© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/01 15. Juni 2001

 
"Die Schulden gehen auf Kosten ihrer Kinder"
Berlin: Der ehemalige Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe über die aktuelle Krise in der deutschen Hauptstadt
Moritz Schwarz

Herr Stobbe, Sie waren von 1977 bis 1981 Regierender Bürgermeister Berlins. Die Krise um die "Bankgesellschaft Berlin" hat die Stadt in einen Strudel gerissen.

Stobbe: Wir haben es mit einem Schauspiel zu tun, bei dem auf der Bühne mehrere Geschichten gleichzeitig aufgeführt werden: Auf der vorderen Bühne das Versagen einer Bank und ihrer Kontrollgremien, dahinter die Tragödie einer große Koalition, die von einem der Partner nicht mehr geliebt und deshalb verlassen wird. Und auf einer dritten Bühne bahnt sich das Drama um einen Paradigmenwechsel bezüglich der PDS in Deutschland an.

Wer ist für das Entstehen der Krise verantwortlich?

Stobbe: Obwohl sich Berlin an die Spitze der Sparer unter den Ländern gestellt hat, wachsen die Schulden immer noch. Wir haben zu leiden unter einer Fehlentscheidung der Regierung Kohl kurz nach der Einheit, als die Bundeshilfe für die Stadt eingestellt wurde. Dies geschah in der irrigen Annahme, Berlin werde durch die Vereinigung unverzüglich aufblühen. In Wahrheit aber kamen durch die Vereinigung auf die Stadt riesige Lasten zu, auf die sie natürlich nicht vorbereitet war.

Der Schuldenberg wuchs seitdem über Jahre hinweg bedrohlich, warum hat Diepgen nicht schon früher Alarm geschlagen?

Stobbe: Die Stadt hat immerhin 67.000 Stellen abgebaut. Bei allem Bemühen um soziale Verträglichkeit ist das keine schöne Sache.

Allerdings saß die SPD selbst über zehn Jahre mit in der Regierung, doch nur die CDU steht jetzt als Buhmann da.

Stobbe: Natürlich saßen die Sozialdemokraten mit in den Kontrollgremien der Bank, doch was den Skandal angeht, waren sie nicht beteiligt. Da geht es um Klaus Landowsky und die Instinktlosigkeit einer Kreditvergabe gegen den Rat seiner Mitarbeiter und bei gleichzeitiger Annahme von Spenden. Wie ein Regierender Bürgermeister darauf reagiert, das ist die eigentliche Frage! Eberhard Diepgen hat eine sehr sanfte, zu sanfte, Verfahrensweise entwickelt, um mit dem Vorgang fertigzuwerden: Er hat Herrn Landowsky lediglich aus der operativen Politik herausgenommen, ihn dann aber gleich neu installiert, diesmal auf Parteiebene. Das hat die Wut der Menschen in der Stadt natürlich nur gesteigert. An dieser Stelle ist Herr Diepgen verwundbar.

Er ist der politisch Verantwortliche.

Stobbe: Verantwortlich ist Herr Diepgen dafür, daß das Land Berlin ordentliche Kontrolleure in die entsprechendne Gremien der Bank schickt. Für das Versagen dieser Gremien ist er nicht verantwortlich. Seine Aufgabe ist es nun, eine politische Antwort auf die Bankenkrise zu finden. In bezug auf Herrn Landowsky wird seine Lösung in der Stadt nicht anerkannt. Und bezüglich der Regelung der Bankenkrise antwortet er lediglich mit Neuverschuldung. Sicher hat er kaum eine andere Wahl, aber zusätzlich müßte etwas in der Struktur der Bank selbst geschehen. Das steht bisher noch aus. Diepgens Fehler ist wohl einzig, in jeder Beziehung nicht hart genug durchgegriffen zu haben.

Ist das nicht der "Berliner Filz"? – Landowsky und Diepgen kennen sich seit der Studienzeit, bei soviel persönlicher Nähe ist das unbestechliche Einfordern verantwortlichen Handelns kaum noch möglich.

Stobbe: Dem skandalverliebten Journalismus kommen solche schwerwiegenden Worte natürlich leicht über die Lippen. Sie können aber in einer parlametarischen Demokratie politische Führung nicht ausüben, ohne sich auf Formationen von Getreuen und Anhängern zu verlassen. Das ist überall auf der Welt so. Wenn so etwas gutgeht, werden Sie gefeiert, wenn‘s schiefgeht, wird es Filz genannt.

Landowsky sind doch berechtigte Vorwürfe zu machen.

