© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Altersvorsorge
Karl Heinzen

Pflichtbewußtsein, Fleiß, Aufrichtigkeit, Hilfsbereitschaft, Verläßlichkeit, Anstand, richtiges Benehmen: lauter gute, alte Werte sollten Kinder, wenn es nach Doris Schröder-Köpf gehen würde, mit auf den Weg bekommen, damit sie zu Menschen heranwachsen, die unseres Gemeinwesens würdig sind. Als Mutter einer Tochter gehört die Kanzler-Gattin in ihrer Generation bereits zu einer Minderheit unter den Frauen – kein Wunder also, daß ihr Wort zu Erziehungsfragen Gewicht hat und es eine richtig hübsche, kleine Debatte ist, die sie da mit ihren Plaudereien in der "Bild" Zeitung ausgelöst hat.

"Beim Thema Geld spielt die Vorbildfunktion der Eltern eine große Rolle", meinen beispielsweise die Multimillionäre Thea und Günther Jauch. "In dem Moment, in dem Sie den Kindern das Gefühl geben, daß Geld der Maßstab für ein sinnerfülltes Leben ist, hat man schon verloren." Bei so viel Antimaterialismus ist es ein leichtes, das monatliche Taschengeld der Tochter auf zwölf Mark zu drücken. Oskar Lafontaine hingegen setzt auf "Treue und Verläßlichkeit". Seinen vierjährigen Sohn aus vierter Ehe hat er schon zum Französisch-Unterricht geschickt, damit er diese Begriffe gleich in zwei Sprachen kennenlernt. Christine Bergmann ist damit verglichen eher pragmatisch: "Grenzen sind nötig, auch gerade beim Konsum oder beim Fernsehen". Die Familienministerin hat ein Gefühl dafür, daß bereits Minderjährigen die Akzeptanz der Ökosteuer einzubleuen ist.

Bei so viel Härte, die aus der pädagogischen Praxis der Prominenz durchscheint, läßt sich natürlich auch "Bild"-Experte Peter Struck, Erziehungswissenschaftler an der Universität Hamburg, gerne aus der Reserve locken. Die Freude, endlich über die angemessene Bestrafung von Kindern phantasieren zu dürfen, ist ihm anzumerken. Seine Rache an seinem Studienmaterial ist süß: "Eine gute Erziehung ist eine ausgewogene Mischung aus Loben, Ignorieren und Strafen." Der Geist der Kadettenanstalten soll in den Familien wiederauferstehen.

Das Augenmerk der Prominenz auf eine sozialverträgliche Aufzucht des autochthonen Nachwuchses ist verständlich. Erziehung ist kein Selbstzweck, sondern dient dem Schutz der Alten vor den Jungen. Dabei geht es natürlich auch um ganz alltägliche Sachfragen, um kinderfreie Abendstunden und eine Eindämmung der intrafamilären Umverteilung. Hier müssen Kinder lediglich begreifen, daß sie als Accessoires elterlichen Lebenssinns zurückzustecken haben, wenn sie mit beruflichen Verpflichtungen oder Freizeitinteressen kollidieren. Erziehung ist vor allem aber ein gesellschaftliches Anliegen, das daher auch jene berührt, die keine Kinder mehr haben. Noch nie hatten Generationen so sehr die Rache ihrer Kinder und Enkelkinder zu fürchten wie jene, die jetzt das Sagen haben. Wenn sie sich nicht ausschließlich auf ihre Heloten verlassen wollen, sind sie gut beraten, schon heute jene Disziplin einüben zu lassen, auf der ihre Altersvorsorge aufbaut. 


 
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