© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    21/01 18. Mai 2001

 
Gegen neuen Totalitarismus
von Hans-Helmuth Knütter

Zur Zeit der Großen Koalition (1966–1969) setzte der "Wandel durch Annäherung" ein. Die bis dahin einhellig nicht anerkannte "Sowjetische Besatzungszone" (SBZ) wandelte sich, vor allem bei westdeutschen Intellektuellen und Linken allmählich zur "DDR". Der damalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger suchte diese Entwicklung zu stoppen, indem er in herabsetzender Absicht von der "Anerkennungspartei" sprach. Damit sollten diejenigen stigmatisiert werden, die vom allgemein verbindlichen Antikommunismus abwichen. Alsbald schmückten sich die so Bezeichneten mit Ansteckplaketten, auf denen zu lesen stand: "Ich gehöre zur Anerkennungspartei". Sie machten sich die als Stigmatisierung gedachte Bezeichnung zu eigen. So konnte die Absicht des Bundeskanzlers unterlaufen werden, die "Ausgegrenzten" immunisierten sich.

Was wäre, wenn die heute als "Rechtsextremisten", "Neofaschisten" und dergleichen Ausgegrenzten sich stolz und trotzig bekennen würden: "Jawohl, wir sind Faschisten; wir sind Verfassungsfeinde"? "Immunisierung" bedeutet, sich gegen eine Infektionskrankheit unempfindlich zu machen, die Ansteckungsgefahr zu bannen und der Krankheit damit die Macht zu lähmen. Auch Gedanken können eine ansteckende Wirkung haben, und in diesem Falle geht es darum, die semantische Herrschaft der Linken zu brechen. Sie haben trotz ihrer Pleite von 1989/1991 nach wie vor Begriffe besetzt und erzielen mit "Antifaschismus", "Faschismus", "Kampf gegen Rechts" erhebliche Wirkungen auf diejenigen, die unter keinen Umständen mit diesen Bezeichnungen infiziert werden möchten. Sie erreichen damit, daß die so Angegriffenen sich in die Defensive versetzt fühlen. Wer sich aber verteidigt, ist schwach, ist in der Aktion, im erfolgreichen Vorwärtsschreiten gehemmt. Der "antifaschistische" Angreifer hat vermeintlich die Moral für sich, und der Verteidiger muß immer zunächst einmal versichern, daß er doch keineswegs unmoralisch sei.

Dies alleine erklärt aber die linke semantische Vorherrschaft noch nicht. Hinzu kommt die Wirkung der hedonistischen Lebensauffassung, die sich seit den fünfziger Jahren weltweit durchgesetzt hat. Der wirtschaftliche Aufschwung, begrenzt auf die Industrieländer der nördlichen Hemisphäre, hat zu einer Abkehr von der früheren asketischen Lebenshaltung hin zur hedonistischen geführt. Nur der grundsätzliche Bruch mit dem Zeitgeist, die Umwertung bisher gültiger Werte, kann eine erfolgreiche Immunisierung bewirken.

Wer den Extremismus bestimmen will, muß von einer Mitte ausgehen. Die Abweichung von eben dieser Mitte bezeichnet die Extrempositionen. Was unter Mitte zu verstehen ist, unterliegt aber dem Wandel der Zeiten. In Deutschland verstehen wir heute unter dieser Mitte die "freiheitliche demokratische Grundordnung", die vom Bundesverfassungsgericht in den Urteilen gegen die Sozialistische Reichspartei (1952) und die KPD (1954) inhaltlich umschrieben wurde. Eine bloße Abweichung, also die Ablehnung einzelner Elemente oder auch der gesamten Ordnung wäre aber noch nicht extremistisch, sondern es muß eine "aktiv-kämpferische" Haltung hinzukommen, das heißt Gewaltbereitschaft, -androhung oder -anwendung.

Hier ist vom linken Extremismus die Rede. Nie hat es seit 1945 eine systemumstürzende extreme Rechte gegeben. Es mag in den Anfangsjahren bei der Sozialistischen Reichspartei durchaus Ansätze und Absichten gegeben haben, die aber weit von jeder Chance der Verwirklichung entfernt waren.

