© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    25/01 15. Juni 2001

 
Schaufenster der Korruption
Die trostlose Situation in Berlin entspricht der Lage im übrigen Deutschland
Doris Neujahr

Nichts ist augenblicklich bequemer, als einzustimmen in den Chor voller Hohn und Spott, der über Berlin ausgeschüttet wird: über die herrschende Subventionsmentalität, den Provenzialismus, über den Filz, die Inzucht und die fehlende Qualität des politischen Personals in Berlin. Das Schlimme an diesen Stimmen ist: Sie haben recht!

Zuviel, was sich dort in Mauerzeiten an Mentalität und Milieu herausgebildet und seither bewahrt hat, ist zum Gruseln. Das fiel früher nicht weiter auf, weil die geographische Lage mitten im roten Imperium (West-)Berlin nach innen und außen per se bedeutsam machte und seinen Akteuren Gelegenheit gab, sich selber bedeutend zu fühlen. Offene Kritik an Berlin verbot sich da. Für das saturierte Westdeutschland war das alljährliche, milliardenschwere Subventions-"Notopfer Berlin" ein Ablaßhandel, mit dem es sein eigenes schlechtes Gewissen gegenüber den Brüdern und Schwestern im Osten beruhigte. Außerdem entsorgte die Bundesrepublik hier ihr Unruhepotential. Im Bezirk Kreuzberg verlebten brave Bürgerkinder ihre Sturm-und-DrangJahre, ehe sie zu Hause ihren Karrieren nachgingen.

In den Ostteil, "Hauptstadt der DDR", wurden sämtliche Ressourcen des Halbstaates hineingesteckt, um ein "Schaufenster des Sozialismus" zu schaffen. Parallel dazu bildete der labyrinthische Prenzlauer Berg die Zuflucht für DDR-Aussteiger, Halb- und Lebenskünstler. Beide Stadthälften versprachen den Aufbruch und verkörperten doch nur Stillstand und Endstation. Von Zeit zu Zeit erneuerte ein Mauermord das beidseitige Gefühl tragischer Bedeutsamkeit.

Während nach 1989 die Milieus im Osten wegbrachen, fühlte das CDU-Polit-Establishment im Westteil sich ins historische Recht gesetzt. Mit dem Milliardenloch, das die Berliner Bankgesellschaft in den Landeshaushalt gerissen hat, haben die West-Berliner Verhältnisse sich endlich bis zur Kenntlichkeit entstellt. Das entsetzte Publikum blickt in einen Abgrund aus Inkompetenz, Verfilzung, Demokratiezerstörung. Klaus Landowsky, seit dem Studium ein Freund des Regierenden Bürgermeisters Diepgen, langjähriger Chef der CDU-Fraktion, Vorstand der Hypobank und der spendierfreudigen Berliner Lotto-Gesellschaft, Mitglied eines Tennis-Klubs, dem Gelder eben jener Lotto-Gesellschaft zuflossen, Ex-Mitglied auch des SFB-Rundfunkrates, personifizierte das Berliner System aus Beziehungen, Korruption und Ämterpatronage. Es funktionierte so lange, weil es dank Subventionen so viele zufriedenstellen konnte.

Zufrieden stellte es auch die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften, die sich in der 35jährigen SPD-Herrschaft zwischen 1946 und 1981 den öffentlichen Dienst als größten Arbeitgeber unterworfen hatten. Es umfaßte weiterhin immer dieselben Architekten, die immer die gleichen Häuser bauten. Es umfaßt die Love Parade, die vom CDU-Wirtschaftssenator den Status einer "politischen Demonstration" zugeschanzt bekam. Und es wurde und wird garniert durch ein erstaunlich langlebiges, mittelmäßiges Künstler- und Halbweltmilieu. Ein Nichtsnutz wie Oliver Juhnke, dessen einziges Verdienst es ist, der Sohn des schauspielernden Quartalsäufers Harald J. zu sein, schafft es bis heute, auf die Titelseite der Boulevardpresse zu gelangen.

