© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Die Enttäuschten blieben zu Hause
Kroatien: Mitte-Links-Sieg bei Kommunalwahlen / Rechte HDZ stabilisiert / Geringe Wahlbeteiligung
Carl Gustaf Ströhm

Seit dem vergangenen Sonntag ist zu den vielen dramatischen Veränderungen der politischen Szene im Südosten – siehe Mazedonien, Kosovo, Montenegro, Bosnien – eine weitere getreten: In Kroatien endeten die Gemeinde- und Lokalwahlen mit einem auf den ersten Blick erstaunlichen, bei näherer Betrachtung aber folgerichtigen Überraschungserfolg der Tudjman-Partei HDZ (Kroatische Demokratische Union) und der mit ihr verbundenen nationalkroatischen Kräfte.

Zwar konnte sich die als "Sozialdemokraten" firmierenden Post-Kommunisten der SDP in Zagreb und einigen Großstädten mit fast 30 Prozent als stärkste Partei behaupten – aber der Versuch der regierenden Linken, den Mitte-Rechts-Kräften, die bei den letzten Parlamentswahlen schwer angeschlagen waren, nun den endgültigen Todesstoß zu versetzen, ist auf der ganzen Linie gescheitert. Zwar regiert die HDZ nur noch zwei statt 17 Regierungsbezirke, aber die SDP ist überall auf fragile Koalitionen angewiesen. Selbst die weitgehend gleichgeschaltete Linkspresse Zagrebs sprach von einer beeindruckenden Rückkehr der HDZ auf die politische Bühne. In 14 von 21 Regierungsbezirken wurde die HDZ stärkste Partei. In Dalmatien, wo die nicht-linken Parteien als "Kroatischer Block" kandidierten, gab es für den Regierungspräsidenten von Split, Branimir Lusic, eine absolute Mehrheit.

Einen Achtungserfolg errang die von Tudjman-Sohn Miroslav angeführte Vereinigung "Kroatische Identität und Prosperität" (HLP) in der Hauptstadt Zagreb (Agram), wo sie aus dem Stand über sieben Prozent der Stimmen erhielt, obwohl sie getrennt von der HDZ kandidierte. Gemeinsam kommen beide Gruppen in der Hauptstadt auf über 25 Prozent. Die SDP des Ministerpräsidenten Ivica Racan hat eine Mehrheit nur in Koalition mit der HNS, der Partei des Staatspräsidenten Stipe Mesic.

Zwei Lehren lassen sich aus dieser Wahl ziehen: Erstens – während die Linke ihr Wählerpotential wohl weitgehend ausgeschöpft hat, haben die national orientierten Parteien, vor allem die HDZ, in der "Partei der Nicht-Wähler" noch ein beachtliches Potential, denn die Wahlbeteiligung lag nur zwischen 35 und 40 Prozent – was wohl der Linken zugute kam. Beobachter der kroatischen politischen Szene meinen, daß sich nur ein Viertel der Nichtwähler für den nationalen "Kroatischen Block" entscheiden müßten, um bei den nächsten Parlamentswahlen einen überzeugenden konservativ-nationalen Sieg einzufahren.

Linke wie Nicht-Linke sind sich in Kroatien nur in einem Punkt einig: Daß sich in diesem Wahlergebnis eine Polarisierung des Landes manifestiert – zwischen Krypto-Kommunisten, Jugoslawien-Nostalgikern und Linksliberalen einerseits sowie den nationalen, christdemokratischen, bürgerlichen Kräften andererseits –, während sich zugleich ein Gegensatz zwischen dem Norden und dem Süden auftut. "Split und Dalmatien sind für die Regierung Racan verloren", stellen politische Analytiker fest. Die unter Racan eingesetzte "Re-Kommunisierung" – und zwar weniger in der Weltanschauung (wie so manche Ex-Kommunisten ist auch Racan zumindest verbal ein glühender Verfechter von Marktwirtschaft und Globalisierung) als vielmehr in einer brutalen kommunistischen inspirierten "Kaderpolitik" – hat in den Medien, dem Beamtenapparat, der Diplomatie zu Säuberungen geführt. Der Westen interessiert sich überhaupt nicht für diese Säuberung – offenbar weil die Racan-Regierung ansonsten gehorsam die westlichen Vorgaben erfüllt.