Die deutsche Wiedervereinigung wurde bereits um 1990 von der Erwartung begleitet, das neue Deutschland werde östlicher, protestantischer und linker werden. Diese Entwicklung ist tatsächlich eingetreten, und zwar vor allem durch das Wirken der PDS, die sich in den östlichen Bundesländern mit Stimmenanteilen von 20 Prozent auf ein gefestigtes Milieu stützen kann. Neben dieser ideologischen Komponente wird die Linkstendenz aber auch durch den bereits erwähnten Hedonismus verstärkt. In fast fünf Jahrzehnten eines nie gekannten Wohlstandes hat sich die Auffassung durchgesetzt, der Staat müsse für die soziale Sicherheit der Bürger sorgen.

Seit 1998, seit Etablierung der "Berliner Republik" hat sich der Abbau von Freiheit – verstanden als Selbstbestimmung und Rechtsstaat – beschleunigt. Das Wort vom "vormundschaftlichen Staat", ursprünglich von Rolf Henrich für die DDR geprägt, läßt sich durchaus auch auf die Bundesrepublik Deutschland anwenden. Es gibt ein Parteienkartell, das jeden Neuen wegbeißt. Die auf Gleichberechtigung gerichteten Grundrechte werden durch das Regime der Kartell-Parteien (SPD – CDU/CSU – FDP – Grüne – PDS) eingeschränkt.

Die BRD, ursprünglich konzipiert als parlamentarische Demokratie mit allen Grund- und Freiheitsrechten, ist mehr und mehr zum oligarchischen Überwachungssystem mutiert mit zunehmenden totalitären und abnehmenden demokratischen Bestandteilen. Etwa seit 1992 begann unter der falschen Vermutung, "Links" sei erledigt, die Wendung gegen "Rechts". Diese Entwicklung beschleunigt sich seit 1998 und nahm einen geradezu rapiden Entwicklungsgang seit Anfang 2000. Dieser Überwachungsstaat ist zwar tückisch und schikanös, aber nicht blutig-terroristisch wie der Nationalsozialismus und der Kommunismus. Vergleichbar am ehesten dem System McCarthys in den USA Anfang der fünfziger Jahre. Noch ist das Überwachungsnetz, das über der Gesellschaft liegt, weitmaschig. Das erkennen die systemverwaltenden Parteifunktionäre und bemühen sich, es zu verengen.

Es gibt vier Methoden der Immunisierung, nämlich die Meinungsführerschaft, die Nutzung politischer Möglichkeiten, die konstruktive Selbstkritik und die Schaffung der materiellen Basis.

Die Gegenwehr gegen die institutionalisierte linke Meinungsführerschaft besteht darin, das System mit seinen eigenen Ansprüchen zu konfrontieren und die Widersprüche deutlich zu machen. Insbesondere geht es darum, den Unterschied zwischen dem Verfassungstext, also dem Wortlaut der Verfassung und der Verfassungswirklichkeit deutlich zu machen.

Es geht also darum, die etablierte Ordnung und ihre Vertreter zu zwingen, das eigene Spiegelbild zu betrachten und zu erkennen, daß Anspruch und Wirklichkeit im Gegensatz zueinander stehen. Es geht darum, die Tarnung zu entlarven und zu rufen: "Der Kaiser hat ja gar keine Kleider an!"

Wer gegen den Wortlaut der Verfassung verstößt, indem eine gegenteilige Verfassungswirklichkeit herbeigeführt wird, ist der eigentliche Verfassungsfeind. Vor allem diejenigen, die diese Entwicklung betreiben oder hinnehmen, sind die Zerstörer der Verfassung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Verfassungsfeindlichkeit und Verfassungszerstörung. Verfassungsfeindlichkeit ist die bewußte Ablehnung, der bewußte Verstoß gegen die geschriebene Verfassung. Ein Verfassungszerstörer hingegen kann man funktional sein, ohne es intentional zu sein.

Was hat die Kampagnenfähigkeit mit Immunisierung zu tun? Nun, es versteht sich, daß derjenige, der selbstsicher voranschreitet, erfolgreicher sein wird als der unsicher sich Verteidigende. Vielen Gegnern der Linken fehlt es an "Mumm", sie trauen sich nicht zu, das als richtig Erkannte zu tun, weil sie fürchten, es nicht durchsetzen zu können. Das gilt insbesondere auch für die CDU/CSU seit ihrer Niederlage von 1998.

"Mumm" bedeutet Zuversicht, Enthusiasmus, das Vorhandensein einer beflügelnden Idee, die zum rücksichtslosen Vorwärtsstürmen befähigt. "Ohne Rücksicht" in des Wortes doppelter Bedeutung: man schaut nicht zurück, sondern nach vorn. Das Gegenteil dieser Haltung ist Angst vor den Folgen, die zu einer unsicheren, defensiven, schwächlichen Verhaltensweise führt. Wir haben es erlebt, daß die CDU/CSU bei der Abwehr antifaschistischer Angriffe sich dem Gegner anpaßt und auf der Antifa-Welle mitläuft, aus Furcht, überrollt und umgeworfen zu werden.