Die West-Berliner Elite wird durch einen bestimmten physiognomischen Typ verkörpert: untersetzt, mit flinken Augen, gewitztem Mundwerk, kurzem Verstand und dunklem Schnauzbart. Im Film werden solche Typen als Zuhälter oder Teppichhändler eingesetzt, in Berlin aber heißen sie Peter Radunski oder Georg Gafron. Hier steigen sie zu Kultursenatoren oder lokalen Medienmogulen auf. Gafron ist Chef eines Berliner Privatradios, eines privaten Fernsehsenders, der städtischen Springer-Gazette B.Z. (die B.Z. hat das halbe Format von Bild und ist dreimal so schmierig) und, natürlich, Landowsky- und-Diepgen-Intimus. Alle zusammen bildeten eine Betonfraktion, der keiner konnte (siehe auch "Knotenpunkte der Macht" auf dieser Seite).

Im abgeschotteten Biotop gedieh eine impotente Mischung aus Kleinmut und Größenwahn: Sie vermochte es noch, in der Friedrichstraße die historischen Traufhöhen von 22 Metern und am Potsdamer Platz den alten Straßenverlauf durchsetzen, strangulierte damit jedoch die Möglichkeiten moderner Architektur. Vom Café Kranzler am Ku’-damm rettete sie die legendäre Rotunde, ließ aber zu, daß es entkernt, entleert und von einem benachbarten Eisberg von Bürogebäude förmlich erschlagen wird. Das Gehäuse von Peter Steins Schaubühne wird weiterhin bespielt, aber Peter Radunski, ganz jugendkultig, hat sie 1998 dem 30jährigen Thomas Ostermeier vermacht, der bis dahin an einer Kleinbühne mit modischen Jugendstücken reüssiert hatte und das berühmte Haus mittlerweile heruntergewirtschaftet hat. Im Ostteil mußte der großangelegte Versuch, 1997 aus dem alten SED-Organ Berliner Zeitung eine deutsche New York Times oder Le Monde zu machen und nebenbei die FAZ zu überholen, wieder abgebrochen werden, weil die Stammleserschaft die vertraute Nestwärme vermißte.

Jetzt ist viel vom Ende "West-Berlins" die Rede. Das ist richtig und falsch zugleich. Richtig, weil das politische Personal sich ändern wird. Falsch, weil die angekündigten "neuen Strukturen" sich von den alten kaum unterscheiden werden. Berlin ist vom Rest der Republik gar nicht so verschieden. Eberhard Diepgen besteht den Vergleich mit dem depperten Hamburger SPD-Bürgermeister Ortwin Runde allemal. Der rote Filz in Nordrhein-Westfalen wuchert nicht weniger als der schwarze in Berlin, und bei der bayerischen Staatsanwaltschaft gehen Computer-Festplatten verloren, deren Inhalt den Korruptionsverdacht gegen die Strauß-Familie bestätigen könnte. Wer glaubt da an Zufall und intakte Institutionen? Berlin allerdings ist bettelarm, und so nimmt das angerichtete Desaster sich ungleich katastrophaler aus als vergleichbare Skandale in Bayern oder NRW.

Schlimm ist nicht die Aushebelung Eberhard Diepgens, sondern daß sie ausschließlich durch eisiges Machtkalkül und eine ideologische Linksverschiebung zustande kommt. Es stimmt ja, daß der West-Berliner Antikommunismus als Zukunftprogramm nicht ausreicht. Inzwischen aber tut man so, als sei er eine schlechte Sache gewesen!

Woher soll die angekündigte Erneuerung eigentlich kommen? Die Berliner SPD steckt genauso im Sumpf wie die CDU. Ihr neuer Spitzenmann Klaus Wowereit ist ein typisches West-Berlin-Gewächs und hat sein gesamtes Berufsleben im öffentlichen Dienst verbracht. Die Berliner Grünen haben ihre Stasi-Unterwanderung nie aufgearbeitet und sehen alle so verbraucht aus wie der graue Christian Ströbele. Die PDS hat außer dem Medienclown Gregor Gysi (den Unwissende für einen Intellektuellen halten), der Landesvorsitzenden und gelernten Pionierleiterin Petra Pau und dem Fraktionschef Harald Wolf, der aus dem linksradikalen Biotop West-Berlins stammt und den Charme eines Tscheka-Kommissars verströmt, auch nichts zu bieten.

Die Situation in Berlin ist wahrlich trostlos! Und niemals in den letzten fünfzig Jahren entsprach die Situation in der Hauptstadt so sehr der Lage im übrigen Deutschland!


 
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