© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Opfer für die Nation
Zeitgeschichte: Der Deutsche Widerstand wird zum lästigen Erbe
Karlheinz Weißmann

Die Demontage des deutschen Widerstands als moralische Bezugsgröße hat eine Vorgeschichte. Damit sind nicht das Unverständnis und die Feindseligkeit der ersten Nachkriegsjahre gemeint, als in weiten Kreisen der Bevölkerung das Bild der "Eidbrecher", der "Verräter", der "Feiglinge" herrschte. Die neue Infragestellung kommt nicht von rechts, sondern von links, sie geht nicht zurück auf die unmittelbaren Erfahrungen der NS-Zeit und des Krieges, sondern auf den kulturellen Wandel der sechziger und siebziger Jahre.

Offiziell war der moralische Rang des Widerstands, vor allem der Männer des 20. Juli, auch damals undiskutierbar, aber in einem Buch, das junge Bundeswehr-Offiziere 1977 für die Reihe rororo-aktuell herausgaben, hieß es über die Verschwörer: "Hätten sie Erfolg gehabt, wäre am ehesten noch ein schwarz-weiß-roter Ständestaat entstanden; gewissermaßen das Dritte Reich minus Hitler, Rassenwahn und KZ." (Bernd C. Hesslein) Die Vorstellung, daß Stauffenberg und sein Kreis eigentlich "Auch-Nazis" oder "Faschisten" gewesen seien, hat sich seitdem immer weiter verfestigt. Die Orientierung an der Nation als maßgeblichem Wert machte sie verdächtig, ihr Christentum galt als anachronistisch, ihr Konservatismus als indiskutabel. Es paßte und paßt nicht in das progressive Geschichtsbild, daß der einzige bedeutsame Widerstand gegen Hitler von Kräften der alten Elite getragen wurde und auf tradierten Ideen beruhte.

Insofern besteht auch ein Zusammenhang zwischen der zitierten Stellungnahme und der Aktion, die am 20. Juli 1994 zur Besetzung der Gedenkstätte im ehemaligen Bendler-Block durch ein "Antinationales Aktionsbündnis" führte. Die Militanten waren zwar nur ein verwirrtes Häuflein, aber die taz äußerte demonstrativ Wohlwollen für die "begrüßenswerte Intervention", und mehr noch, das typische Mitglied des militärischen Widerstands wurde bei der Gelegenheit apostrophiert als jemand, der "... selbst schuldbeladen und fern von jeder demokratischen Gesinnung, mit dem Attentat seinen eigenen Kopf angesichts der unausweichlich gewordenen Niederlage der deutschen Mordbrenner retten wollte" (Gerd Nowakowski).

Es fand diese Denunziation im Namen eines Antifaschismus statt, dessen Strategie immer darin bestand, die aristokratischen, bürgerlichen und religiösen Gruppen des Widerstands zu marginalisieren oder unreiner Motive zu verdächtigen, wohingegen die linke Opposition, ganz gleich welche Ziele sie sonst verfolgte (etwa die Errichtung einer deutschen Sowjetrepublik), ins helle Licht der Untadeligkeit trat. Gab es in Westdeutschland noch einen Rest an Zurückhaltung gegenüber dem kommunistischen Untergrund, richtete sich die Aufmerksamkeit statt dessen auf kleinere sozialistische Gruppen, die allerdings bedeutungslos waren, oder es wurde ein so weit gefaßter Widerstandsbegriff zugrunde gelegt, daß auch abweichendes Sozialverhalten, wie bei den "Wilden Cliquen" der Kriegsjahre, unter diesem Rubrum erfaßt werden konnte. Die Vorstellung, daß die Aufkündigung allgemein akzeptierter Verhaltensnormen bis hin zu Diebstahl und Gewalttätigkeit als "Widerstand" betrachtet werden dürfe, war zwar absurd, gab aber dem Zeitgeist Ausdruck.

