© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Hitlermania
Theater: Willy Praml inszeniert "Liebesbriefe an Adolf Hitler – Briefe in den Tod" in Frankfurt am Main
Mark Schenke

Die Naxoshalle in Frankfurt. Seit1896 wurde hier Korund –Hauptbestandteil von Schmirgel – hergestellt. Nun ist alles schwarz getüncht. Weiß nur die Marmorplatten, die in der hinteren Ecke auf einem zusammengestürzten Haufen – Symbol der zerstörten Reichskanzlei – liegen. Von hier bilden sie, gebrochen und wacklig übereinandergeschichtet, einen Weg diagonal über die Bühne hinweg. Er führt zu einem Hackklotz. Dort steckt eine soeben zur Ruhe gekommene Axt. Die Schlacht ist vorbei. Die Trümmer der Selbstinszenierung Adolf Hitlers sind unübersehbar.

Ratlos zurück bleiben die deutschen Frauen. Fast alle standen sie verzückt am Straßenrand der großen Triumphzüge der Jahre 1939/40. In dieser Stunde Null wachen sie auf, schauen sich ein wenig verschlafen um und stellen erschrocken fest, mit welchem Liebhaber sie sich da ins Bett gelegt haben.

Nachdem das Thema der männlichen Dienstbereitschaft nach Ende des Krieges zur Genüge plakatiert und abgehandelt wurde, nimmt das Theater Willy Praml nun den weiblichen Teil des deutschen Volkes unter die Lupe: Was war an Hitler erotisch? Wie konnte dieser Mann Frauen in sexuelle Erregung versetzten? Kann man eine Bestie lieben?

Corpus Delicti ist das von Helmut Ulshöfer 1996 herausgegebene Buch "Liebesbriefe an Adolf Hitler – Briefe in den Tod", nach dem auch die Inszenierung benannt ist. Es ist ein Auszug aus einer Sammlung von 8.000 Briefen, die von dem amerikanischen Offizier W.C. Emker bei heimlichen Streifzügen in der Reichskanzlei unmittelbar nach Kriegsende aufgelesen wurden. Wer hat diese Briefe geschrieben? Stellvertretend sitzen schwarzgekleidete Seniorinnen hinter Schulbänken, auf denen die profanen Symbole des Alltags aufgestellt sind: Herdplatte, Telefonbücher, Strickzeug, Bilder, ein Vogelkäfig. Sie sind Zeitzeugen aus dem Altenstift am Frankfurter Mousonturm und treten als Laienschauspieler auf. "Es ist meine ganz persönliche Abrechnung mit der Zeit", bekennt eine von ihnen nach Ende der Vorstellung. Sie alle werden diese Briefe zitieren, sie werden sie sezieren. Die ganze Naivität und Irrationalität der wild und blind in ihren Star Verliebten wird präsentiert. Eine gedrückte Stimmung im Raum.

Da zwingt Wagners Walkürenritt die Laien in die Formation. Beim Tanz "Liebestod" hält jede der alten Damen einen Reif in den Händen und feiert nach nationalsozialistischer Manier die Anmut des deutschen Weibes – wobei die Gebrechlichkeit der Tanzenden grotesk anmutet.

Doch so sehr sie den Führer auch verehrten, sie, als Vertreterinnen des Massenweibes, kamen ihm nie wirklich nahe. Um das Verhalten von Frauen in der unmittelbaren Umgebung von Mächtigen aufzuzeigen, bedient sich der Regisseur zweier konträrer weiblicher Typen. Hierfür wählte er Eva Braun, als Repräsentantin für weibliche Gefügig- und Unterwürfigkeit, und Winifred Wagner, die als androgyne Germania in wirklicher Freundschaft zu Hitler stand, aus. Die Rollen besetzte er mit den beiden Stammschauspielern seines 1990 gegründeten Ensembles.

Eva Braun, gespielt von Birgit Heuser, ist die im Schatten des "Führers" versteckte Mätresse. Am Tag ihrer Hochzeit, es ist der Untergang des deutschen Reiches, reflektiert sie ihr Dasein an seiner Seite und imaginiert die filmische Verarbeitung ihrer Liebesgeschichte mit Hitler im deutsch besetzten Hollywood. Hakenkreuze auf den Brüsten, Höschen mit Stars and Stripes und hochhackige "Bettstiefel" runden sie als nuttige Gestalt ab. Im Zenit ihres Erfolges und am Punkt seiner Niederlage erfolgt die Abrechnung der Verführten – Rache für ihren jahrelangen Sklavendienst. Sie hält ihm nun seine Phrasen vor und ist unerbittlich: "Deine Deutschen sollen sein: groß wie Göbbels, schlank wie Göring und Blond wie du!"

