© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    23/01 01. Juni 2001

 
Die Wiederentdeckung der Hülsenfrüchte
Ernährung: Angesichts von BSE- und MKS-Krise gewinnen alternative Nahrungsmittel an Bedeutung
Martina Kempf

Angesichts der heutigen Lebensmittel-Skandale von Antibiotika-Schweinen über BSE bis hin zur Maul- und Klauenseuche mag manch einer verzweifelt in den leeren Kochtopf gucken. Fleisch traut er sich kaum noch zu essen. Und traditionsreiche Gerichte der einheimischen Küche aus eiweißreichen Hülsenfrüchten hat der gewohnte tägliche Fleischklops der letzten Jahrzehnte längst verdrängt. Einige andere Nationen haben aber ihre Kochtraditionen bewahrt, und so kann eine kulinarische Rundreise durch verschiedene Länder beginnen. Einige Anleihen kann man zum Beispiel bei den Südländern machen, die Bohnen und andere Hülsenfrüchte noch in ihrem täglichen Speiseplan haben.

Das ägyptische Nationalgericht etwa ist eine eiweißreiche Bohnenspeise. Diese wirkt sehr sättigend, ließ Revolutionen angesichts des zufriedenen Völlegefühls im Magen gar nicht erst aufkommen ließ, und hätte sicher auch unsere 68er-Protagonisten milde oder vielmehr träge gestimmt. Hier also das vielversprechende Rezept des ägyptischen Schmauses namens "Ful": Um dieses Gericht stilgemäß zwischen sechs und neun Uhr morgens genießen zu können, werden abends circa 100 Gramm getrocknete Bohnen sowie 100 Gramm Reis und 100 Gramm rote Linsen in Töpfen mit reichlich Wasser eingeweicht. Das reicht dann für drei Personen. Doch ehe man alles essen kann, muß am Morgen alles im Wasser etwa eine Stunde leicht vor sich hin kochen, dann noch salzen. Nun die Mischung mit einem Stampfer zu einem Brei zerstampfen. Dann schnell Öl in einer Pfanne erhitzen, sehr viel Zwiebeln und etwas Knoblauch hinzufügen und den Bohnenbrei in die Pfanne geben. Nach Belieben Tomaten und scharfe Peperoni hinzufügen. Etwas Kümmel für die bessere Verdauung darf nicht fehlen. Nach Bedarf kann es noch mit etwas Käse, Joghurt oder Ei angereichert werden, letzteres ißt der Mann "für die Frauen", meint ein ägyptischer Vater von 13 Kindern. Nachwuchsfördernd ist Ful also auch, was die unter Geburtenschwund leidenden Deutschen besonders nötig haben.

Das Nachrichtenmagazin Focus stellte sich in einem ganzen Sonderheft die Frage: "Was können wir eigentlich noch essen?" Um diese Frage beantworten zu können, ist es ratsam, den Hülsenfrüchten auf der Spur zu bleiben. Eingedeutschte Türken etwa wissen ihre Linsengerichte mit schwäbischen Spätzle zu verbinden. Ein derartiger Linseneintopf für vier Personen stellt sich etwa wie folgt zusammen: Zwei Wassergläser Linsen, zwei Zwiebeln, zwei Eßlöffel Margarine, zwei gelbe Rüben, ein Eßlöffel Tomaten- und Paprikamark – im türkischen Geschäft erhältlich –, Rosenpaprika und Pulbiber – gibt es ebenfalls im türkischen Laden – und drei Gläser heißes Wasser. Die Linsen muß man säubern und eineinhalb Stunden im Wasser einweichen. Die Zwiebeln in Würfel schneiden und in einen Kochtopf geben und in Margarine andünsten. Anschließend auch die in Würfel geschnittenen gelben Rüben dazugeben. Gut mit den oben genannten Gewürzen versehen und kochendes Wasser sowie die Linsen hinzufügen. Ein bis zwei Stunden auf mittlerer Stufe kochen. Für jede gute Hausfrau ein leichtes Spiel.

Hat man als Gast den vollen Teller leer gegessen, schwingt eine gute türkische Gastgeberin schon wieder die Schöpfkelle: "Du hast ja noch gar nichts gegessen!" So werden die Türken in Deutschland durch die Fleisch-Krise am wenigsten abmagern; sie haben traditionell eine große Fülle vegetarischer Speisen in ihrer Kochkultur lebendig gehalten.

Nach einem ausgiebigen Linsengenuß tut ein Schnaps namens Raki gut – in Griechenland auch als Ouzo bekannt. Raki wird aus Anis hergestellt, der wie sein Artverwandter, der Kümmel, der Familie der Doldengewächse zugehört, und eine spezifische Wirkung entfaltet: nämlich Blähungen entgegenzuwirken. Damit ist verständlich, warum die Ägypter ihrem Bohnenbrei Kümmel zufügen. Den Raki trinken selbst einige Moslems getrost, weil sie sagen, es handele sich dabei nicht einfach um Alkoholgenuß, sondern um Medizin.

Auch in Deutschland sind noch Linseneintöpfe und Erbsensuppen in Großmutters Kochbüchern zu finden. Schließlich war es vor dem Krieg auch hierzulande noch weithin üblich, nur einmal die Woche Fleisch zu essen. Die übrigen Tage gab es häufig Vegetarisches, wie eben Linsen, Bohnen und Erbsen. Deren Nährwert ist hoch, wie schon eine Anekdote aus der Bibel deutlich macht: An den königlichen Hof zu Babylon wurden einige israelische Jugendliche berufen. Sie sollten an der königlichen Tafel mitessen. Doch statt all der angebotenen Genüsse verlangten die jungen Männer nur Linsen und Wasser. Nach zehn Tagen staunten die Babylonier darüber, daß die Israelis unter allen Jugendlichen der Stadt am schönsten und gesündesten aussahen.


 
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