© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
"Was Sie da machen, ist Faschismus!"
Kiel: Ein Kurzauftritt des Alt-68ers Reinhold Oberlercher bei einer Gedenkveranstaltung für Ulrike Meinhof sorgt für politischen Wirbel
Jochen Arp

Schreckliches hat sich in Kiel ereignet, jener Hauptstadt Schleswig-Holsteins, in der traditionell die Sozialdemokratische Partei die Mehrheit bildet. In diesem Kiel nun hatte die schleswig-holsteinische Landeszentrale für politische Bildung, der selbstverständlich ein Sozialdemokrat vorsteht, anläßlich des 25. Todestages von Ulrike Meinhof zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen, und zwar in das kommunale Kommunikationszentrum "Pumpe", bislang vorbehalten linken und noch linkeren Veranstaltungen. Ein weithin unbekannter Professor sollte über "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der 68er-Idee" referieren, doch sagte er einige Wochen vor der Veranstaltung ab.

In ihrer Verlegenheit kam die Landeszentrale auf einen im nahen Hamburg seit vielen Jahren virulenten Alt-68er, damals das Haupt der krawallierenden und aus dem "roten Buch" Maos unentwegt zitierenden Linken, einer der Spitzenmänner des SDS und Freund Rudi Dutschkes, nämlich auf den heutigen Privatgelehrten Reinhold Oberlercher. Ihn rief der verantwortliche Referent der politischen Bildung, Klaus Krellmann, an, um ihn als Ersatzreferenten zu gewinnen. In zwei längeren Telefongesprächen verständigte man sich; Oberlercher empfahl, wenn man Näheres über seinen politischen Weg und seine jetzige Einstellung wissen wolle, möge man im Internet nachsehen ( www.deutsches-reich.de/oberlercher ). Man wurde sich einig, und so saß Reinhold Oberlercher am 7. Mai auf dem Podium in dem mit 150 Leuten, zum großen Teil offenbar Schulklassen, unter ihren Alt-68-Lehrern, gut gefüllten Saal und hub zu reden an. Aber weit kam er nicht.

In den ihm verbleibenden sieben Minuten konnte er gerade noch erläutern, daß die jetzige rot-grüne Bundesregierung den "68er Mythos" nur benutzte, um das Land zu einem "amerikanischen Vasallenstaat" zu machen. Damit verrate sie die 68er Ideen, denn die seien "klar anti-imperialistisch, anti-amerikanisch und anti-israelisch" gewesen. Die Bundesregierung aber sei ein "Propagandist der Fremdherrschaft gegen das deutsche Volk". Als er dann ein Manifest verlesen wollte, das er zusammen mit dem Rechtsanwalt Horst Mahler, der die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigt, verfaßt hat, wurde aus einzelnen schüchternen Zwischenrufen ein Tumult. Man überbrüllte sein Referat, was Oberlercher zu der laut verkündeten Feststellung veranlaßte: "Was Sie da machen, ist Faschismus!" Kellmann, der die Veranstaltung leitete, wußte sich nicht anders zu helfen, als Oberlercher zu verbieten, sein Referat fortzusetzen, was ihm Oberlerchers Vorwurf einbrachte, er sei "ein erbärmlicher Feigling". Dann mußte die Versammlung unterbrochen werden.

Vor allem junge Zuhörer drängten sich dann um Oberlercher, um ihn mit Fragen zu überschütten. Sie wollten mehr wissen von seinen politischen Vorstellungen, mehr davon, wie sein Weg vom SDS-Funktionär zu seiner heutigen Position zu erklären sei. Daraus wurde nicht viel. Die Diskussion wurde beendet, indem man einen Film über Ulrike Meinhoff vorzuführen begann, woraufhin Oberlercher nach Hause ging.

