© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
Der Westen sieht weg
Kroatien: Zehntausende demonstrierten in Split für die Pressefreiheit und gegen die "Säuberung" einer unbequemen Tageszeitung
Carl Gustaf Ströhm

In der dalmatinischen Hafenstadt Split kam es letzten Sonntag zu einer unge-wöhnlichen Demonstration: Zehntausende von Kroaten hatten sich versammelt, um gegen die "Gleichschaltung" der einzigen oppositionelle Tageszeitung, der Slobodna Dalmacija (Freies Dalmatien), zu protestieren. Eingeladen hatte das "Komitee zur Verteidigung der Würde des vaterländischen Krieges" unter der Führung des im Unabhängigkeitskrieg 1991 bis 1995 gegen die Serben schwer verwundeten Obersten Mirko Condic.

Die Uferpromenade von Split war voll Menschen. Eine ältere Frau hielt ein Transparent über ihren Kopf, auf dem geschrieben stand: "Wir sind keine Faschisten". Als die Redner – unter ihnen mehrere Journalisten, aber auch Gewerkschafter und Kriegsteilnehmer – den Namen des gegenwärtigen Staatspräsidenten Stipe Mesic erwähnten, gab es ein von Schmährufen begleitetes Pfeifkonzert in der Menge. Als der aus den Reihen der KP stammende Ministerpräsident Ivica Racan erwähnt wurde, rief die Menge im Chor: "Weg mit der roten Bande!" (gemeint war die SDP, die jetzt als Sozialdemokraten firmieren).

Die Redner der Protestkundgebung und die Masse der Zuhörer waren sich einig, daß man die Gleichschaltung des "Freien Dalmatien" durch die Kommunisten nicht hinnehmen werde. In einer Resolution wurde die Wiedereinstellung des über Nacht abgesetzten Chefredakteurs Josip Jovic verlangt. Gleichzeitig wurde gefordert, daß die mundtot gemachten Kolumnisten und Kommentatoren des Blattes wieder uneingeschränkt und wie bisher publizieren sollten. Selten wurden Journalisten und Kommentatoren auf einer Massenversammlung derart gefeiert wie jetzt in Split – und selten wurde eine Regierung dermaßen ausgebuht.

Tags zuvor war es bei einem Besuch des speziell in Dalmatien ungeliebten kroatischen Staatspräsidenten Mesic in der gleichen Stadt Split zu einem veritablen Skandal gekommen. Als der Staatspräsident in der Kaserne der 4. kroatischen Gardebrigade eintraf, um an den Feiern zum zehnten Gründungstag dieser Eliteeinheit teilzunehmen, wurde er zwar von der angetretenen Truppe korrekt begrüßt, aber zahllose zivile Teilnehmer an der Feier, die unter freiem Himmel stattfand, brachen in Beschimpfungen und Schmähungen aus. "Zigeuner!" riefen die Zivilisten – unter ihnen viele Angehörige von im Kriege gefallenen Elite-Soldaten sowie Schwerverwundete, zum Teil in Rollstühlen. "Pfui, du Dieb!" skandierten die Anwesenden. Eine alte Frau in Schwarz beschimpfte den Präsidenten, als er einen Kranz für die Gefallenen niederlegte. "Meine Kinder", sie meinte ihre gefallenen Söhne, "werden weinen, wenn sie dich sehen! Der Teufel soll dich holen!"

Als der Staatspräsident ans Rednerpult trat, verließen einige hundert Gäste demonstrativ die Feier – darunter auch die Schwerverwundeten. Präsident Mesic aber heizte die zum Bersten gespannte Stimmung noch an, indem er auf die Zurufe "Zigeuner" den Prostierenden zurief, sie sollten doch nicht ihre eigenen Vorfahren beim Namen nennen – womit impliziert war, daß Mesic seine Kritiker als Zigeuner einstuft. Außerdem rief er, er habe nicht gewußt, daß es in Split so viele Tschetniks – also serbische Freischärler – gebe, womit er bei den Bewohnern der Hafenstadt, die sich als gute Kroaten fühlen, wiederum Zornausbrüche erwartete.

Am Tag seiner Abreise kam es dann zum Eklat: Der Präsident und seine Begleiter sollten vor dem Abflug nach Zagreb einen Imbiß in einem der besten Restaurants der Spliter Riviera zu sich nehmen. Als die Autokolonne des Präsidenten protokollgemäß vorfuhr, war das Restaurant "Mozart" geschlossen. Der Wirt des Lokals erklärte knapp, in seinem Hause sei der Staatspräsident nicht willkommen. Damit öffnet sich zwischen der linken Staatsführung und Regierung und den nationalbewußten Kroaten ein Abgrund, der kaum noch zu überschreiten ist. Mesic und Racan haben durch ihr Taktieren und das Nichteinhalten von Wahlversprechen große Teile der Bevölkerung zutiefst frustriert. Vor allem in Südkroatien herrscht inzwischen offene Ablehnung gegenüber den "Linken in Zagreb", welche – so heißt es hier – willenlos dem Ausland zu Diensten sind, welche die Helden des Krieges und der Befreiung als Kriegsverbrecher an das Haager Tribunal ausliefern und ein "kryptokommunistisches Regime unter westlicher Tarnung einführen wollen".

Gespenstisch war allerdings der Zustand, daß die von den Kommunisten gleichgeschaltete Zeitung Slobodna Dalmacija ihrem neuen linken Ruf sofort gerecht wurde: Sie brachte über die unangenehmen Zwischenfälle vor der Kaserne in ihrer Sonntagsausgabe so gut wie nichts. Ein treffenderes Beispiel für Nachrichtenmanipulation hätte es kaum geben können. Der Westen aber war bei diesen Ereignissen – wieder einmal – nicht vertreten. Von der sich zuspitzenden Situation in Kroatien erfährt der westliche Leser und Fernsehzuschauer nichts. Die Frage nach dem "Warum" läßt interessante Antworten zu.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen