas R. Hofmann).

Unter ganz anderen Vorzeichen liefert der 1963 geborene K. Erik Franzen einen Beitrag zur Geschichte der Vertriebenen, den man aber als ebenso antiquiert einstufen muß wie Schöns Buch. Im Gegensatz zum Sammler Schön riskiert Franzen, der an dem in der Geschichtsschreibung Böhmens und Mährens führenden Münchener Collegium Carolinum tätig ist, seinen Ruf als Historiker. Und den dürfte er mit diesem als Begleittext für die vor Wochen gesendete ARD-Serie gedachten Opus gründlich ruiniert haben.

Dabei muß man gar nicht auf ostentative Peinlichkeiten achten, etwa darauf, daß Franzen Göring statt Goebbels zum Propagandaminister ernennt, Litwinow anstelle von Molotow zum sowjetischen Außenminister während des Krieges, daß er uns Ostpreußens Landesbauernführer Spickschen als "Spick" vorstellt, Goebbels’ Staatssekretär Naumann, der in den fünfziger Jahren im Milieu rechter Kleinparteien noch munter agierte, 1945 Selbstmord begehen läßt oder daß er hilflos mangelnde Vertrautheit mit der Gerichtsverfassung offenbart, wenn er ahnungslos schreibt, das Sondergericht Breslau sei an die Stelle des Sondergerichts Köln getreten – als habe es nicht in jedem Oberlandesgerichtsbezirk mindestens ein Sondergericht gegeben.

Aber letztlich sind dies Marginalien, die so wenig ins Gewicht fallen wie die von Franzen großzügig ausgestreuten Stilblüten (sehr schön: "der staatlich gelenkte Nährboden") oder jene westdeutsch-verniedlichende Begrifflichkeit, die Weltpolitik mit Sozialpädagogik verwechselt, wo es von "uneinsichtigen", vorzugsweise "nationalem Wahn" erlegenen Probanden nur so wimmelt.

Mißlungen ist Franzens Arbeit jedoch allein deswegen, weil sie noch einmal verbrauchte, inzwischen zig Mal destruierte Stereotypen zu einem unstimmigen Geschichtsbild zusammenfügen will. Zu diesem Zweck hat Franzen die Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland und Ostmitteleuropa aus dem Kontext der seit dem 19. Jahrhundert eskalierenden Nationalitätenkonflikte gelöst. Die deutsch-tschechischen wie die deutsch-polnischen Gegensätze werden damit systematisch ihrer Tiefendimension beraubt. Daher muß der Autor es peinlich vermeiden, etwa zur Erklärung des Sudeten-Problems hinter das Münchner Abkommen zurückzugehen. Unterstützt wird er dabei ausgerechnet durch die Einführung des Marburger Ordinarius Hans Lemberg, der (man kann es anders nicht verstehen) offenbar wider besseres Wissen behauptet, erst Hitler habe "Menschen ihrer nationalen Zugehörigkeit wegen gewaltsam ausgewiesen".

Zeittiefe ethnischer Säuberung nicht erfaßt

Wo ein Zurück hinter das magische Jahr 1938 trotzdem nicht zu vermeiden ist, sucht Franzen sein Heil dann konsequent in purer Geschichtsklitterung. Etwa wenn er aus der Repressionpolitik, der sich Prag seit 1919 verschrieb, eine nebulöse "Aufgeregtheit und Angespanntheit zwischen Deutschen und Tschechen" oder "national inspirierte Auseinandersetzungen" macht, die ihn dann flugs zu Henlein und zur alleinigen Verantwortung der Sudetendeutschen für die Konstellation von 1938/39 führt. Ebensowenig ist von Warschaus brutaler Entdeutschungpolitik in Pommerellen und Westpreußen seit 1919 die Rede. Mit der Vokabel "destruktiv" deutet Franzen den Charakter dieser "Minoritätenpolitik" kaum an, und räumt fast widerstrebend ein, daß sich Deutsche deswegen wohl zur "Auswanderung entschlossen" haben, aber "nicht vertrieben" worden seien. Nach seiner von der Forschung nicht geteilten Privatmeinung glaubt er aber zu wissen, daß die preußische Politik seit 1870 diese polnische, "national motivierte Gegenbewegung geradezu herausgefordert" habe.

Da deutsche "Schuld" Franzens Credo ist, muß die Vertreibung auf fast achtzig Seiten (also fast einem Drittel des Buches) aus dem Zusammenhang der Nationalitätenkonflikte gelöst und stattdessen in den Rahmen deutscher "Vernichtungspolitik" von 1939 bis 1944 versetzt werden. So gerät denn in diesem "kruden Gedankengebälk" (um Franzens Charakterisierung völkischer Ideologeme einmal auf ihn selbst anzuwenden) alles trefflich zur "Reaktion" auf deutsche Untaten, und die von Polen, Sowjets und Tschechen ermordeten gut zwei Millionen Menschen lassen sich zu "Hitlers letzten Opfern" umlügen. Wenn Franzen, ohne auf den Angriffskrieg einzugehen, der Warschau 1920 "Ostpolen" als Beute eintrug, die Annexion der preußisch-deutschen Ostprovinzen seit 1945 als "Westverschiebung" Polens deklariert, ist dies eine der vielen Zugaben des Autors, der stets darauf spekuliert, daß die historische Bildung seiner Leser ein so deplorables Niveau erreicht hat wie seine eigene.

Was in Franzens Märchenstunden fehlt, verheißt uns Richard Grills Werk über die "Wurzeln der Vertreibung". Der Münchner Historiker will das heute weitgehend wie eine "Verschlußsache" behandelte, zur "Wanderschaft" verharmloste Jahrhundertverbrechen in seiner "Zeittiefe" erfassen, bis hinein in die schon deutschfeindliche polnisch-katholische Volkskultur der Zeit nach 1848, als man sang: "Jede Sünd wird euch vergeben, selbst der wohlbedachte Mord, der der Polen freies Leben unterstützt von Ort zu Ort ..." Leider kommt Grill erst nach 150 Seiten, die anmuten, als hätte er seine Zettelkästen entleert, zum eigentlichen Thema. Zuvor widersteht er der Versuchung nicht, die skandalöse Praxis des Verschweigens und Verfälschens zu attackieren, der sich bundesdeutschen Zeithistoriker, Publizisten und Politiker befleißigen. Dabei gelingen ihm durchaus gute Analysen, so zur Tabuisierung des Themas durch Helmut Kohls einstigen Hofhistoriker Christoph Stölzl oder zur Eliminierung der Vertreibung aus deutschen Schulbüchern. Aber Grill läßt sich von seiner Entrüstung leider zu einer fahrig-unsystematischen, oft auch polemischen Faktenpräsentation verleiten, die leicht als "unseriös" abgetan werden kann. Dies ist gerade deshalb zu bedauern, weil bei ihm Grundzüge einer kritischen Vertreibungsgeschichte erkennbar werden.

In Gefilde zukunftsweisender Geschichtsschreibung der Landschaften jenseits von Oder und Neiße führt Ruth Kibelkas Studie über "Ostpreußens Schicksalsjahre 1944–1948". Die Berliner Osteuropa-Historikerin, Jahrgang 1959, die sich bereits 1996 mit einer sehr gut recherchierten Arbeit über "Wolfskinder.Grenzgänger an der Memel" empfohlen hat, bietet, was Schön und dem Großteil der älteren deutschen Publikationen fehlt: Kenntnis von Akten und Literatur der "Gegenseite". Entstanden ist daher, was Kibelka eingangs noch als Desiderat für Deutschland, Rußland und Litauen ausmachte: die "erste wissenschaftliche Monographie, die das Schicksal der deutschen Bevölkerung im nördlichen Ostpreußen zum Thema hat". Mit dem Kriegsgeschehen muß sich die Autorin daher kaum befassen. Den Einmarsch der Roten Armee kann sie kurz abhandeln, ohne freilich Zweifel über den Charakter dieses von Massenmorden, Vergewaltigungen, Deportationen und Arbeitssklaverei begleiteten "wirtschaftlichen und sexuellen Raubzugs" aufkommen zu lassen.