Der "Mumm" hat etwas mit religio ("überpersönliche Bindung") zu tun. Es liegt ein begeisterndes, motivierendes, orientierendes und richtungsweisendes Ziel vor. Auch der Haß kann beflügeln und motivieren und zur Tat treiben. "Mumm", das enthusiastische Vorwärtsstürmen, ist also keine Garantie für den Erfolg. Aber ohne "Mumm", mit zaghafter Bedenklichkeit und feiger Rücksicht, bleibt man garantiert erfolglos.

Ein trauriges Bild für die deutsche Rechte, denn ihr sind Motiv und Ziel abhanden gekommen. Geht es um die Rettung des deutschen Volkes? Das glaubt man in den patriotischen Kreisen doch selbst nicht. Der Bevölkerung geht es gut. Wer fett lebt, ist nicht rettungsbedürftig. Auch den Außenstehenden, deren Unterstützung es zu gewinnen gilt, erscheint eine im Wohlstand lebende, angeblich gefährdete Bevölkerung nicht als rettungsbedürftig, so wie es bei Armen, Unterdrückten, im Elend Lebenden ohne weiteres einsichtig wäre.

Die wahren Verfassungsfeinde sind diejenigen, die gegen Sinn und Wortlaut der geschriebenen Verfassung verstoßen, indem die herbeigeführte Verfassungswirklichkeit von der geschriebenen Verfassung nicht nur abweicht, sondern geradezu im Gegensatz zu ihr steht.

In diesem Sinne ist es nicht negativ, sich selbst als "Verfassungsfeind" zu bekennen, denn es geht um Feindschaft gegen die verderbte, moralisch verkommene Verfassungswirklichkeit. Nötig ist es, auf den Gegensatz zwischen geschriebener und praktizierter Verfassung hinzuweisen. Verstöße gegen Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit, Würde der Person werden bekämpft. Wenn man sich in diesem Sinne als Feind der verderbten Verfassungswirklichkeit bekennt, darf man mit Recht beanspruchen, der eigentliche Schützer der Verfassung zu sein, während die Etablierten, die Nutznießer des Systems, die eigentlichen Feinde der Verfassung sind.

Ein übles Beispiel für die zunehmende Parteipolitisierung der Verfassungsordnung, die nicht nur die Legislative und die Exekutive, sondern eben auch Judikative durchdringt, ist die Verderbnis des allgemeinen Rechtsempfindens. Gerade seit 1998 häufen sich die negativen Beispiele. Das Verhalten des ehemaligen Bundeskanzlers Kohl, der sehenden Auges gegen das von seiner eigenen Regierung getragene Parteiengesetz verstoßen hat und hartnäckig weiter verstößt, belegt dies ebenso wie die Reaktion der SPD und der Grünen auf den Ausgang der hessischen Wahlprüfung. Sie haben den Richterspruch, der eine Ungültig-Erklärung der hessischen Landtagswahl ablehnte, als "Niederlage für das Rechtsempfinden" bezeichnet. Eine offen parteiliche Interpretation. Das Rechtsempfinden wird total verdorben, Recht ist, was mir und meiner Partei nutzt – diese Auffassung setzt sich mehr und mehr durch.

Insbesondere spielt hier die Politisierung des Bundesverfassungsgerichts eine Rolle, dem immer noch von der Bevölkerung ein unverdient großes Vertrauen entgegengebracht wird. Schon seit Adenauers Zeiten ist die Parteipolitisierung offenkundig. Im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung 1952/53 wurde bereits von einem "roten" Senat und von einem "schwarzen" Senat gesprochen. Schon damals traf zu, was heute ganz offenkundig ist: Nur parteinahe Kandidaten können das Amt des Bundesverfassungsrichters erhalten. Auch für die Richter an den anderen obersten Bundesgerichten gilt dies. Eine solche Justiz verdient kein Vertrauen.

