© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Manchen bitteren Becher geleert
Peter Huchel: "Wie soll man da Gedichte schreiben"
Doris Neujahr

Peter Huchels Sprachgefühl war untrüglich. Als der Leipziger Lyriker-Kollege René Schwachhofer dem Chefredakteur von Sinn und Form eine "Hymne" schickte, die mit den Versen endete: "Wie ein Wrack / Dahinschaukeln /Auf dem unermeßlichen Meer /Welches Leben heißt ...", beschied er ihn: "Besonders stört mich die banale letzte Zeile: ’Welches Leben heißt.‘ Wenn Sie etwa sagen würden: ’Wo jede Woge vom Leben leuchtet‘? Das ist natürlich hier nur so hingesagt. Aber die ganze Hymne fällt, wenn Sie die beiden letzten Zeilen nicht stärker gestalten." Seine Kompromißlosigkeit in ästhetischen Fragen ging einher mit Güte und Herzenstakt. Für den vereinsamten, am Buchmarkt kaltgestellten Alfred Döblin suchte und fand er in der DDR einen Verlag. Den berühmten Ernst Bloch machte er auf eine Widmung des in seiner Schweizer Heimat isolierten Kunsthistorikers Konrad Farner aufmerksam: "Er verdient vielleicht ein paar Worte von Dir, ich weiß, wie sehr er sich darüber freuen würde."

Huchel leitete und redigierte Sinn und Form von 1949 bis 1962. Seine Briefe zeigen, daß der legendäre Ruf, den die Zeitschrift damals in Ost und West besaß, unmittelbar an der Kompetenz und Noblesse ihres Chefs hing. Umgekehrt war sie für ihn der Lebensmittelpunkt. "Ohne Sinn und Form wäre die erhaltene Korrespondenz klein", schreibt der Herausgeber, der niederländische Huchel-Experte Hub Nijssen, im Nachwort. Nijssen hat die Briefe knapp und treffend kommentiert. Sie geben Einblicke in das Leben eines außerordentlichen Künstlers und in eine spannungsgeladene Periode deutscher Literatur- und Zeitgeschichte. Sie dokumentieren einen geistigen Austausch, in dem Sachfragen wichtiger sind als persönliche Eitelkeiten. Damit wirkt er heute seltsam anachronistisch.

Dabei waren es nicht nur ideologische Schwierigkeiten, die dem Chefredakteur das Leben sauer machten. Wegen Devisenmangels konnte er seine im Westen lebenden Autoren nicht angemessen honorieren. Nur ihre Loyalität zu Huchel band Herbert Ihering, Hans Henny Jahnn oder Hans Erich Nossak dauerhaft an die Zeitschrift. Die Eitelkeit mächtiger Personen, die sich in dem exklusiven Heft gern gedruckt sahen, war ebenfalls zu berücksichtigen, so mancher "bittere Becher (zu) leeren", wie Huchel 1953 mit Blick auf den Kulturminister Johannes R. Becher spottete.

Der undogmatische, weltoffene Marxismus, den Sinn und Form vertrat, rief frühzeitig die Dogmatiker auf den Plan. Ende 1962 erreichten sie ihr Ziel. Nach seiner Absetzung als Chefredaktueur traf Huchel die Rachsucht und Niedertracht mediokrer Verbands- und Parteifunktionäre, die ihm nicht verziehen, daß er sie als Autoren stets zu leicht befunden hatte. Die Korrespondenz seit 1962 spiegelt die schweren Erschütterungen wider, die Isolation, Demütigungen und materielle Not bei ihm auslösten.

Marcel Reich-Ranicki schrieb nach Huchels Entlassung: "Wir jedoch wollen ihm in aller Öffentlichkeit danken. Er sollte wissen, daß er nicht allein ist." Er war in der Tat nicht allein. Wenn seine schändliche Behandlung überhaupt eine gute Seite haben konnte, dann war es – neben dem Mut einzelner DDR-Autoren, die Kontakt zum Verfemten hielten – die von hüben nach drüben praktizierte Solidarität. Westdeutsche Kollegen und Kritiker sorgten dafür, daß er nicht in Vergessenheit geriet, und trugen dazu bei, daß er 1971 ausreisen durfte. Ein vermögender Mittzwanziger und Bewunderer der Huchelschen Lyrik ließ bei dem Mittellosen anfragen, ob er ihm eine Eigentumswohnung zur Verfügung stellen und "auch sonst bis auf weiteres alle Existenzsorgen abnehmen" dürfe. Clemens Graf Podewils, Generalsekretär der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der dieses Angebot überbrachte, riet dem auf Unabhängigkeit bedachten Huchel: "Sollten Sie mich fragen, was ich selbst davon halte, so würde ich antworten: Es gibt Augenblicke, Situationen – selten genug in unserer entpersönlichten Welt! –, in denen man die in reiner Gesinnung gebotene Hand ergreifen sollte."

Zunächst aber fuhr Huchel nach Rom, wo er in der Villa Massimo wohnte. Die dort geschriebenen Briefe und Karten an Freunde in Ost und West zeigen, wie der eben noch von der Welt Abgeschnittene sich unversehens in einen verwirrenden Strudel neuer Eindrücke, Verpflichtungen, Publikationen und Lesungen gezogen sah. "Wie soll man da Gedichte schreiben", stöhnte er. In Wahrheit haben ihm die Aufmerksamkeit und die Ehrungen, mit denen er überhäuft wurde, gutgetan. Und so legt man diesen Briefband am Ende einigermaßen versöhnt aus der Hand. 

 

Peter Huchel: "Wie soll man da Gedichte schreiben". Briefe 1925–1977. Hg. von Hub Nijssen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000, 534 Seiten, 68 Mark


 
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