Fraglich ist aber, so Kibelka, ob die "verantwortungslose, unorganisierte und hektische Reaktion der deutschen Behörden die Selbstauflösung der Gemeinden" mit der anschließenden verlustreichen Flucht nicht stärker beförderte als die sowjetische Soldateska. Aus dieser hypothetischen Formulierung wird bei dem in der Robert-Bosch-Stiftung für "Völkerverständigung" zuständigen Historiker Joachim Rogalla (auch er Jahrgang 1959) in seinem Beitrag über "Krieg, Vertreibung und Neuanfang" zu Joachim Bahlckes aktualisierten Kompendium über "Schlesien und die Schlesier" (zuerst 1996) das Diktum: Die Verantwortung für die deutschen Verluste bei Kriegshandlungen und auf der Flucht lägen bei den NS-Machthabern. Damit dürfte eine interessante Kontroverse augelöst sein, die zu neuen Forschungen animiert. Brisanz gewinnt diese Frage durch Kibelkas Rekonstruktion sowjetischen Nachdenkens darüber, wie denn mit der Kriegsbeute Ostpreußen zu verfahren sei. Offensichtlich hatte Stalin keine "migrationstechnischen Vorkehrungen" getroffen. Das bedeutet aber – entgegen einer zum Beispiel von Martin Broszat verfochtenen These –, daß der Terror der Roten Armee überhaupt keine Massenflucht und keine Entvölkerung intendierte.

Polens Bürokraten verfuhren nach Stalins Modell

Andreas R. Hofmann spitzt diese Hypothese in seiner bei Hans Mommsen angefertigten, ebenfalls auf breiter Quellenbasis beruhenden Bochumer Dissertation über die Nachkriegszeit in Schlesien noch zu: Der Begriff "Vertreibung", der sehr verschiedene Abläufe wie Flucht, Evakuierung und Aussiedlung subsumiert, unterlege der "Verdrängung der ostdeutschen Bevölkerung" ein "politisch rationalisierendes Programm". Die Auslösung einer Massenflucht durch die "Atrozitäten der Roten Armee" sei kein von Moskau kalkuliert gehandhabtes Mittel, um in Ostdeutschland eine "nationalitätenpolitische tabula rasa" zu schaffen. Denn die Politik der sowjetischen Militäradministration in den für Polen reservierten Gebieten sei "gerade in nationalitätenpolitischer Hinsicht ausgesprochen widersprüchlich und uneinheitlich" gewesen und könne "keinesfalls als Fortsetzung einer konsequenten Entvölkerungsstrategie gesehen werden". Mit Kibelka darf sogar darüber spekuliert werden, ob eine weniger hohe Flüchtlingszahl die ethnische Säuberung verhindert hätte. Letztlich muß man ihr aber zustimmen, daß diese Fragen bis heute nur Indizienurteile gestatten.

Aber wie Kibelka räumt auch Hofmann ein, daß die an "niedrigste Instinkte appellierende" Haß- und Feindbildagitation in der Roten Armee vor Überschreiten der Reichsgrenzen ihren "intellektuellen und moralischen Tiefstpunkt" erreicht hatte. Wenn Kibelka dann von einer wohlüberlegt geknüpften, der Haßpropaganda dienenden Assoziationskette "Preußen – Ostpreußen – Königsberg – Militarismus – Faschismus" spricht, Hofmann zudem auf die "archaisch-kriegerische Sozialisation von Rotarmisten" rekurriert, dann konterkarieren beide Autoren das auch von ihnen noch benutzte, bei Franzen so beliebte stereotype Schema, wonach das Verhalten der Roten Armee nur "Reaktion" auf den deutschen "Vernichtungskrieg" gewesen sei. Und tatsächlich konzediert auch Rogalla: "Diese massenhaften Ausschreitungen waren nicht nur eine Reaktion auf die deutschen Besatzungsverbrechen in der Sowjetunion." Solche Reflexionen sollten mentalitätshistorischen Studien über die Rote Armee anregen, die die Innenansichten von Lew Kopelew und Alexander Solschenyzin ergänzen könnten.