Ganz unberührt von diesem Wandel schien der Nimbus der "Weißen Rose", und das nicht allein wegen des Märtyrerschicksals ihrer Protagonisten. Die Gruppe um die Geschwister Scholl hatte auch früher eine herausragende Stellung in der Geschichte des Widerstands gehabt, aber jetzt fand eine Akzentverschiebung statt, die ihren ideologischen Nutzen erhöhte. Aufschlußreich dafür war der Versuch einer direkten politischen Instrumentalisierung in dem Film "Die Weiße Rose" von Michael Verhoeven aus dem Jahr 1982. Hier wurde nicht nur die Identifizierung von Bundesrepublik und Drittem Reich, sondern auch von Widerstand damals und "Widerstand" heute (gegen den Atomstaat, gegen die Nachrüstung etc.) nahegelegt. Die "Weiße Rose" erschien als Ikone der reinen Moralität, eines Ethos, das für alle Zeiten gültig das Individuum zum Kampf gegen die politischen Gewalten anhält.

Allerdings war die Berufung auf das Erbe nur möglich, indem man die konkreten historischen Umstände ausblendete oder in ihrer Bedeutung minimierte, etwa die frühe NS-Begeisterung von Hans und Sophie Scholl, die Bedeutung des Bündischen, die ausgesprochen nationale Orientierung auch dieser Gruppe des Widerstands, die in ihren Flugblättern die Erinnerung an die Befreiungskriege beschwor: "Auf uns sieht das deutsche Volk! Von uns erwartet es, wie 1813 die Brechung des Napoleonischen, so 1943 die Brechung des nationalsozialistischen Terrors aus der Macht des Geistes. Beresina und Stalingrad flammen im Osten auf, die Toten von Stalingrad beschwören uns! ’Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!‘ Unser Volk steht im Aufbruch gegen die Verknechtung Europas durch den Nationalsozialismus, im neuen gläubigen Durchbruch von Freiheit und Ehre."

Wenn jetzt auch die Bedeutung der Weißen Rose in Frage gestellt wird, hängt das kaum damit zusammen, daß man plötzlich den Kontext begriffen hätte. Die "Historisierung" des Widerstands spielt keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr geht es um eine Dekonstruktion, die weniger politischen Zielen dient als der Egalisierung des moralischen Niveaus. In dem Maß, in dem in den letzten Jahren die Kollektivschuldthese zu neuen Ehren kam, wuchs das Bedürfnis, alles einzuebnen, was dieser Deutung widersprach. Die immer wieder behauptete (aber nirgends bewiesene) Beteiligung von Protagonisten des militärischen Widerstands an der Massenvernichtung der Juden gehört ebenso in diesen Zusammenhang wie der neuere Versuch, die Weiße Rose als weniger wichtigen, in seinem Tun jedenfalls fragwürdigen Teil der Opposition darzustellen.

Peter Hoffmann hat in seiner großen Arbeit über Stauffenberg und seine Brüder sehr zutreffend festgestellt, daß man diesen ganzen Vorgang als sozialpathologisch betrachten muß, weil er in der Unerträglichkeit des außergewöhnlichen Einzelnen für die gewöhnlichen Vielen wurzelt: "Die Tabuisierung natürlicher oder institutionalisierter Ungleichheiten, die Voraussetzung der Gleichheit als geltende Übereinkunft der gegenwärtigen politischen Kultur erschweren den Zugang zu Vorstellungen, die pauschale Gleichmacherei ablehnen. Die vielberufene Gleichheit ist aber eine Sprachregelung ohne Entsprechung in der Wirklichkeit."

Es gehört zum Elend der Gegenwart, daß Größe in ihr keine Anerkennung findet. Die stete Neigung des Zeitgenossen, von seiner eigenen moralischen Verfassung auf die der anderen, auch die der anderen in der Vergangenheit zu schließen, richtet – richtet aber nur ihn selbst.


 
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