© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Traum und Alptraum
Ausstellung: "Isadora und Elizabeth Duncan" in Berlin
Doris Neujahr

Cosima Wagner und Isadora Duncan hatten Humor. Beim ersten Zusammentreffen vor dem Festspielhaus, als Isadora in Sandalen und antiker Gewandung Cosima gegenübertrat, fragte diese: "Sagen Sie, Isadora, tragen alle Amerikaner solche Kleidung?", worauf Duncan antwortete: "Oh nein, manche tragen Federn." Ihr Erfolg war zu diesem Zeitpunkt noch keineswegs sicher. Nicht nur Banausen lehnten ihre neue Art zu tanzen ab, auch Hugo von Hofmannsthal verspottete sie als "Professor der Archäologie". Doch Cosima Wagners Blick war schärfer. Sie erkannte das Talent der jungen Amerikanerin und hatte keine Bedenken, ihr die Tore zur Bayreuther Gralsburg zu öffnen, wo Duncan 1904 das Bacchanale in "Tannhäuser" choreographierte.

Isadora Duncan, geboren 1877, ist die Begründerin des modernen Ausdruckstanzes. Sie sprengte die Konventionen des klassischen Balletts, tanzte barfuß, trug statt Gaze-Röckchen wallende Schleier und Gewänder, und anstatt Pirouetten zu drehen, erlaubte sie sich die freie Bewegung der Arme und Beine, was den verblüfften Zeitgenossen wie ein "Herumhüpfen" vorkam. Doch Cosimas Angebot war keine spontane Laune. Vergleicht man Duncans Aufsatz "Der Tanz der Zukunft" (1903) mit Schriften Richard Wagners, findet man wenigstens zwei gemeinsame Inspirationsquellen: Die Philosophie Schopenhauers, der das gleichgewichtige "Verständnis der Natur und des eigenen Selbst" und die ideale Identität von Physiologie und Psychologie des Menschen pries, und die Bewunderung für die griechische Kultur.

Während Wagner vom "wirklichen Menschen" sprach, der der "wahren menschlichen Natur, nicht willkürlichen Staatsgesetzen", gehorchte, trachtete Isadora Duncan nach dem "wahren Tanz" , der "mit den Bewegungen, wie mit den Formen, die die Natur schuf", harmonierte. Wagner sah im antiken Griechenland die ideale Synthese aus "höchster Wahrheit und Schönheit" verkörpert, für Duncan lag im Griechentum der Ursprung ihres Tanzes. Sie studierte griechische Kunst und ließ sich für ihre Choreographien von antiken Bildnissen, Formen und Bauwerken anregen. Hier findet der Ausstellungstitel seine Begründung: "Das Land der Griechen mit dem Körper suchend".

Diesen "Traum eines neuen Tanzes" sollte eine Frau verwirklichen. Indem sie ihren "vollkommensten Menschenleib", ihre körperlich-seelische Individualität vollendete, würde sie gleichzeitig zum Archetypus aufsteigen. Duncans Gedankengänge wirken wie ein vorweggenommener Kommentar zum "Olympia"-Film von Leni Riefenstahl, die in der von Duncan begründeten Tradition, als Ausdruckstänzerin, ihre Laufbahn begann.

Isadora Duncans Leben ungewöhnlich zu nennen, wäre eine glatte Untertreibung. Es war ein Wechselbad von kometenhaften Erfolgen und füchterlichen Katastrophen, das einem weniger starken Menschen die Haut vom Leibe geblättert hätte. Seit 1900 feierte sie in Europa, vor allem in Deutschland, mit ihrem Tanz die ersten Erfolge. Bald verdiente sie mit ihren internationalen Gastspielreisen genug Geld, um in Berlin – gemeinsam mit ihrer Schwester Elizabeth – eine eigene Freitanzschule zu gründen und die Kosten aus ihren Auftritten zu bestreiten.

Durch Krieg, Bankrotte, Überschuldungen, Betrug ging ihr das Vermögen immer wieder verloren. In Paris, wo sie zeitweise lebte, stürzten ihre zwei Kinder mit einem Auto in die Seine und ertranken, ein drittes wurde tot geboren. Schon ihr Vater war bei einem Schiffsunglück ertrunken. 1922 heiratete sie den viel jüngeren russischen Dichter Sergej Jessenin, der sich 1925 das Leben nahm. Zu diesem Zeitpunkt war der moderne Tanz, den sie mehr als jeder andere revolutioniert hatte, unmerklich über sie hinweggegangen. Sie starb 1927 auf einer Autofahrt bei Nizza, als ihr langer Schal sich in den Radspeichen verfing. Ihr Nachlaß ging 1999 bei einem Wohnungsbrand in New York verloren.

Das Berliner Kolbe-Museum konnte dennoch längst nicht alle Exponate, die an sie und ihre Kunst erinnern, ausstellen. Zu sehen sind Fotografien – darunter außerordentlich ausdrucksstarke ihrer Tanzszenen –, Grafiken, Skulpturen, Bewegungsstudien von Kaulbach und ein luftiges Tanzgewand. Auf einem Monitor flimmert die einzige Filmsequenz, die von Isadora Duncan erhalten ist: Sie dauert ganze sechs Sekunden und wurde 1899 in London aufgenommen. Die Ausstellung umreißt ein hochinteressantes, in Deutschland bislang leider kaum beackertes Forschungsfeld.

 

"Isadora und Elizabeth Duncan. Das Land der Griechen mit der Seele suchend". Die Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, ist bis zum 4. Juni geöffnet. Der Katalog kostet 48 Mark.

 

Isadora Duncan im Athener Dionysos-Theater (1903)


 
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