© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001

 
Sparen bis aufs Messer
Bundeswehr: Durch fehlende Mittel besteht Gefahr der Handlungsunfähigkeit/Rettungsversuch durch Verkauf von Land
Paul Rosen

Verteidigung ist nicht mehr gefragt in Deutschland. Das Land ist von Freunden umgeben. Nachdem bereits die Kohl-Regierung eine milliardenschwere Friedensdividende duch Kürzungen der Militärausgaben kassierte, setzte die rot-grüne Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder diesen Kurs fort. Um rund 20 Milliarden Mark reduzierte die Koalition den Etat erneut, wenn man die Jahre 1999 bis 2003 zusammenrechnet. Erst ab 2003 soll es wieder leicht aufwärts gehen.

Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), einst als Reservekanzler im Gespräch, kann sich auch nach der neuen Haushaltsrunde mit Finanzminister Hans Eichel nicht wie ein Sieger fühlen. Scharping hatte die Unterfinanzierung der Bundeswehr, bei der viele Fahrzeuge älter als die Wehrpflichtigen sind, knapp drei Milliarden Mark pro Jahr beziffert – eine Zahl, die auch von den meisten Experten als angemessen bezeichnet wird. Doch erreicht hat der Minister so gut wie nichts.

Im kommenden Jahr muß er einen erneuten Rückgang der Verteidigungsausgaben um etwa 300 Millionen Mark hinnehmen. Erst danach steigt sein Etat um 500 Millionen Mark an, und er soll auch in den späteren Jahren nicht weiter abgesenkt werde. Das Problem besteht nur darin, daß sich Lohnkosten- und allgemeine Preissteigerung an diese Verstetigung nicht halten werden. Real sinkt der Verteidigungsetat also weiter, zumal der Minister die angekündigten Verbesserungen im Besoldungsbereich finanzieren muß.

Scharpings Versuch, die fehlenden Mittel durch Privatisierung und den Verkauf nicht mehr gebrauchter Bundeswehr-Grundstücke zu vereinnahmen, gilt bereits heute als gescheitert. Die Grundstücke befinden sich nur in den seltensten Fällen in Innenstadtlagen, wo sich hohe Preise erzielen lassen. Die meisten Kasernen sind im ländlichen Bereich oder am Rande von Großstädten. Außerdem: Wer kauft schon gerne einenTruppenübungsplatz?

Das größte Problem beim Verkauf von Liegenschaften besteht darin, daß diese Flächen vor der Vermarktung erst einmal entwickelt werden müßten. Dazu bedarf es teurer Konzeptionen und hoher Anfangsinvestitionen. Außerdem müssen die notwendigen kommunalen Baugenehmigungen her. Doch Städte und Gemeinden wollen die Bundes-Grundstücke zum Vorzugspreis und selber entwickeln. Am langen Hebel sitzen hier andere, aber bestimmt nicht Scharping.