Oberlercher gehört mit seinen politischen Vorstellungen zweifellos nicht zur "Neuen Rechten", wessen er von den Veranstaltern beschuldigt wurde. Er selbst bezeichnet sich als "National-Marxist", der Marx’ "Kapital" zu Ende geführt und den "Marxismus zu einem System der Sozialwissenschaften" gemacht habe. Das hätte er in seinem Referat auch entwickelt, doch erträgt man, so Oberlercher, heute genausowenig wie in den sechziger Jahren eine Meinung, die gegen die offizielle Hauptströmung steht. Zudem sei kein Platz für differenzierte Darstellung und bemühtes Verstehen. Wer sich mit Rechts beschäftigt, der habe ein holzschnittartiges Bild im Kopf, auch wenn er keine Zeile der Rechten gelesen hat.

Und das erwies sich auch in dem Skandal, den der Kurzauftritt Oberlerchers in Kiel ausgelöst hat. Offenbar das schlimmste Ergebnis seiner kurzen Ausführungen sei es gewesen, so berichteten die Kieler Nachrichten, daß die Zuhörer nicht gewußt hätten, ob sie einen Rechten oder einen Linken vor sich gehabt hätten. Man darf aber keinen Staatsbürger unserer Republik verunsichern; man muß ihm vorher deutlich sagen, ob er auf einen bösen Rechten oder einen guten Linken stößt, damit er seine Sympathie oder seine Ablehnung demonstrieren kann, meint offenbar das Kieler Lokalblatt. Selbst zu denken, um sich ein Urteil zu bilden, ist durchaus unwillkommen.

Ins Schußfeld ist zunächst die Landeszentrale für politische Bildung geraten. Der SPD-Landtagsabgeoradnete Jürgen Weber forderte, das Auftreten Oberlerchers müsse schleunigst im Landtagsausschuß für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport behandelt werden; der CDU-Abgeordnete de Jager entrüstete sich: "So etwas darf sich nie wiederholen!" Die Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave soll zu einer Sondersitzung des für die politische Bildung zuständigen Kuratoriums einladen. Sie verlangt eine "sofortige Erklärung" zu den Vorgängen und hat sogar herausgefunden, daß Oberlercher "antisemitisches Gedankengut" pflege, ein Vorwurf, auf den bisher noch niemand gekommen ist.

In die Bredouille ist der dem liberalen Flügel zuzurechnende Referent der Landeszentrale, Klaus Kellmann, geraten. Er hat sich in der Vergangenheit als profunder Kenner des Kommunismus in Westeuropa einen Namen gemacht. Seine Bücher "Die kommunistischen Parteien in Westeuropa" (1988) und "Pluralistischer Kommunismus? Wandlungstendenzen kommunistischer Parteien in Westeuropa" (1984) gelten als Standardwerke.

Oberlerchers Thesen sind weder überraschend noch besonders neu. Ende 1998 veröffentlichte er zusammen mit den ehemaligen SDS-Mitgliedern Horst Mahler und Günter Maschke eine skurrile "Kanonische Erklärung zur Bewegung von 1968", in der die drei sich dagegen verwahren, daß die Ideen der ’68er mißbraucht würden "von Funktionären und Propagandisten der Fremdherrschaft über das deutsche Volk im besonderen wie der globalimperialistischen Kapitalherrschaft über die Völker der Welt im Allgemeinen" und in der sie auf "das Recht eines jeden Volkes auf nationalrevolutionäre und sozialrevolutionäre Selbstbefreiung" beharren.

Jedenfalls soll sich jetzt die politische Bildung in Schleswig-Holstein entschuldigen, wie die SPD wenig originell fordert. Fragt sich nun, bei wem? Bei Oberlercher, weil er, obwohl man ihm 45 Minuten Redezeit zusagte, nach sieben Minuten das Mikrophon räumen mußte? Oder bei den 150 Zuhörern im Saal, von denen allerdings keiner angesichts Oberlerchers Redebruchstücke vom Schlag gerührt wurde oder erblindete?


 
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