Die seit Anfang der sechziger Jahre veröffentlichten Jahresberichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz und fast aller Landesämter erwecken zu Unrecht den Eindruck einer objektiven Information der Öffentlichkeit. Tatsächlich handelt es sich um eindeutig parteipolitische Ausarbeitungen, die Meinung und politische Intention der jeweiligen politischen Mehrheiten des Bundes und der Länder spiegeln. Deutlich wird das am Beispiel der PDS: In Bayern wird diese Partei mit "nachrichtendienstlichen" Mitteln, das heißt mit Spitzeln, beobachtet, in Nordrhein-Westfalen wird sie zwar beobachtet, aber nur unter Verwendung "offenen" Materials: Es werden Versammlungen besucht und die von der Partei veröffentlichten Drucksachen ausgewertet. In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg schließlich, wo die Partei entweder aktiver oder potentieller Koalitionspartner ist, erfolgt überhaupt keine Beobachtung. Bis vor kurzem wurde in Mecklenburg-Vorpommern noch die betonköpfige "Kommunistische Plattform" beobachtet. Nach einer massiven Drohung der dortigen PDS, die Koalition mit der SPD aufzukündigen, wich der Innenminister Gottfried Timm zurück – wie nicht anders zu erwarten. Man sieht also, ob die PDS die Verfassung gefährdet oder nicht, hängt vom Blickwinkel der jeweils regierenden Kartellparteien-Koalition ab.

Alle Verfassungsschutzberichte sind nach demselben Schema aufgebaut: Rechtsextremismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus, Spionage. Einen besonders seltsamen Eindruck macht diese letzte Abteilung. Die staatlichen Sicherheitsbehörden kennen nämlich nur östliche Spionage. Unsere westlichen "Freunde und Verbündeten" und insbesondere Israel betreiben anscheinend in der BRD keine Spionage. Selten wird die Servilität bundesrepublikanischer Behörden deutlicher als an diesem Beispiel.

Als eine Methode der Immunisierung bietet es sich an, einen alternativen Verfassungsschutzbericht zu erarbeiten, der die Mängel und Lücken des offiziellen aufzählt und die Funktion eines Bürgerschutzberichts übernimmt. Man sollte nicht weinerlich beklagen, daß man "erwähnt" sei. Zurückschlagen! Gegenangriff besteht darin, zu beweisen, daß der "Verfassungsschutz" nicht den Wortlaut der Verfassung schützt, wie die sprichwörtlichen "Verfassungsväter" sie gewollt haben, sondern er schützt die verderbte Verfassungswirklichkeit, verstößt aber gegen den ursprünglichen Wortlaut und Sinn der Verfassung.

Neu ist ein derartiges Vorgehen nicht. Der Verfassungsschutz war immer insbesondere der linken Kritik ausgesetzt. Das hängt mit dem prinzipiell negativen Staatsverständnis der extremen und der gemäßigten Linken zusammen und deren Neigung, den Staatsschutz zu kritisieren. Die linken Kritiker sind jedoch in ihrer Betrachtung der Verfassungswirklichkeit sehr einäugig. Sie sehen nur die Verletzung ihrer eigenen Interessen. Willkür und Verfassungsverstöße, die sich gegen "Rechte" richten, werden zum Teil gebilligt, verschwiegen oder allenfalls oberflächlich angedeutet. Da es keine systematische Zusammenstellung gibt, ist es eine wichtige Immunisierungsaufgabe, durch Vernetzung und Kontaktaufnahme zu enthüllen, was verdreht, verfälscht und verschwiegen wird.

Die deutsche Rechte hat traditionell ein positives Verhältnis zum Staat. Diese prinzipielle Staats- und Gesetzestreue lähmt die Bereitschaft, gegen die Inhaber der staatlichen Positionen vorzugehen. "So wenig wie bei Gott die Sünde, kann beim Staate das Unrecht sein" – dieser uns heute horrend vorkommende Ausspruch des bedeutenden Rechtslehrers Hans Kelsen zeugt von einem Staatsvertrauen, das inzwischen gründlich verfallen ist. Rudimentär ist aber immer noch das Hegel’sche Staatsverständnis lebendig, wonach dem Staate ethische Hochwertigkeit zukommt; er gilt als die Lebensform, die eine menschenwürdige Existenz sichert.

Die Linken hingegen haben ein ambivalentes Staatsverständnis: einerseits gilt der Staat als Unterdrückungsinstrument der herrschenden Klasse. Solange die Bourgeoisie herrscht, unterdrückt sie mit Hilfe der staatlichen Institutionen das Proletariat. Nach der Revolution kommt es zur Diktatur des Proletariats, das sich der staatlichen Institutionen bedient, um die Bourgeoisie vollständig zu entmachten. Erst wenn die klassenlose Gesellschaft hergestellt ist, kann der Staat absterben. Wir wissen, daß die sozialistische Praxis der sozialistischen Theorie diametral widersprach. Die Omnipotenz des Staates nahm im Realsozialismus ständig zu. Stets besetzten die Kommunisten zunächst die staatlichen Positionen, um den Staatsapparat dann als Instrument zur Umgestaltung, also zur Revolution von oben zu benutzen. Diese Einstellung ist in linken Kreisen auch in der BRD nach wie vor vorhanden.

