© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001

 
Der Parkplatz als Gesamtkunstwerk
Die geplante Tiefgarage unter dem Bebelplatz in Berlin-Mitte sorgt für heftigen Streit um ein Denkmal
Hans-Jörg von Jena

Am Bebelplatz in Berlins Mitte, unmittelbar neben der Staatsoper, soll eine Tiefgarage gebaut werden. Darüber gibt es heftigen Streit. Dabei ist die Nachricht nicht neu. Seit der Platz Mitte der neunziger Jahre für Fahrzeuge rigoros gesperrt wurde, kann kein Besucher mehr in der Nähe der Oper parken. Das Haus steht auf dem Standpunkt: Wir wurden nicht gefragt, wir nehmen die Sperre hin, aber dann muß für Ersatz gesorgt werden. Der Ersatz, das ist die seit Jahren versprochene Tiefgarage. Damit soll es nun endlich soweit sein.

Man könnte sich zufrieden zurücklehnen. Aber das geschieht selten bei Bauvorhaben in Berlin. Die Akademie der Künste hat sich an die Spitze des Protests gestellt. Sie echauffierte sich mit einer Begehung, die einer Demonstration gleichkam, sie schreibt Briefe und sammelt Unterschriften.

Wozu der Lärm? Inmitten des weiten, leeren Bebelplatzes befindet sich das Denkmal der unrühmlichen Bücherverbrennung, die dort am 10. Mai 1933 stattfand. Diese Arbeit des israelischen, seit Jahren auch in Deutschland lehrenden und lebenden Künstlers Micha Ullman gilt vielen als eine originelle, geglückte Schöpfung innerhalb der vielgestaltigen Berliner Gedenklandschaft. Sie soll, auch wenn sie unterhalb des Pflasters liegt, nicht etwa weichen; man kann um das Denkmal herum genügend Parkraum schaffen.

Aber das genügt weder der Akademie noch Ullman selbst. Beide verlangen unisono: "Laßt den Platz in Ruhe!" Zum Nachdenken wäre jedoch auch oberhalb oder zwischen Blechkarossen Gelegenheit. Es sollte im übrigen nicht zuletzt den Umständen der Bücherverbrennung gelten. Mit einem gebetsmühlenartig wiederholten Heine-Zitat ("Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen") ist das historische Ereignis nicht abgetan. Offenbar kommt’s auf die Bücher an. Büchervernichtungen hat es leider immer wieder gegeben, gedankliche wie tatsächliche. Thomas Manns zorniges "Sie sollten alle eingestampft werden" (die in Deutschland zwischen 1933 und 1945 verlegten Bücher) zählt ebenso dazu wie das eilfertige Aussortieren und Vergraben (!) von schätzungsweise einer Million DDR-Bibliotheksexemplaren kurz nach der Wende.

"Der ganze Platz ist Teil der Skulptur", behauptet Ullman. Künstlerhybris? Dafür spricht manches, aber nicht alles. Ullman ist ernst zu nehmen. Eine kleine Ausstellung neuer Installationen, die gegenwärtig (bis 2. September) in der Akademie am Hanseatenweg zu sehen ist, zeigt "Sehen und Denken" eines sympathischen Grüblers in seiner ganzen eindrucksvollen Einfachheit. Was Ullman aus Holzkästen und rotem Sand zaubert, läßt die vielfältigsten Assoziationen zu.

Eben dies aber bleibt ein Haupteinwand gegen das vielbewunderte Denkmal unterhalb des Bebelplatzes. Es soll an ein konkretes geschichtliches Ereignis erinnern und vor jeglicher Wiederholung warnen. Das jedoch leistet die Gedenktafel am Rande des Platzes weit besser. Wer durch eine verkratzte Glasscheibe auf ein paar leere Ikea-Reagle in schwachbeleuchteter Tiefe starrt, den packt kein horror vacui, sondern ratloses Achselzucken. An die Bücherverbrennung wird er nur dann denken, wenn er schon vorher Bescheid weiß.

Es gäbe eine Möglichkeit, das Denkmal aus seiner vagen Abstraktheit zu erlösen und zum tauglichen Mahnmal umzugestalten. Vorschläge: Füllt die Regale mit Büchern! Und zwar mit solchen, die heute unerwünscht und verboten sind: im Iran beispielsweise, in Kuba oder wo immer Diktatoren und "herrschende Meinungen" das kulturelle Leben gängeln. Nur ein Regal sollte leerbleiben, als Hinweis auf all die Literatur, die aus Angst ungeschrieben und ungedruckt bleibt.

Und baut eine kleine Treppe, damit man den Büchern Aug’ in Aug’ gegenüberstehen kann! Eine Kommission, ein repräsentativ besetzter "Runder Tisch" müßte in regelmäßigen Abständen neu entscheiden, was in die Regale hineingehört und was, hoffentlich, nicht mehr. Auf den Streit ideologischer Besserwisser und diplomatischer Bedenkenträger, der dann jedesmal ausbräche , könnte man sich schon jetzt freuen. Er käme der Dauerwirkung des Denkmals ungeahnt zugute. Ein bißchen Auspuff- und Motorengeräusch ringsum schadet ihm ohnehin nicht.


 
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