Eine Babypuppe ohne jedes Maß, wird sie als eine leicht zu entlarvende und damit ungefährliche Provokation dargestellt. Ihr Übermut verwandelt sie in Chaplins Karikatur des "großen Diktators". Da beendet eine archaische Schwertträgerin die peinliche Vorstellung der Konkubine. Winifred Wagner, hervorragend gespielt von Michael Weber, ist die maskierte Walküre. Ihr wirft sich die verkleidete Eva um den Hals. Ihr lag der "größte Feldherr aller Zeiten" zu Füßen. Winifred ist die Frau, die er anhimmelte, die er vergötterte. Mit dieser Frau konnte er Gespräche führen und seine Gefühle und Vorahnungen unausgesprochen teilen. Sie war sich selbst und ihrem verstorbenen Ehemann so treu und rein, daß nicht einmal Hitler sie erreichen konnte. Aber ihre Treue kam auch ihm zugute. Nach seinem Tod verkündet sie in einem Interview: "Ich bin in der Lage, Hitler vollkommen von dem zu trennen, was passiert ist. (…) Wenn ich zu einem Zuneigung gefaßt haben, dann bleibt die – durch dick und dünn!"

Es ist nicht die erste Inszenierung dieser Art. Regisseur Willy Praml, Jahrgang 1941, steht zu seiner deutschen Herkunft und Kultur. Er will die für ihn unfaßbaren Ereignisse künstlerisch verarbeiten. Dies hat er bereits in der Trilogie "Vatermord – Vaterlos – Vaterland" gezeigt. Insbesondere zu nennen ist hier "Patriotismus" von Mishima, aufgeführt im Frühjahr 1998 (JF 29/98). Die Erzählung erinnert an den kalten "faschistischen Stil" im Sinne Armin Mohlers. Das Ensemble näherte sich damals angenehm reflexionsfrei den Inhalten und feierte die Ekstase des Todes. Die Totalität der Darstellung bannte die Betrachter. Den einen zog es an – auf den anderen wirkte es abstoßend. Damit wurde die Basis einer Diskussion geschaffen. Alles stand im den Dienst der freien Kunst.

Diese Prämisse wird in der aktuellen Vorführung vernachlässigt. So erhält der Aufmerksame letztlich keine Horizonterweiterung. Und wenn man – Hitlerreden-beschallt – in die betretenen Gesichter des Publikums blickt, nimmt man erwartungsgemäß die politisch korrekten Regungen wahr: Hände vors Gesicht, Senken des Kopfes, verklemmtes Auflachen. Theater, das an die Grenzen gehen soll, muß dagegen unerwartete Fragen stellen, festgefügte Denkschablonen aufbrechen und unbekannte Schlußfolgerungen akzeptieren.

Was machte denn nun Hitler zu einem weiblichen Sexsymbol? Wieso folgten die Frauen? Am ehesten können hierbei die an der Kasse erhältlichen begleitenden Texte helfen. "Wir wußten, daß es geboten war, nichts davon zu wissen, was Sex bedeutete. ... Aber wenn er stattfand, überließen wir uns ihm wie einer Naturgewalt, von deren Vorhandensein wir bisher nichts geahnt hatten", so Sybille Knauss in ihrem 2000 erschienenen Roman "Evas Cousine" über die sexuellen Verhältnisse im Dritten Reich. Die Feststellung, daß Hitler Fans im heutigen Sinne hatte, beeindruckt Praml. Macht und Zügellosigkeit wirken damals und heute sexy. Im Jahr 2001 wird alles nur offener ausgelebt. Man wird das Gefühl nicht los, daß ein Liebesbrief mit der gleichen Motivation an einen Popstar geschrieben wird wie an einen erotisierten Feldherrn oder Henker.

Trotz Magenzwickens angesichts allzu flacher zeitgeistigen Attitüden wurde Willy Pramls Ensemble seiner grundsätzlichen Herausforderung gerecht, "theaterfremde Räume ästhetisch zu nutzen". Dies ist insbesondere Michael Weber zu verdanken, der neben seiner schauspielerischen Tätigkeit auch für die Bühnengestaltung und die Kostüme verantwortlich ist. So ist der Besuch ein allemal lohnendes Ereignis.

 

Aufführungen: Jeden Freitag und Samstag bis 23. Juni (außer am 1. und 2. Juni) Naxoshalle, Wittelsbacherallee 29. Kartenreservierung: 069 / 25 62 77 47

 

Publikumsgespräche:

27. Mai: Podiumsdiskussion mit Gästen zu den Themen "Was unterscheidet die Hitler-Verehrung von der Verehrung der Pop-Größen?" und "Darf man über Adolf Hitler Witze machen?", Naxoshalle, 11 Uhr

10. Juni: "Jugendliche befragen Großmütter" – Fragen von Jugendlichen an die Darsteller-Seniorinnen, Naxoshalle, 11 Uhr


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen