© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Mastschweine im Humanismus
Kino: "Die Einsamkeit der Krokodile" von Jobst Oetzmann
Ellen Kositza

Elias (Max-Ophüls-Preisträger Janek Rieke), knapp dreißig vielleicht, ist Journalist. Jedenfalls wäre er es gern. Was ihm fehlt dazu, ist das notwendige Geschick im Umgang mit Menschen, die Fähigkeit zu souveräner Gesprächsführung. Ist Elias nervös, verselbständigt sich seine Sprache, und die letzten Worte seiner Sätze hallen als Echo seinem Gegenüber zu. Günther (Thomas Schmauser) war ein entfernter Cousin von Elias. Günther, den dörflichen Gefilden Ostwestfalens entstammend, hat Selbstmord begangen – so heißt es. Diesem Tod ist der Hamburger Elias nun auf der Spur. Er befragt Verwandte und mietet sich in eine Pension in Günthers Heimatort ein, um das Leben seines Cousins zu rekonstruieren.

Das Dorf erweist sich als hinterweltlerisches Kaff mit allerengsten Strukturen, und schnell stellt sich heraus: Auch Günther war ein Einzelgänger, unverstanden wie Elias. Als Metzgersohn hatte Günther zwischen Schweineblut und hängenden Tierleibern im Laufstall gesessen – das prägt, klar. Aus dem Säugling wird ein musischer Knabe, Geige spielend unter Kadavern, und schließlich ein Paderborner Philosophiestudent. Dann, längst akademisch unterwiesen, gründet er mit dem debilen Dorftrottel Roland den "Club der fahrradenthusiastischen Schweinemasttouristiker", saust durch den Schweinestall, deklamierend: "Der Humanismus hat vor den Mastschweinen und der Massentierhaltung versagt!"

Der schlaue Günther also ist tatsächlich anders als die anderen, die im Wirtshaus oder die Jungs von der Dorffeuerwehr. Das ist peinlich, doch noch geht das Leben weiter. Schließlich nämlich tritt Mary ins Blickfeld von Spürnase Elias. Sie, die schwergewichtige schwarze Rapperin (gespielt von "Weather Girl" Dynelle Rhodes), war Günthers heimliche Geliebte. Wer die Moral der Geschichte – via Außenseitertum, Intoleranz, enge gemeinschaftliche Strukturen – also jetzt noch nicht geblickt hat, bekommt es nun ganz dicke. Es fallen Sätze wie: "Come on, honey. Wir zeigen ihnen, daß wir das verdammt beste Liebespaar sind seit Scarlett O’Hara und Rhett Butler." Der Zuschauer windet sich ein wenig im Kinosessel und schämt sich. Den Rest kann man sich leicht denken; langsam, ganz langsam, kommt Elias, mittlerweile ebenfalls Feindbild der blöden Dorfjugend, hinter das Geheimnis, das im Grunde nie eines war.

Da dachte man, solcher Stoff wäre längst ausgelutscht. Vor zehn Jahren wäre der ausdrückliche Ansatz, "unsere Vorstellung von ’Normalität‘ zu hinterfragen und neu zu definieren", womöglich eine beinahe neue Formulierung gewesen. Daß dieser pointenfreie Film mit Grundschultiefgang nun ausgerechnet den Bayerischen Filmpreis erhielt, ist typisch. Bayern, Provinz, einfach ein paar Jahre hintendran am Trend. Natürlich ist eine solche Geschichte einigermaßen glaubhaft. Nur, reicht das, um sie zu erzählen? Gut, larmoyant kommt der Fall des Überfliegers inmitten räumlicher wie geistiger Provinz immerhin nicht daher. "Lakonisch" soll der Ton des Vorlageromans von Spiegel-Reporter Dirk Kurbjuweit sein, "humorvoll-sympathisierend" seine Verfilmung. Tatsächlich ist es eine eher langweilige, bisweilen täppisch erzählte Geschichte, gleichsam aus dem Repertoire aktueller Mittelstufen-Pädagogik (Thema: "Anders-sein") gegriffen.


 
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