© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    20/01 11. Mai 2001

 
Spielwaren: Kuscheltiere erfreuen sich unter Erwachsenen zunehmender Beliebtheit
Teddybär total
Martin Lohmann

Kein anderes Spielzeug hat einen derart zeitlosen Charakter wie der Teddybär. Über die Generationen hinweg gibt wohl kaum einen Menschen in Deutschland, der nicht mit einem solchen Freund aus Plüsch aufgewachsen ist. Doch seit etwa zwanzig Jahren ist ein neuer Trend zu beobachten: Teddybären und andere Stofftiere werden unter Erwachsenen zunehmend beliebter. Ob der französische Schauspieler Christopher Lambert, der eine enorme Sammlung von Teddys sein eigen nennt, oder eine der neuen Bundeswehr-Rekrutinnen, die im Januar gemeinsam mit ihrem Kuscheltier in die Kaserne einrückte – immer mehr Erwachsene halten ihren Stofftieren über die Kindheit hinaus die Treue und entwickeln dabei mit leidenschaftlicher Hingabe einen Sammeltrieb für Teddys, der in der kalten Wissenschaftssprache "Arctophilie" genannt wird.

Die Erwachsenen sind inzwischen eine unverzichtbare Zielgruppe für die Teddybären-Hersteller. Der Marktführer Steiff, der im Jahr über 400.000 Bären mit dem berühmten Knopf im Ohr herstellt, erwirtschaftet allein 40 Prozent seines Umsatzes im Erwachsenenmarkt. Wie kaum ein anderer hat Steiff diese Änderung in der Marktstruktur instinktiv aufgenommen und anfangs der neunziger Jahre mit der Gründung des Steiff-Clubs darauf reagiert, dem bereits 40.000 Mitglieder angehören. Das Erfolgsgeheimnis für die Steiff-Bären dürfte in der hohen Qualität der rein handwerklichen Herstellung liegen, die dem Teddy erst seinen individuellen Ausdruck verleiht. Steiff gehört damit zu den letzten großen Betrieben, die auf diese Weise in Deutschland produzieren, während in anderen Bereichen solche Tätigkeiten entweder in das Ausland verlagert oder vollkommen automatisiert worden sind. Natürlich hat diese Qualität auch einen hohen Preis: unter 150 Mark ist selten ein Steiff-Tier zu bekommen.

Am vergangenen Wochenende öffnete nun in Hennef die weltweit größte Verkaufsmesse für Bärensammler ihre Pforten, die "Teddybär Total", die seit sieben Jahren von der Fachzeitschrift Teddybär und seine Freunde ausgerichtet wird. Auf 1.500 Quadratmetern gab es dort 540 Stände aus 14 Nationen. Hier war alles erhältlich, was das Sammlerherz begehrt, Schnittmuster und Rohmaterialien zum Selbermachen, Künstlerbären, Fachliteratur und natürlich alte und neue Bären zum Sammeln. Höhepunkt der Veranstaltung war neben weiteren Sonderveranstaltungen die Verleihung des "Goldenen George", ein dem Film-Oscar vergleichbarer Preis, an die schönsten Bären.

Mehr als 15.000 Besucher wurden erwartet, denen 50.000 Teddybären gegenüberstanden, die ein neues Zuhause suchten. Oft mußten Sammler sehr tief in die Tasche greifen, wenn sie zu einem begehrten Exemplar kommen wollen. Aber das Zugreifen lohnt sich, denn die Wertsteigerung ist sicherer als bei mancher Aktie der "New Economy", die über Nacht zu bloßem Papierwert verkommen mag. Viele Besucher kamen mit ihren eigenen Teddys, um sie dort von eigens eingerichteten Stellen in ihrem aktuellen Wert schätzen zu lassen oder auf einer der gleichzeitig stattfindenden Auktionen zu versteigern.