Der heutige Staat der BRD ist ein Parteienstaat geworden, der durch die hemmungslose Ausweitung des Parteieneinflusses gekennzeichnet ist. Artikel 21 GG regelt "die Parteien wirken an der politischen Meinungsbildung mit". Damit ist nicht gemeint, daß sie alles beherrschen und durchdringen sollen. Ein Mißtrauen in diese Parteienherrschaft ist also, da sie nicht verfassungskonform ist, durchaus angebracht. Eine gesunde Portion Anarchismus ist das, was die Rechten lernen müssen.

Eine weitere Methode der Immunisierung wäre der "Samisdat". So wie sich die Opposition in der Sowjetunion in den Untergrund zurückzog, gibt es auch subkulturelle Erscheinungen in westlichen Demokratien. "Ihr grenzt uns aus – wir akzeptieren das und treten aus eurer Gesellschaft aus!" Das ist eine Haltung, die von Linken in den siebziger und achtziger Jahren zum Teil praktiziert wurde. Sie lebten in Kommunen und Wohngemeinschaften und hatten den Kontakt zur "Außenwelt" oft bewußt abgebrochen. Dies ist allerdings eine Sache aktivistischer Minderheiten. Für Bürgerlich-Konservative kann man diesen Weg als ungeeignet verwerfen.

Bei der Staatssicherheit gehörte es zur "Zersetzung", Angst vor Berührung mit Oppositionellen zu schüren. Wer mit Oppositionellen verkehrte, hatte Nachteile zu befürchten. Das blockierte die Bereitschaft, mit diesen in Verbindung zu treten. In der BRD wird diese Methode genauso angewendet: "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern." Es solle keine Berührung mit Skins, der NPD, der DVU geben. Schon Berührungen mit Republikanern werden stigmatisiert, auch mit der JUNGEN FREIHEIT, obwohl diese Stigmatisierung weitgehend gescheitert ist. Ziel dieser Zersetzung ist es, das Entstehen einer breiten oppositionellen Front zu verhindern. Wenn die Oppositionellen untereinander uneinig sind, triumphiert nach dem Grundsatz "Teile und herrsche" die Gegenseite.

Die "Immunisierung" besteht in diesem Falle darin, trotz der Hetzpropaganda alle Berührungsängste zurückzustellen und zu kooperieren. Zusammenarbeit ist in verschiedenen Intensitätsgraden möglich. Sie reicht von lockerer Information über Zusammenarbeit bei Aktionen bis hin zum organisatorischen Zusammenschluß. Unbedingt nötig zur Immunisierung ist die grundsätzliche Bereitschaft zur Gemeinsamkeit. Man muß "die anderen" nicht lieben – aber man darf sie wenigstens nicht "ausgrenzen" und damit das Geschäft der Feinde besorgen. Denen wird der Triumph verdorben, einen Kontakt, der Basis einer Kooperation sein kann, verhindert zu haben. Angesichts der Neigung in "rechten" Kreisen, sich untereinander hingebungsvoller zu bekämpfen als den gemeinsamen Feind, wird ein enger Zusammenschluß kaum möglich sein. Was aber möglich sein soll und muß, ist die Kooperation auf lockerer Basis: gegenseitige Information, Absprache von Aktionen bei völliger Wahrung der Selbständigkeit des Einzelnen. Dies ist die Basis einer Immunisierung gegenüber den Versuchen der "Ausgrenzung" und Stigmatisierung.

Linksextremen ist es gelungen – und zwar nicht erst seit Übernahme der Regierungsposition 1998 –, an "Staatsknete" heranzukommen. In fahrlässiger Weise werden von den Regierenden diejenigen finanziert, die eine grundsätzlich feindliche Einstellung gegenüber der politischen Ordnung der Bundesrepublik haben. Das ist bereits in den siebziger Jahren der Fall gewesen, als der unter linksextreme Führung geratene "Verband deutscher Studentenschaften" aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Damals bestand die Bereitschaft, diese Finanzierung zu unterbinden, was den so dreisten wie heftigen Protest der Linksextremisten hervorrief. Eine Karikatur beleuchtete das Problem: Linksextremisten beschossen aus einer Kanone die Burg der Demokratie. Wütend beschwerten sie sich: Ihr (nämlich die Belagerten) könnt uns doch nicht die Munition entziehen. Damit wurde zutreffend angedeutet, daß die Extremisten für ihr Tun von den Bekämpften sogar finanziert wurden und dies als normal betrachteten.

