© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001


Neuwahlen in Berlin
Wo ist der Gysi von rechts?
Dieter Stein

Die Ankündigung Gregor Gysis, propagandi stisch geschickt, als Spitzenkandidat der PDS und als Kandidat für das Amt des Regierenden Bürgermeisters anzutreten, ist für die Hauptstadt ein Paukenschlag. Noch bis vor kurzem sah es so aus, als habe der wegen Stasi-Vorwürfen 1993 als Parteivorsitzender zurückgezogene Gysi, der zuletzt 2000 den Fraktionsvorsitz an Roland Claus abgab, sich zum endgültigen Rückzug in Private entschlossen. Schnell hat sich seitdem aber herausgestellt, wie farblos die jeweiligen Nachfolger neben Gysi aussehen. Gabi Zimmer als Parteivorsitzende und Claus als Fraktionsvorsitzender im Bundestag verströmen den der PDS unweigerlich anhaftenden morbiden Charme einer unter Überalterung und Auszehrung leidenden Partei.

Gysi reizte aber die Schlacht um die Hauptstadt, denn er weiß, daß es trotz Verhältniswahlrechts aus Sicht der Bürger doch um eine Persönlichkeitswahl geht. Doch während Möllemanns albernen Vorschlag, die FDP solle für 2002 einen Kanzlerkandidaten aufstellen, niemand ernst nimmt, ist die Aufstellung eines PDS-Kandidaten für den Posten des Regierenden Bürgermeisters ernstzunehmen, denn SPD und Grüne könnten von den SED-Nachfolgern überholt werden.

Neben Gysi sehen der durch ein Konstruktives Mißtrauensvotum an die Macht gekommene Klaus Wowereit (SPD) und der CDU-Fraktionschef und frischgekürte Spitzenkandidat Frank Steffel alt aus. Der mit allen rhetorischen Wassern gewaschene Sozialist überrollt die Biedermänner der anderen Parteien mühelos.

Wer Gysi bei der Pressekonferenz zur Ankündigung seiner Spitzenkandidatur oder einem seiner Dutzenden Talkshowauftritte erlebt, denkt unweigerlich: Verdammt noch mal, warum gibt es nicht so einen sympathischen, eloquenten, gewinnenden Politiker von rechts? Warum hat das bürgerliche Lager nur so viele verklemmte, störrische, humorlos daherschwafelnde Technokraten vom Typ eines Friedrich Merz? Wo sind die mitreißenden Populisten von rechts oder der Mitte, die dem Volk aufs Maul schauen und trotzdem intelligent und geistreich sind?

Es würde sich vieles ändern, wenn die Persönlichkeitswahl in unserer Demokratie stärkere Bedeutung bekäme und die Kungelrunden der Parteien entmachtet würden. Deshalb hat Gysi mit der Forderung nach Direktwahl des Bürgermeisters recht.

Wie traurig die Lage in Berlin ist und wie tief die CDU unter Mitwirkung der SPD die Stadt in die Krise geritten hat, zeigt mir ein Anruf von dieser Woche, der stellvertretend für die Stimmung weit ins bürgerliche Lager hinein ist. Ein bekannter nationalkonservativer Publizist brüllt mich durch den Hörer an: "Bei der nächsten Wahl kann man doch nur noch PDS wählen, so wie sich die CDU anstellt!"

Was Gysi gefährlich macht, ist jedoch nicht die Vergangenheit der SED, sondern die Kraftlosigkeit der SPD, sich den Umwerbungen zu widersetzen, und die durch Korruption und Opportunismus zermürbte Widerstandskraft des bürgerlichen Lagers. Sie alle hätten einen Bürgermeister Gysi verdient.


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