© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    19/01 04. Mai 2001

 
Veranstaltungen: Wird Berlins bekanntester Export-Artikel zum Fiasko?
Wirren um die Love Parade
Björn Schmidt

The rave must go on", war Rezzo Schlauchs auf jugendlich getrimmter Kommentar zur Love Parade-Diskussion in Berlin, die in den letzten Tagen und Wochen die Gemüter von Jung und Alt bundesweit erregte. Das Hick-Hack um die Frage, wo, wann und ob überhaupt die Love Parade in Berlin stattfindet, geht in die x-te Runde – wohl dem, der den Überblick behalten hat und noch so locker darüber reden kann wie der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag.

Love Parade, das sind durchschnittlich 1,3 Millionen begeisterte Besucher aus dem In- und Ausland, sechs Kilometer Dauertanzen in meist bulliger Hitze bei fast monotonem Gewummere aus mächtigen Musik-Boxen. Das sind 2.300 für Sicherheit sorgende Polizisten, 800 Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung mit 260 Fahrzeugen, die nach geschlagener Techno-Schlacht tollkühn den Versuch der Reinigung wagen, und 770 Sanitäter und 40 Ärzte – im letzten Jahr eilten sie 2.332mal zu Hilfe, 538 Raver mußten ins Krankenhaus gebracht werden. Darum wird also gestritten und gezankt. Angesichts dieser Zahlenspielchen unverständlich, aber das ist noch nicht die gesamte Geschichte der "größten Party der Welt". Immerhin ist die Parade ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Berlin: Statistisch gibt jeder Techno-Fan, der von außerhalb Berlins in die Hauptstadt reist, 300 Mark pro Tag aus. Berlins Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) verdankt der Love Parade einen "Kaufkraftzuwachs von 250 Millionen Mark", betont aber, daß neben der finanziellen Seite die Werbung für Berlin als junge, weltoffene Metropole für ihn im Vordergrund steht. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) argumentiert ähnlich: "Ich möchte die Love Parade als Aushängeschild für Berlin behalten."

Raven im großen Stil – in diesem Jahr ohne Berlin, weil eine Gegendemonstration früher angemeldet worden war? Ein Rekonstruktionsversuch des Streites: Der ursprüngliche Terminwunsch des Veranstalters Planetcom, der 14. Juli, war zwar seit längerem bekannt, nur verpaßte Planetcom die pünktliche Anmeldung des offiziell als politische Demonstration deklarierten Techno-Festes. Am gleichen Tag wollen Love-Parade-Gegner mit dem Namen "Rettet den Tiergarten" dort demonstrieren, wo die eigentliche Parade langziehen sollte: vom Ernst-Reuter-Platz am Tiergarten vorbei bis zum Brandenburger Tor. Pech für die Techno-Fans, daß ihre Gegner schneller waren und als erste die Demonstration beim Innensenator Eckart Werthebach (CDU) angemeldet hatten. Somit war der Zug für den 14. Juli erst einmal abgefahren. Die Parade-Gegner monieren schon seit Jahren, daß der Tiergarten stark unter der Massenparty leidet. 100.000 Liter Urin muß die größte Grünfläche der Berliner Innenstadt am Tag der Parade ertragen; auch die 256 Tonnen Müll hinterlassen eine deutliche Spur. Es kursierten Gerüchte, Planetcom wolle gegen die Absage vor dem Verwaltungsgericht klagen. "Uns ist der Himmel auf den Kopf gefallen", hieß es im Medienbüro der Love-Parade-Veranstalter. Dort war man fassungslos und grübelte, "wie man die Sache noch hinbiegen kann". Ausweichstrecken – 60 an der Zahl – hatte Innensenator Werthebach aus Sicherheitsgründen abgelehnt, somit blieb nur noch ein anderer Termin: der 21. Juli. Hier aber sträubte sich anfangs neben Planetcom auch Wirtschaftssenator Branoner. Beide pochten anfangs darauf, daß Hotelzimmer, Flüge und Zugfahrten bereits gebucht und DJs engagiert worden waren. Der Berliner Senat formulierte offen seine Angst, daß die Raver aus In- und Ausland sich am 14.Juli selbst organisieren und ein unkontrollierbares Chaos produzieren könnten. Die Junge Union Berlin verschärfte währenddessen den Druck auf die Verantwortlichen, eine Lösung zu finden. Der Landesvorsitzende Kai Wegner forderte den Senat auf, der Veranstaltung mit jährlich 400.000 Mark unter die Arme zu greifen.

Kaum hatte die Parade für den 14. Juli einen Korb bekommen, meldeten mehrere deutsche Städte ihr Interesse an. Die Liste erstreckte sich von Hamburg bis München quer durch die Republik. Nach Überlegungen, die Raver auf dem Lausitzring (eine Formel-1-Strecke in Brandenburg) tanzen zu lassen, hatte sich am 6. April der Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) dafür stark gemacht, die Love Parade über die Autobahn A 40 ziehen zu lassen. Startpunkt sollte Essen, Endpunkt Bochum sein. Der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens Wolfgang Clement wurde sogar aufgefordert, die Abwerbung zur Chefsache zu erklären. Der Tagesspiegel freute sich auf einen "Liebes-Stau auf der A 40" und erinnerte im ironischen Ton daran, daß Nordrhein-Westfalen besser zur Parade passe, weil das Bundesland sowieso die "glaubhafteren Spaßpolitiker mit Möllemann, Müntefering und Meyer" habe. Auch Köln, Hannover und Frankfurt wollten Berlin beerben. München wollte da nicht zurückbleiben und zog mit, während Leipzig ebenfalls um die Ausrichtung buhlte. Als "Riesenherausforderung" bezeichnete der Kulturdezernent von Leipzig die Möglichkeit, die Love Parade über den Leipziger Stadtring in Richtung Völkerschlachtdenkmal ziehen zu lassen. Techno-Beats vor dem Symbol des "vaterländischen Freiheitskampfes" – was hätte der alte Blücher wohl dazu gesagt?

Fest steht: Blücher wird sich nicht im Grabe umdrehen müssen, das Techno-Fest bleibt Berlin erhalten, obwohl der Termin zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht feststeht. Mittlerweile mußte die Love Parade für den Terminstreit qualitativ bezahlen: Zwei prominente DJs – Sven Väth und Techno-Queen Marusha – haben entnervt ihre Teilnahme abgesagt und werden wohl nicht die einzigen bleiben. Nichtsdestotrotz bekennen sich die Organisatoren zu Berlin: "Die Parade braucht Berlin, Berlin braucht die Parade." Ende offen, alles offen. Was den Veranstalter Planetcom angeht, hat er aus der selbst verursachten Eskapade gelernt: Um künftigen Terminproblemen aus dem Weg zu gehen, haben die Organisatoren bis 2006 die Love Parade jeweils fest angemeldet.


 
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