Wer aber meint, Teddybären wären für die Messebesucher einfach "nur" ein Produkt zum Sammeln und Spekulieren, der irrt sich gewaltig! "Teddybären können Sie nicht kaufen", erklärt mir eine Ausstellerin, "die können Sie nur adoptieren. Sie zahlen keinen Kaufpreis, sondern eine Adoptionsgebühr. Denn was Sie kaufen, stellen Sie nur irgendwo hin, aber um einen adoptierten Teddybären müssen Sie sich kümmern. Der Bär will gestreichelt und gekuschelt werden."

Worin erklärt sich der Erfolg der Teddybären unter den Erwachsenen? Der Bärenboom fällt in die Phase, in der dem amerikanischen Kulturkritiker Robert Bly zufolge sich die "kindliche Gesellschaft" herausbildete. Auf der Flucht vor der Verantwortung des Erwachsenendaseins schieben immer mehr Menschen das Stadium des Heranwachsens hinaus. Der Teddybär, zu dem man schon in der Kindheit ein emotionelles Verhältnis aufgebaut hat, wird zum Symbol für diese Flucht, ein Bindeglied zu der Zeit, da die Menschen als Kinder jeder Verantwortung für ihr Leben entbehrten. Hier dürfte der Ursprung der Arctophilie zu suchen sein.

Gerade für die Alleinstehenden unter den Arctophilen hat der Teddybär auch eine wichtige soziale Ventilfunktion. Mehr denn je ziemt es sich heute nicht, in der Individualisten-Gesellschaft der abgekapselten Herzen von Gefühlen zu sprechen. Wer das versucht, schaufelt sich oft sein eigenes Grab. Aber der Teddybär hört als einzig akzeptabler Ansprechpartner einem immer zu und verzieht dabei nicht das Gesicht, und so scheut sich auch niemand, dieses Stück Vertrautheit aus der Kindheit zum Kuscheln mit ins Bett zu nehmen. Denn was für kleine Kinder gut ist, muß für solche Erwachsene nicht unbedingt verkehrt sein. Der Schmusebär wird zu einem unverzichtbaren Halt in einer schwer durchschaubaren Welt. Es ist also nicht verwunderlich, wenn die Schweizer Sammlerin Christine Steiger feststellt, daß wir in einer Zeit leben, die Teddybären brauche.

Frauen stellen die Mehrzahl der Arctophilen. Für sie ist der Teddybär zweierlei, Kummerkasten und Kindersatz, der ihre mütterlichen Beschützerinstinkte weckt. Geschickt vermochten die Produzenten von Teddybären im Verein mit Verhaltensforschern diesen genetisch verankerten Trieb auszureizen, indem sie mit Beginn des Bärenbooms die Teddys immer weiter dem biologischen Kindchenschema anpaßten. Der Teddybär entfernte sich dadurch von seinen tierischen Vorbildern und nahm in seiner Form zunehmend menschenähnliche Gestalt an, die mit einem freudigen Lachen noch verstärkt wurde. Er wurde runder, seine Extremitäten und seine Schnauze kürzer, und auch sein Gesicht nahm wie bei einem Menschenbaby eine fülligere Form an. Die durch Nachwuchsmangel nicht entfalteten Muttergefühle haben nun eine Möglichkeit gefunden, sich an anderer Stelle zu entwickeln. Wer in Hennef die Besucherinnen aufmerksam beobachtet hat, wird feststellen, daß die meisten von ihnen ihre Lieblinge nicht achtlos an der Hand herunterhängen ließen oder gar in einer Tüte verstauten, sondern wie ein Kleinkind geradezu zärtlich im Arm liegend verwahrten.

Nächstes Jahr wird der Teddybär 100 Jahre alt. Bärensammler sollten sich daher in ihrem Kalender den 27. und 28. April 2002 vormerken, wenn dann in Münster/Westfalen die große Geburtstagsfeier stattfindet. In dieser Zeit hat der Teddybär schon manche kurzfristige Erscheinung auf dem Spielzeugmarkt überlebt, und er wird mit Sicherheit auch über die gegenwärtige Pokemon-Welle unbeschadet hinweggehen. Allein wegen seiner hilfreichen psychologischen Wirkung für viele Menschen sei ihm eine lange Lebensdauer in alter Frische gegönnt.


 
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