© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    22/01 25. Mai 2001

 
Ein verbreiteter Irrglaube
Schweiz: Eine vermehrte Zuwanderung kann die Alters- und Hinterbliebenenversorgung nicht sichern
Philipp Müller

In letzter Zeit ist auch von der Politik und Wirtschaft in der Schweiz immer öfter der Ruf nach vermehrter Einwanderung von Ausländern zu hören. Begründet wird dies mit dem Bedarf an Arbeitskräften und mit der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft, wodurch die Sicherung unserer Alters- und Hinterbliebenenversorgung (AHV) gefährdet sei. Diese einseitige Betrachtungsweise klammert die gesellschafts- und staatspolitisch nachteiligen Auswirkungen der Einwanderung aus.

Aufgrund der hohen Zuwanderungszahlen allein in den letzten zehn Jahren nahm die gesamte Wohnbevölkerung der Schweiz um annähernd eine halbe Million Menschen zu. Auch die Zahl der Schweizer Staatsangehörigen ist in den neunziger Jahren deutlich angestiegen. Wohl liegt die Geburtenrate der Schweizer unter dem Niveau, welches zum Erhalt einer stabilen Bevölkerungszahl erforderlich wäre. Aber aufgrund der Einbürgerungen lebten Ende der neunziger Jahre rund 150.000 Schweizer Staatsbürger oder rund 2,7 Prozent mehr in der Schweiz als zehn Jahre vorher. Die anhaltend hohe Zuwanderung führt dazu, daß die Gesamtbevölkerung (Schweizer und Ausländer) in einem raschen Tempo zunimmt. Und dies, obwohl die Schweiz schon heute eines der am dichtest besiedelten Länder der Erde ist.

Als Antwort auf die demographische Alterung und die damit einhergehende Sorge, wonach die Altersrenten gefährdet seien wird von verschiedenen Seiten eine vermehrte Einwanderung gefordert. Diese Haltung ist kurzsichtig, da die Einwanderung nicht in der Lage ist, das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen zu verbessern. Es ist zu beachten, daß nicht nur die Rentner von der aktiven Bevölkerung abhängig sind, sondern auch Kinder und nichterwerbstätige Ehepartner. Mit dem Zustrom von Arbeitskräften wandern mit der Ehefrau und den Kindern auch Nichterwerbstätige ein, so daß das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen weitgehend unverändert bleibt. Zudem werden auch die Zuwanderer älter und entsprechend rentenberechtigt, was wiederum weitere Zuwanderer erfordert usw. Eine gleichbleibende Altersstruktur würde so viel Zuwanderung erfordern, daß die Gesamtbevölkerung in der Schweiz bis ins Jahr 2025 auf 10,15 Millionen anwachsen müßte, bis ins Jahr 2050 gar auf 14,3 Millionen!

Nicht nur die Schweiz, sondern alle europäischen Staaten stehen vor den gleichen demographischen Problemen. Der EU/EFTA-Raum scheidet deshalb immer mehr als Rekrutierungsgebiet für zusätzliche ausländische Arbeitskräfte aus. Dies gilt insbesondere für gutausgebildete Arbeitskräfte, an denen es im gesamten europäischen Raum mangelt.

Als Rekrutierungsgebiete bleiben somit die weniger entwickelten Staaten im Osten und der Dritten Welt. Hier stehen genügend arbeitswillige Menschen zur Verfügung. Allerdings fehlt ihnen oftmals die nötige Ausbildung oder die Sprachkenntnisse, um anspruchsvolle Tätigkeiten auszuführen. Sie kommen in der Regel nur für unqualifizierte und wenig produktive Arbeit in Frage. Solche Arbeitsplätze sind aber der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz abträglich. Zudem gilt es die Lehren aus der verfehlten Zuwanderungspolitik der achtziger Jahre zu ziehen, die gezeigt hat, daß sich die Einwanderung unqualifizierter Arbeitskräfte langfristig höchst nachteilig auswirkt. Darüber hinaus ist die vermehrte Zuwanderung fremdsprachiger Menschen mit einer erheblichen Belastung des Bildungssystems verbunden, weil die fremdsprachigen Kinder einen größeren Betreuungsbedarf darstellen. Aus diesen und weiteren Gründen kann die Einwanderung aus Zweit- und Drittweltländern in größerem Ausmaß kaum als Antwort auf die demographische Entwicklung dienen.

Bei einem Referendum im September 2000 wurde die "18-Prozent-Initiative" vom Souverän verworfen und damit einer zahlenmäßigen Begrenzung der Zuwanderung eine Absage erteilt. Die zukünftige Migrationspolitik der Schweiz hat sich daher an folgenden Prämissen zu orientieren:

- Die Zuwanderung muß in erster Linie über die berufliche und fachliche Qualifikation gesteuert werden. Die Zulassung von billigen und dementsprechend unqualifizierten Arbeitskräften ist zu vermeiden, da diese lediglich dem kurzfristigen Erhalt strukturschwacher Branchen dienen.

- Die Zuwanderung ist nur soweit zuzulassen, um eine stabile Gesamtbevölkerungszahl zu gewährleisten.

- Über den aus Völkerrechtsgründen nur beschränkt steuerbaren Asylbereich sind bisher lediglich etwa sechs Prozent aller Einwanderer zu uns gekommen. Diese vorwiegend ungenügend ausgebildeten Menschen müssen zur Abdeckung des Bedarfs an unqualifizierten Arbeitskräften ausreichen.

- Um Beschäftigungsspitzen im Niedriglohnbereich (Landwirtschaft, Gastgewerbe usw.) zu brechen, sind Kurzaufenthaltsbewilligungen (max. acht Monate) ohne Anrecht auf Familiennachzug vorzusehen.

- Durch vermehrte Ausbildungsanstrengungen und die Integration gutausgebildeter berufstätiger Frauen ist ein Anstieg der Wertschöpfungsquote anzustreben.

Mehr Einwanderung verlagert die heutigen Probleme einfach auf morgen, schafft als Folge der überforderten Integrationsmöglichkeiten gesellschafts- und staatspolitische Probleme und ist deshalb keine taugliche Antwort auf die Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Wie wollen wir zudem der Dritten Welt empfehlen, weniger Kinder zu haben, wenn wir bei uns gleichzeitig eine Politik des Bevölkerungswachstums betreiben?

 

Philipp Müller lebt in Reinach bei Basel und ist Autor der Wochenzeitung "Schweizerzeit".


 
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