Auch die Zusammenarbeit mit der privaten Wirtschaft – von der Telekom bis zu den diversen Rüstungsbetrieben – kommt nicht so recht voran. Nur wenige Pilotprojekte haben eine Chance auf Realisierung. Bei den meisten Projekten steckt der Teufel wie so oft im Detail. So ging der erste Versuch, die Leistungen der Flugbereitschaft der Bundeswehr zur Privatisierung auszuschreiben, schief. Keine der Firmen zeigte sich in der Lage, ein Angebot aufgrund der Anforderungen des Verteidigungsministeriums abzugeben.Bei der Privatisierung der Liegenschaftsverwaltung im Bereich der Standortverwaltung Düren zeigte sich, daß alle privaten Dienstleister teurer waren als die Zivilverwaltung der Bundeswehr. Selbst eingefleischte Marktwirtschaftler rieben sich die Augen: Vater Staat war – einmal wenigstens – die preiswertere Alternative. Bis zu 800 Millionen Mark erwartet Scharping durch Verkauf und Privatisierung pro Jahr, um damit die notwendigen Rüstungsinvestitionen bezahlen zu können. Da das Geld – der CDU-Verteidigunsgexperte Paul Breuer spricht von virtuellem Geld – nicht hereinkommen wird, stehen auch die Inevestitionen in den Sternen. So braucht die Bundeswehr besonders wegen der Auslandseinsätze ein neues Transportflugzeug, um die alte Transall zu ersetzen. Angeschafft werden soll ein neues Airbus-Modell, das der Konzern eigens für die europäische Luftwaffe entwickelt. Wenn die erste Rate für das Flugzeug fällig sein wird, steht Scharping mit leeren Händen da: In seinem Haushalt stehen null Mark. Ähnlich ist die Lage bei weiteren Rüstungsprojekten. Der Generalinspekteur Harald Kujat warnte bereits, die Kannibalisierung von Ersatzteilen dürfe nicht weitergehen. Um einsatzbereite Fahrzeuge zu haben, bauen Soldaten die Ersatzteile dafür aus anderen Fahrzeugen aus. Nur so wird die Einsatzbereitschaft im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina, wo die deutschen Soldaten im Rahmen internationaler Friedensmissionen tätig sind, aufrechterhalten. Ein anderes, wenn auch kleines Beispiel: Seit Jahren vermissen die deutschen Soldaten auf dem Balkan Sommer-Uniformen. Die Kleidung kann erst für den kommenden Sommer geliefert werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es unverständlich, daß Schröder und Scharping der EU noch weitere Zusagen für die schnelle europäische Eingreiftruppe gegeben haben. Herauskommen dürfte, typisch für Europa, eine virtuelle Armee, bezahlt mit virtuellem Geld.

Im Bundestag gibt es inzwischen denkwürdige Szenen: Während SPD und Grüne, die früher gegen den Einsatz deutscher Soldaten auf dem Balkan zu Massendemonstrationen aufgerufen hätten, die Verlängerung des Kosovo-Mandates verteidigten, stimmten die Liberalen bereits dagegen. Auch wenn die Erweiterung des deutschen Einsatzgebietes auf eine fünf Kilometer breite Sicherheitszone im Presovo-Tal nicht weiter bedrohlich erscheint, so versagten die Liberalen nicht zuletzt wegen der mangelnden Ausstattung der Truppe ihre Zustimmung. Allein der ehemalige Außenminister Klaus Kinkel, noch ganz in der Kontinuität seiner früheren Verwendung stehend, stimmte dem rot-grünenRegierungsantrag zu.

Die Union tat sich, im Gegensatz zur serbienfreundlichen PDS, schwerer. Unter den Außenpolitikern der Union hatte eine Schlacht getobt. Altgediente Abgeordnete, wie der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe und Karl Lamers, hätten am liebsten ohne Einschränkungen der Verlängerung des Mandats zugestimmt. Ihnen geht die Kontinuität, die Kooperation mit dem Westen vor alle Bedenken, man schicke schlecht gerüstete Soldaten in ein Abenteuer mit unbekanntem Ausgang.

Es sind jüngere Abgeordnete in der Union, etwa der CSU-Außenpolitiker Christian Schmidt, aber auch viele Haushaltsexperten, die die Zustimmung zum weiteren Balkan-Einsatz für zu riskant halten. Die Fraktion fand nur zu einem Formelkompromiß: Wenn die Mittel für die Bundeswehr nicht bis zum nächsten Jahr erhöht würden, werde man 2002 der dann anstehenden weiteren Mandastverlängerung nicht mehr zustimmen. Knapp zwanzig Unionsabgeordnete waren schon weiter als die Fraktionsführung und lehnten bereits jetzt die Mandatsverlängerung ab.

Der wichtigste Punkt, die Definition der deutschenInteressen, ging in der Debatte fast völlig unter. Die junge CDU-Abgeordnete Sylvia Bonitz sprach die entscheidende Frage in einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung an: Sie vermisse einen Rückzugsplan aus dem Kosovo und sehe die Gefahr, daß deutsche Soldaten auf dem Balkan eines Tages als Besatzer angesehen werden könnten.


 
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