© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/01 01. Juni 2001

 
Der langsame Abstieg des Kurt B.
Sachsen: Die Ära des Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf nimmt ein unrühmliches Ende / SPD denkt über mögliche Koalition mit der PDS nach
Paul Leonhard

Es tut sich was in Sachsen. Die SPD-PDS-Opposition im sächsischen Landtag mausert sich plötzlich. Elf Jahre lang bildeten ihre Abgeordneten eher ein "parlamentarisches Häkelkränzchen", wie einst der Leipziger CDU-Abgeordnete Volker Schimpff spottete, als eine Opposition mit Biß. Ob er ihm erklären könne, "wie wir Biedenkopf beißen sollen", hatte noch im Dezember 1995 ein SPD-Mann den Sachsen-Korrespondenten der Frankfurter Rundschau verzweifelt gefragt und hinzugefügt, seine Partei habe ihr "Gebiß schon vor langer Zeit in der Staatskanzlei abgegeben". Diese Zeiten scheinen vorbei. Mit dem aus Niedersachsen zugezogenen Landtagsabgeordneten Karl Nolle haben die Sozialdemokraten endlich ihren Wadenbeißer gefunden, der keine Rücksicht mehr auf die Aufbauverdienste des Ministerpräsidenten nimmt.

Seit die SPD-Männer der ersten Stunde abtreten mußten, weht der CDU-Regierung in Dresden ein anderer Wind entgegen. Dabei hätte das Verhalten "König Kurts" bereits in der Vergangenheit der Opposition genügend Anlaß geben müssen, nachzuhaken. Im Juni 1994 beispielsweise konnten aufmerksame Zeitungsleser bereits einen kleinen Einblick in die Allüren des Ministerpräsidenten erhalten. Da schipperte Familie Biedenkopf auf einer Jacht auf der Ostsee und warf im Nothafen Darßer Ort Anker. Der liegt mitten in der Kernzone des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft und darf nur im Notfall angelaufen werden. Von Mitarbeitern des World Wide Fund for Nature (WWF) auf frischer Tat gestellt und ob seines wenig vorbildlichen Verhaltens gerügt, soll Biedenkopf lediglich geknurrt haben, er "definiere seine Sorgfaltspflicht allein". Ebenfalls 1994 prüfte der Rechungshof die Gästehäuser Sachsens, ließ dabei aber die Amts-Wohnung der Ministerpräsidenten ausdrücklich aus.

Den Unterschied zwischen "schwarzem Filz" und "persönlichen Beziehungen" bekam die Landtagsopposition ein Jahr später aus Biedenkopfscher Sicht erläutert. Auch zu diesem Zeitpunkt hatte Sachsens Herrscher noch leichtes Spiel. Als ihm vorgeworfen wurde, ein millionenschweres Abwasserprojekt ohne Ausschreibung und trotz Warnungen seitens seines damaligen Finanzministers Georg Milbradt und eines Wirtschaftsprüfungsunternehmens an eine Dortmunder Firma vergeben zu haben, verwahrte sich Biedenkopf einfach vor dem Landtag mit Vehemenz gegen Filz-Vorwürfe. Wer ihm Kungeleien vorwerfe, diffamiere ihn. Und wer derartige Privatisierungen kritisiere, vertreibe Investoren. Schließlich habe er allein zum Wohle des Landes seine Beziehungen spielen lassen. Punkt. Das reichte im Dezember 1995, um die Opposition einknicken zu lassen.

Ein Investorenschreck wollten weder die Sozialdemokraten noch die "demokratischen Sozialisten" sein. Der von der Leipziger Volkszeitung geprägte Begriff "Westfalen Connection" geriet wieder in Vergessenheit. Auch als sich Jahre zuvor der bündnisgrüne Landtagsabgeordnete Karl-Heinz Gerstenberg über die stolze Summe echauffierte, die die Sanierung eines barocken Schreibtisches für das Arbeitszimmer des Ministerpräsidenten gekostet hatte, interessierte das niemanden weiter. Gerstenberg erzielte lediglich einen Achtungserfolg, derartiges überhaupt aus dem Haushalt herausgefiltet zu haben. Als Innenminister Heinz Eggert von Mitarbeitern beschuldigt wurde, diese sexuell belästigt zu haben, versuchte Biedenkopf die Affäre auf seine Weise zu bereinigen: Mit der Aufklärung des Falls beauftragte er einen ehemaligen Richter als "Sonderermittler".