Miroslav Tudjman, von Beruf Universitätsprofessor und in der deutschen und österreichischen Presse fälschlich als "Rechtsaußen" bezeichnet (er stand einst der Sozialdemokratie nahe), hat die neu entstandene Polarisierung mit den Worten charakterisiert: "Es ist offenkundig, daß sich die politische Szene in Kroatien radikalisieren wird, denn die Partner der regierenden Linkskoalition haben das Maximum ihres Wählerpotentials ausgeschöpft. Da die jetzt regierende Koalition nicht in der Lage ist, die wirtschaftliche und nationale Krise des Landes zu lösen, ist die Annahme realistisch, daß wir bis zum Jahresende Neuwahlen haben werden. Das aber heißt, daß sich die politische Szene polarisiert," sagte Tudjman jun. Er schloß mit dem Satz: "Jetzt gibt es nur noch uns oder sie!"

Der sich ankündigende Machtkampf um Kroatien findet vor dem Hintergrund wachsender Verarmung breiter Bevölkerungsschichten und vor einem Szenarium statt, das von vielen Kroaten als "Ausverkauf des kroatischen Familiensilbers an das Ausland" bezeichnet wird. So wechselten die wichtigsten kroatischen Banken in italienischen Besitz. Und auf der bekannten Urlauberhalbinsel Istrien errangen die "Autonomisten" (IDS) mit 54 Prozent erneut die absolute Mehrheit, was als Signal für eine Abspaltung der Halbinsel vom übrigen Kroatien, ja sogar für den möglichen Anschluß an Italien gewertet wird. IDS-Chef Ivan Jakovcic ist übrigens Europaminister in der fragilen Mitte-Links-Koalition von Premier Racan. In der künftigen Berlusconi-Regierung in Rom werden istrische Sonderwünsche garantiert ein offenes Ohr finden.

In der Stadt Vukovar, der kroatischen Heldenstadt, die 1991/92 nach schwersten Verwüstungen von den Serben erobert und erst Mitte der neunziger Jahre wieder mit Kroatien vereinigt wurde, haben erstmals die Serben die absolute Mehrheit im Stadtparlament errungen – eine Folge der von der "internationalen Gemeinschaft" forcierten Rückkehr der Serben in ihre Häuser, während gleichzeitig der größte Teil der in Vukovar lebenden Kroaten bis heute nicht zurückkehren konnte. Damit verschiebt sich die ethnische Landkarte an einem der empfindlichsten Punkte. Das aber bedeutet: Neue schwere Konflikte und Zusammenstöße sind unvermeidlich, zumal die Serben jetzt das Gefühl haben, daß der Westen hinter ihnen steht.

Damit wird das kroatische Problem zu einem serbischen Problem, so seltsam das auf den ersten Blick erscheinen mag. Starke Kräfte der westlichen Politik betrachten Serbien nach wie vor als "Ordnungsmacht" des Balkans, die allein imstande ist, in diesem unruhigen Raum Ordnung zu halten. Der Westen war anfangs sogar bereit, Serbiens Ex-Präsident Slobodan Milosevic als "Gendarmen" und Partner zu akzeptieren – erst als dessen Politik zu erratisch, unberechenbar und vor allem erfolglos wurde, ließ man ihn fallen.

Gleichzeitig sieht sich der Westen in ganz Ex-Jugoslawien mit den Folgen seiner eigenen Inkonsequenz konfrontiert: Die albanische UÇK-Guerilla – einst als inoffizielle Bundesgenossen der Nato betrachtet und behandelt – sind plötzlich "Terroristen", weil sie meinen, sich ihr Recht auf Unabhängigkeit von Serbien gewaltsam holen zu müssen, das ihnen der Westen versprach und nicht einhielt. In Montenegro sind die "Autonomisten", die einen eigenen unabhängigen Staat wollen, zutiefst über den "Verrat" des Westens erbittert, weil dieser lieber mit dem neuen jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica in Belgrad kungelt. Und in Bosnien stehen die Zeichen auf Sturm, weil die dortigen Kroaten sich nicht mit ihrer vom Westen vorgesehenen nicht-gleichberechtigten Rolle zufrieden geben wollen. Der Westen aber ist seinen eigenen Illusionen zum Opfer gefallen – und steht jetzt vor einem Scherbenhaufen.


 
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