Stobbe: Herrn Landowsky ist vorzuwerfen, daß er im Machtgebrauch unkritisch geworden ist. Wie kann jemand einen Kredit, der in sich schon offenbar nicht sauber eingeschätzt worden ist, vergeben, und gleichzeitig eine solche Parteispende entgegennehmen und diese dann nicht einmal richtig verbuchen? Was für ein Verlust an Sinn für die Sorgfaltspflicht!

Landowsky ist ja schon seit Jahrzehnten im politischen Geschäft, wie ist das dann zu erklären?

Stobbe: Zu große Sicherheit in puncto Machtausübung.

Also, das Verlassen auf den Rückhalt durch den Filz?

Stobbe: Es war ganz einfach das Verlassen darauf, daß die etablierten Machtverflechtungen sein Handeln stützen würden. Und das war eben nicht der Fall.

Es ist doch ein Unterschied zwischen persönlichem Vertrauen und einer Klientelwirtschaft.

Stobbe: Selbstverständlich. Aber wenn sich nun heraustellen würde, daß auch alle anderen Kredite der Bank klientelbezogen vergeben worden sind, dann würde ich das Wort "Filz" ebenfalls verwenden.

Vorwürfe, denen Sie 1980 ebenfalls ausgesetzt waren ...

Stobbe: ... und die ich immer zurückgewiesen habe, da ich bei meinem Rücktritt mit Herrn Garski – damals Auslöser der Krise – gar nichts zu tun hatte. So war es eben, und dennoch wurde weiter anderes behauptet.

Die SPD hat zunächst stillgehalten.

Stobbe: Die SPD hat sich in dieser Koalition schon lange gequält. Sie kann nun den schon lange zuvor gewünschten, aber wegen der Geschichte der Stadt tabuisierten Weg endlich beschreiten.

Wird die SPD mit ihren Partnern in der Lage sein, die Probleme der Stadt zu schultern?

Stobbe: Sie werden sehr schnell Entscheidungen zustande bringen müssen, die sicherlich schmerzlich sein werden. Die Konturen dieser Entscheidungen müssen den Berlinern deutlich sichtbar vorgelegt werden. Da sind wir alle gespannt.

Ist die Stadt ohne Eingreifen des Bundes überhaupt zu retten?

Stobbe: Ein Eingreifen wie im Falle des Saarlandes oder Bremens steht noch nicht zur Debatte, dafür ist die Grenze noch nicht überschritten. Allerdings müßten einige Dinge zwischen Nation und Hauptstadt neu, das heißt künftig auf nationaler Ebene, geregelt werden.

Trägt eine politische Mißstimmung die PDS jetzt in die Regierung?

Stobbe: Wenn Worte wie "Skandal" oder "Filz" gebraucht werden, kommt die wirkliche Situation immer nur sehr ungenau zum Ausdruck. Die Mißstimmung unter den Berlinern ist da. Denn sie wissen, daß die Schulden auf Kosten ihrer Kinder gehen. Ich glaube, daß die Stimmung dennoch geteilt ist. Viele sehen, daß die in den Medien übliche Schwarz-Weiß-Malerei nicht so recht zutrifft. Und viele Menschen haben wenig Vertrauen in die Koalition, die die SPD nun anstrebt, um die Probleme zu lösen. Andererseits regiert Eberhard Diepgen die Stadt schon so lange, und viele Menschen wünschen sich einen Neueanfang.

Wird die Regierungszeit Diepgens als "Ära Diepgen" in die Geschichte Berlins eingehen?

Stobbe: Er gehört zweifellos zu den ordentlichen Bürgermeistern in der Geschichte Berlins. Aber für eine "Ära Diepgen" fehlt ihm, so seltsam es klingen mag, die ganz große Krise. Ernst Reuter oder Willy Brandt hatten das Glück oder das Pech – je nach Standpunkt –, daß sie großen Druck von außen zu meistern hatten und deshalb um die Zustimmung aller Kräfte im Inneren Berlins bzw. West-Berlins werben konnten. Das ist das Geheimnis ihrer Größe. Diepgen ist kein "außenpolitischer" Bürgermeister, sondern einer, der die schwere Bürde zu tragen hat, die schwierige "Kommune Berlin" zu regieren.

 

Dietrich Stobbe geboren 1938 im ostpreußischen Weepers, trat im Zuge der Affäre um millionenschwere Landesbürgschaften für den Architekten Dietrich Garski im Januar 1981 als Regierender Bürgermeister von Berlin zurück. Danach leitete der SPD-Politiker bis 1983 das New Yorker Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung. Von 1983 bis 1990 gehörte er dem Deutschen Bundestag an.


 
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