© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    24/01 08. Juni 2001

 
Kino: "Pearl Habor" handelt von Liebe, einem schießenden Koch und Blut in Cola-Flaschen
Zwei gegen die Morgensonne
Hans Lody

Und sie werden in diesen Kampf ziehen wie in einen Gottesdienst", tönte Goebbels 1945 in der Wochenschau vor jungen Rekruten, bevor sie in den verlorenen Krieg geschickt wurden. Michael Bays "Pearl Harbor" ist von ähnlicher propagandistischer Qualität. Neben moralischer Hetze gegen ehemalige Kriegsgegner und heutige Verbündete thematisiert er die amerikanische Lebenslüge, US-amerikanisches Heldentum und nicht die Materialüberlegenheit hätten den Ausgang des Zweiten Weltkrieges entschieden. Die verwendete Sprache könnte den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen.

In den zwanziger Jahren spielen Rafe (Ben Affleck) und sein bester Freund Danny im Hühnerstall ErstenWeltkrieg. Als Flieger jagen sie "Drecksdeutsche". Jahre später besuchen die beiden Helden die Fliegerschule. Dort wird Colonel Doolittle (Alec Baldwin) auf ihr besonderes Draufgängertum aufmerksam. Er schlägt Rafe vor, sich freiwillig zur "Eagle"-Staffel zu melden, die dringend neue Helden benötigt, weil nur noch eine Handvoll britischer Flieger dem Sieg Adolf Hitlers im Wege stehe. Wer würde da ablehnen? Der Film bekennt offenherzig den Bruch der amerikanischen Neutralität: Ohne den Krieg zu erklären, unterstützen die USA mit Material und "Freiwilligen" eine fremde kriegführende Macht.

Was wäre Hollywood ohne seine Liebesgeschichten? Auch hier gibt es eine. Die unvermeidliche Krankenschwester eines jeden Kriegsfilms (Kate Beckinsale) verliebt sich unsterblich und ewig in Rafe. Den finalen Liebesbeweis wollen sich beide für die Zeit nach dem (End-) Sieg aufheben. So muß Rafe unbefriedigt in den Krieg ziehen. Um so mehr Befriedigung findet er in der Vernichtung von mindestens drei "Nazis", bevor das Schicksal ihn dazu verurteilt, eine Rauchfahne hinter sich herziehend, die Gewässer des Ärmelkanals näher kennenzulernen. Freundliche französische Fischer retten ihn zwar (in der historischen Wirklichkeit wollte Frankreich damals wegen des feigen Oranüberfalls England den Krieg erklären), aber er gilt als gefallen. Der Zuschauer hat sich gerade drei weitere Minuten im Kinosessel gelümmelt, als Kate Beckinsale sich schon mit Rafes Freund Danny tröstet. Die beiden sind jetzt auf Hawaii stationiert und staunen nicht schlecht, als der totgeglaubte Rafe als gehörnter Liebhaber wieder in das Filmgeschehen eintaucht. Am Vorabend des japanischen Angriffs erfolgt die nun fällige Schlägerei inklusive Besäufnis. Die Ausnüchterung absolvieren unsere Helden am Strand in einem Cabriolet. Den anfliegenden "Japsefliegern" folgen Rafe und Danny in ihrem Auto, um auf den Flugplatz erst einmal die Bodenabwehr richtig zu organisieren. Alsbald wird der Erfolg dieser Bemühungen in Gestalt abstürzender "Zeros" sichtbar. Sodann machen sich unsere Helden mit anderen Fliegerkameraden zu einem noch nicht angegriffenen Fliegerhorst auf, um mit ihren "Curtiss" den Japsen zu zeigen, wo Bartel den Most holt. Man glaubt es kaum, aber Rafe kann mit sieben Abschüssen tatsächlich rund ein Viertel der offiziellen japanischen Verluste auf sein Konto verbuchen. Allerdings erzielt ein farbiger Schiffskoch mit geringer Übungspraxis am Flakgeschütz den ersten Abschuß. Auch im Krankenhaus erweisen sich Rafe und Danny als Retter in der Not. Sie spenden ihr Blut, das in einer Coca-Cola Flasche aufgefangen wird.

Um richtige Helden zu werden, müssen unsere Freunde weitere Abenteuer bestehen. Sie nehmen daher an Colonel Doolittles legendärem Angriff mit schweren B-25-Bombern teil. Anders als im Film dargestellt, erfolgte dieser Angriff aber, um Nagumos Trägergruppe aus dem Indischen Ozean wegzulocken. Es sollte verhindert werden, daß er mit der "British Eastern Fleet" kurzen Prozeß machte. Bei einer letzten Einsatzbesprechung erklärt Doolittle, er wolle im Falle eines Abschusses über Japan sich mit seiner Maschine auf das wichtigste erreichbare militärische Ziel stürzen, da eine Gefangennahme für ihn nicht in Frage komme. Dieser Gedanke wurde – allerdings später – von den Japanern aufgegriffen und inspirierte sie offenbar zu den Kamikazeangriffen. Leider zeigt der Film nicht das Tokyoer Krankenhaus, das anläßlich dieses erfolgreichen Angriffes in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Kein Sieg ohne Opfer. Danny stirbt nach dem Absturz seines Bombers in den Armen von Rafe. Das hat er nun davon, daß er sich an die Krankenschwester herangemacht hatte. Schließlich gibt es doch noch eine Gerechtigkeit. Obwohl der Film vorgibt, "Pearl Harbor" zum Thema zu haben, schafft er doch das Kunststück, etwa die Hälfte der Zeit den "Drecksdeutschen, Hitler und den Nazis" zu widmen, obwohl die über 10.000 Meilen von Hawaii weg sind. Während die japanische Fassung das Schimpfwort "Japs" durch eine euphemistische Umschreibung ersetzt, werden in der deutschen Synchronisation die gegnerischen Soldaten als "Drecksdeutsche" bezeichnet.

Jon Voight zeigt als F. D. Roosevelt Empörung und Überraschung über den Angriff auf Pearl Harbor – in doppelter Hinsicht eine schauspielerische Leistung, wo der amerikanische Präsident doch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Kenntnis von den japanischen Absichten hatte. Die Beteiligten an dieser Kriegsfiktion ersetzen fehlende Sachkenntnis durch heilige Empörung. So Josh Harnett, der Danny spielt: "Ich habe den Überlebenden in die Augen gesehen. Alles, was ich für die Rolle wissen mußte, habe ich von ihnen gelernt."

Die Tricks, digitalisierten Modelle und Nachbauten, die die "Misubishis" und "Nakajimas" wieder fliegen und die Arizona und Oklahoma wieder schwimmen lassen, sind unübertroffen. Schade nur, daß an anderen Stellen US-Kriegsschiffe aus unseren Tagen zu sehen sind, deren Baudesign auch ein Laie leicht von denen der zwanziger Jahre unterscheiden kann. Der US-Film "Tora! Tora! Tora!" von 1969 ist in dieser Hinsicht überzeugender, während RTL oder Pro Sieben jeden Abend Unterhaltung von ähnlich fragwürdigem Niveau wie Jerry Bruckheimers 180-Millionen-Dollar-Produktion "Pearl Harbor" anbieten – gratis!

 

Info: Eine historisch genaue Darstellung der Ereignisse um Pearl Harbor bietet ein Heft der Reihe "Schiffe – Menschen – Schicksale" (Verlag Rudolf Stade, Kiel), das in Kürze erscheint.


 
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