Soweit es keine öffentlichen Mittel gibt, ist daran zu erinnern, daß auch die sozialistische Arbeiterbewegung im Kaiserreich durch viele kleine Spenden, die damals sogenannten "Arbeitergroschen", finanziert wurde. Mit diesen Spenden sollen Prozesse und Propaganda-Aktionen finanziert, Bildungsmaßnahmen und wissenschaftliche Untersuchungen ermöglicht und Verfolgte in wirtschaftlicher Not unterstützt werden.

Die höchste Form der Zusammenarbeit ist die Schaffung einer machtvollen einheitlichen Organisation. Fraglich ist allerdings, ob sie erstrebenswert ist, denn jede Organisation kann mit Spitzeln durchsetzt und schließlich verboten werden. Deswegen stellt sich die – für eine dem Anspruch nach freiheitliche Demokratie schändliche – Frage, ob nicht viele kleine, nicht organisierte und deshalb nicht verbietbare Kreise besser sind.

Zu Recht wird kritisiert, daß Aufspaltung Schwäche bedeutet. Die Alternative wäre eine einheitliche Organisation. Allerdings stellt sie sich angesichts der deutschen Mentalität zur Spaltung nicht. Es gibt viel zu viele Organisationen und Kreise, zusammengenommen zahlenmäßig recht erheblich, aber unkoordiniert nebeneinander herwurstelnd. Jeder Funktionär will König sein, jeder betrachtet sich als den endgültigen Retter Deutschlands. Die Folge ist: Kampf aller gegen alle und Lähmung. Man hat manchmal den Eindruck, es werde nach dem Grundsatz gehandelt "Wozu brauchen wir Feinde, wir erledigen uns selbst". Deshalb kann man die deutsche Rechte als die weltweit dümmste bezeichnen.

"Nie wieder Faschismus und Krieg" – dieses Schlagwort betet eine ewiggestrige Linke her und erweckt damit den Eindruck, es könne zu einer Renaissance des Nationalismus oder gar des Nationalsozialismus in historisch bekannter Form kommen. Das ist sicherlich nicht der Fall, weil alle großen ideologischen Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts Produkte seinerzeit vorhandener gesellschaftlicher Verhältnisse waren. Seit 1945, insbesondere seit den sechziger Jahren, hat sich unsere Lebenswelt rasanter verändert als in den Jahrzehnten davor. Deshalb sind die Gefahren, die heute der Demokratie und der personalen und nationalen Freiheit drohen, andere als vor Jahrzehnten. Heute drohen Gefahren von einer Öko-Diktatur, einer Bio-Diktatur (noch nicht absehbare gesellschaftliche und politische Auswirkungen der Gentechnologie), von einer Euro-Diktatur, der Herrschaft demokratisch nicht oder nur unzulänglich legitimierter europäischer Bürokraten, die basisfern von der Bevölkerung der einzelnen Länder agieren, von einer Expertokratie, die wegen der zunehmenden Komplexität politischer und gesellschaftlicher Verhältnisse unverzichtbar, aber der Freiheit der Bürger abträglich ist. Das führt dazu, daß in der Demokratie die oligarchischen Tendenzen zunehmen. Es handelt sich bei der heutigen Demokratie allenfalls um eine demokratisch teilweise legitimierte Funktionseliten-Herrschaft mit zunehmenden oligarchischen und expertokratischen Tendenzen.

Daraus ergibt sich die Folgerung: Wehret den Anfängen. Die Tendenzen zur Bevormundung der Bürger, Gesinnungsterror, physischer Terror, totalitäre Elemente selbst in demokratischen Systemen, die sich in Gesinnungskontrolle und Meinungslenkung äußern, sind unverkennbar. Solange sie noch nicht verfestigt sind, ist Widerstand möglich. Nur eine sich richtig verstehende rechte, konservative Bewegung kann heutzutage die persönliche, aber auch die institutionelle (nationale, religiöse, soziale) Freiheit gewährleisten.

 

Prof. Dr. Hans-Helmuth Knütter lehrte Politikwissenschaften an der Universität Bonn.


 
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