Aber die Zeiten der unumschränkten Herrschaft Biedenkopf sind vorbei. Nicht nur haben ihm breite Teile der CDU und der Sachsen den Rauswurf von Georg Milbradt nicht verziehen, auch die Opposition gewinnt zunehmend Lust am politischen Agieren. Dazu kommen schlichtweg Abnutzungserscheinungen bei "König Kurt". Der Mann verliert zusehends an Einfluß. Auch wenn Biedenkopf erklärt hat, nachzahlen zu wollen, der entstandene politische Schaden ist kaum noch gutzumachen.

Trübes Gemisch aus Selbstbedienung und Gefälligkeit

Besonders die jüngsten Ausfälle Biedenkopfs gegenüber Landesrechnungshofpräsident Hans Günther Koehn dürften eine neue Qualität bei der Selbstmontage des Ministerpräsidenten bedeuten. Der Landesrechnungshof hatte die Miethöhe für Biedenkopfs Dresdner Unterkunft sowie den Privateinsatz (unter anderem im Ferienhaus am Chiemsee) von Dienstpersonal kritisiert und von einer nicht zu akzeptierenden Vermischung von Dienst- und Privatbereich gesprochen. Biedenkopfs ein Jahrzehnt lang erfolgreich praktizierte Formel, was für ihn gut ist, sei auch für Sachsen gut, stieß bei den staatlichen Kontrolleuren auf taube Ohren. Koehn ließ penibel nachrechnen und schätzt die Forderungen an Biedenkopf auf 400.000 bis eine Million Mark. Seit 1994, mindestens aber 1997 müsse der Ministerpräsident für den Rundumservice im Gästehaus zwischen 80.000 und 100.000 Mark nachzahlen. Dazu komme die Miete für sein Arbeitszimmer.

Summen, die für Biedenkopf "völlig aus der Luft gegriffen" sind. Mehr noch, es sei eine "Verletzung der Ehre der beiden Biedenkopf in Sachsen", erboste sich der Sachsen-Premier am Wochenende auf einer Wahlkampfveranstaltung in Oschatz und betonte, er werde für die Ehre seines Namens "kämpfen". Regierungssprecher Michael Sagurna kündigte inzwischen an, daß bis zum Wochenende von Staatskanzlei und Finanzministerium "exakte Zahlen" errechnet würden. Nachzahlungen werden offenbar auch auf andere Nutzer des Gästehauses, so Ex-Innenminister Heinz Eggert, Ex-Finanzminister Georg Milbradt und mehrere Staatssekretäre, zukommen.

Von einem "trüben Gemisch aus Selbstbedienung und Gefälligkeitsverträgen" spricht PDS-Chef Peter Porsch, der bereits das "in sich zusammenfallende System Biedenkopf" vor Augen hat. Die Sozialdemokraten fordern den Rücktritt des Ministerpräsidenten, und SPD-Mann Nolle denkt bereits über ein Zusammengehen mit der PDS in einer Zeit nach der Ära Biedenkopf nach. Aber die Miet- und Dienstpersonal-Affäre ist nicht das einzige Ärgernis für den angeschlagenen Premier. Da ist auch noch der Paunsdorf-Untersuchungsausschuß, der sich damit beschäftigt, ob Biedenkopf seinem Freund Heinz Barth Vorteile zu Lasten des Freistaates verschafft hat.

"Geschichten, die vielleicht noch vor Jahresfrist als sächsische Provinzpossen durchgegangen wären, sind zu einer Zustandsbeschreibung sächsischer Politik geworden", schreibt die in Halle erscheinende Mitteldeutsche Zeitung, und die Chemnitzer Freie Presse konstatiert: "Die Sensibilität für die politische Brisanz des Themas muß Biedenkopf in den Aufbaujahren abhanden gekommen sein." Ähnlich sehen es viele Sachsen. Als Ministerpräsident sei Biedenkopf kompetent, sagt Techniker Thomas Trauf, aber "wenn jemand mit so etwas ins Gerede kommt, dann muß da etwas faul sein." Und der 18jährige Schüler Marco Fischer faßt zusammen: "Biedenkopf schaufelt sich sein eigenes Grab. Der hätte schon nach der vorigen Wahlperiode in Rente gehen und einen Jüngeren ranlassen sollen." Stimmen, die Biedenkopf nicht hören will. Der spricht von vielen Briefen von Bürgern, die ihm Mut machen und fordern: "Weitermachen."


 
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