Der Schwerpunkt der Arbeiten von Kibelka und Hofmann liegt jedoch nicht bei den Ereignissen der letzten Kriegsmonate. Beide befassen sich vielmehr damit, wie die Sieger ihre Beute vereinnahmen und wie ihre Planungen das Schicksal der nicht geflüchteten Deutschen bestimmen. Kibelka registriert für den Sommer 1945 noch 140.000 Deutsche in Nordostpreußen, darunter auch Rückwanderer, so daß in manchen Orten bis 30, im Durchschnitt bis zu 10 Prozent der allerdings sozial stark atomisierten Bewohner zu finden waren. Sicherheitspolitische Aspekte gaben dann den Ausschlag für die Abschiebung, da die "Kaliningrader Deutschen" als nicht so integrierbar galten wie die von "gemischtvölkischen" Traditionen geprägten Memelländer. Kibelka sieht hier die Weichenstellung für die unterschiedliche Entwicklung im Memelland und in Nord-Ostpreußen, die sie bis zum Untergang der UdSSR verfolgt. Nur wird nie ganz deutlich, wie stark das deutsche Element unter jenen "Memelländern" war, denen in der Litauischen Sowjetrepublik die "Repatriierung" angeboten wurde. Kibelka scheint hier etwas dem Bann ihrer eigenen Suggestionen zu erliegen, die das Memelland zu einer nordöstlich-multikulturellen Schweizeridylle verklären und regionale Identitäten überbewerten. Hier rächt sich ihre Vernächlässigung der Geschichte der Memellandes. So bleiben national-deutsche Orientierungen und deren Radikalisierung im "Grenzkampf" gegen die völkerrechtswidrige litauische Annexion von 1923 und die nachfolgende Kownoer Repressionspolitik im Dunkeln. Es verwundert deshalb nicht, in ihrer Bibliographie ältere, keinesfalls überholte Studien wie jene von Walter Schätzel und Ernst-Albrecht Plieg nicht verzeichnet zu finden.

Ähnliche Irritationen lösen auch einige blinde Flecken im Werk Hofmanns aus. Etwa die relativ knappen Ausführungen über die polnischen Lager in Schlesien; doch kann der Autor hier auf die restriktive polnische Archivverwaltung und auf die gezielte Aktenvernichtung verweisen, die eine Rekonstruktion der Abläufe in Internierungs- und Arbeitslagern wie Lamsdorf (Kreis Falkenberg) erschwert. Den Wert dieses Standardwerks mildert das nicht. Denn es gibt keine deutsche Darstellung, die mit vergleichbarer Gründlichkeit Schlesiens Nachkriegsgeschichte erzählt. Ausführlich berücksichtigt Hofmann dabei polnisch-sowjetische Differenzen, die gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen polnischer Siedlungsbürokraten, deren Entwürfe am Ideal des "homogenen Nationalstaates" orientiert waren und die sich nicht von deutscher "Vernichtungspoltik" (Lemberg/Franzen), sondern vom "stalinistischen Modell der Nationalitätenpolitik" ("Repression und Zwangsumsiedlung") inspirieren ließen, wie es seit den frühen Dreißigern praktiziert wurde. Sehr genau schildert Hofmann auch den Umgang mit dem in Oberschlesien virulenten Problem der "Autochthonen", das Scheitern der jüdischen Ansiedlung in Niederschlesien und den polnisch-ukrainischen Konflikt, der einen Hintergrund für den Bevölkerungsaustausch im Südosten Polens und die in Schlesien endende Zwangsumsiedlung von Polen aus der Westukraine und Galizien bildet.

 

Heinz Schön: Tragödie Ostpreußen 1944–1948. Als die Rote Armee das Land besetzte, Arndt Verlag, Kiel 1999, 382 Seiten, Abb., 49,80 Mark

K.Erik Franzen: Die Vertriebenen. Hitlers letzte Opfer, Propyläen, Berlin 2001, 288 Seiten, Abb., 39,90 Mark

Richard Grill: Es begann in Prag. Die Wurzeln der Vertreibung, Verlagsgesellschaft Berg, Berg 2000, 254 Seiten, 36 Mark

Ruth Kibelka: Ostpreußens Schicksalsjahre 1944–1948, Aufbau Verlag, Berlin 2000, 358 Seiten, Abb., 39,80 Mark

Joachim Bahlcke (Hg.): Schlesien und die Schlesier. Langen Müller, München 2000, 358 Seiten, Abb., 49,90 Mark

Andreas R. Hofmann: Nachkriegszeit in Schlesien. Gesellschafts- und Bevölkerungspolitik in den polnischen Siedlungsgebieten 1945–1948, Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2000, 472 Seiten, 108 Mark


 
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