© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
BLICK NACH OSTEN
Ein multikultureller Staat vorm Bürgerkrieg
Carl Gustaf Ströhm

Die jüngste Aktion der Armee Mazedoniens gegen albanische "Terroristen" war fernsehgerecht inszeniert. Dutzende Panzerfahrzeuge ballerten unten vom Tal und der sicheren Hauptstraße aus auf die umliegenden bewaldeten Bergrücken. Kampfhubschrauber schossen ins Grüne hinein, daß es nur so stiebte. Ein TV-Nachrichtensprecher kommentierte den Feuerzauber mit der Bemerkung, diesmal verstünden die mazedonischen Sicherheitskräfte – im Gegensatz zu den Vorfällen um die Stadt Tetovo vor einigen Wochen – "keinen Spaß".

Nachdem es in den Bergen um Tetovo, wo es seinerzeit zu heftigen Schießereien mit den Albanern kam, ruhig geworden war, feierten Mazedonier und westliche Balkan-Experten bereits den großen Sieg und die Vertreibung wenn nicht gar Vernichtung der bewaffneten Albaner. Jetzt aber bricht das gleiche Problem erneut auf – nur weiter südlich, in der Stadt Bitola, wo vier mazedonische Polizisten von albanischen UÇK-Rebellen erschossen wurden. Insgesamt wurden in Mazedonien am vergangenen Wochenende acht Polizisten getötet. Das ist für ein Land von knapp zwei Millionen Einwohnern, als würden in Deutschland innerhalb weniger Tage dreihundert Polizeibeamte umgebracht! Man kann also getrost von einer dramatischen Destabilisierung sprechen. Erstmals haben sich schwere ethnische Konflikte bis in die Hauptstadt Skopje ausgedehnt, wo sich Zwischenfälle zwischen slawisch-bulgarischen Mazedoniern und nicht-slawischen (illyrischen) Albanern, häufen. Die albanischen UÇK-Rebellen schießen neuerdings nun auch schon mit Mörsern und Granatwerfern. Auch die sonst als eher friedfertig geltenden slawischen Mazedonier werden zunehmend gewalttätig. Beim Überfall auf ein von Albanern frequentiertes Kaffeehaus in Skopje gab es einen Toten.

In der Stadt Bitola kam es zu einem regelrechten Pogrom: Slawische Mazedonier verwüsteten albanische Geschäfte und malten Kreuze auf die Hauswände ihrer moslemischen Nachbarn und nunmehrigen Feinde. Zu Schaden kamen zahlreiche Konditoreien und Eissalons, die auf dem Balkan traditionell in albanischer Hand sind.

Die Verwüstungen von Bitola zeigen, daß zwischen sogenannten "gemäßigten" und sogenannten extremistischen Albanern kein Unterschied mehr gemacht wird. Die Rebellen verkünden, man müsse die Albaner in Mazedonien von der "slawischen Vorherrschaft" befreien. Erstmals wackelt die aus der nationalistischen mazedonischen IMRO-DPMNE – die Abkürzung bedeutet "Innere mazedonische revolutionäre Organisation" – und der Albanerpartei DPA gebildete Koalition. Während Ministerpräsident Ljubco Georgijevski von "Exzessen" der "albanischen Extremisten" spricht, die in einen Bürgerkrieg führen können, beschuldigten DPA-Sprecher die Mazedonier "extremer ethnischer Intoleranz". Die Vorfälle in Bitola wurden sogar mit der "Reichskristallnacht" von 1938 verglichen.

Um der UÇK-Guerillakämpfer Herr zu werden, müßte man Infanterie einsetzen, die Bergrücken für Bergrücken durchkämmt. Mit noch so wohlgezielten Kanonen- oder Raketensalven werden sich die Albaner nicht fangen lassen. Sie werden nach alter Balkanmanier immer wieder verschwinden – um dort aufzutauchen, wo man sie am wenigsten erwartet. Da aber weder Nato noch die Mazedonier die nötige Infanterie haben, sitzen die Albaner am längeren Hebel.


 
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