© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Kolumne
Spiegelkabinett
von Klaus Motschmann

Jedermann kennt die wundersamen Wirkungen beim Durchschreiten eines Spiegelkabinetts auf Jahrmärkten: die Besucher erscheinen in ständig wechselnden Formen, verkleinert, vergrößert, verschwommen oder überscharf, so daß niemand mit Sicherheit sagen kann, welche Spiegelung der Wirklichkeit entspricht – abgesehen von dem eigenen Bild. Der rasche Wandel vollzieht sich durch die eigene Bewegung nach dem Prinzip "Wandel durch Annäherung". Ein bestimmtes Objekt, z. B. ein Luftballon in der Hand eines Kindes, kann ins Gigantische wachsen, kann aber auch beim nächsten Schritt in sich zusammenfallen.

Was früher für Überraschungen auf dem Jahrmarkt oder auf der Opernbühne sorgte, wird heute mit wachsendem Erfolg bei der Durchsetzung aller möglichen politischen und gesellschaftlichen Absichten in der Spaßgesellschaft durch das Infotainment erreicht. Es kommt bekanntlich nur auf den optischen Eindruck an, nicht so sehr auf die politisch-moralischen Einstellungen, sondern auf die Kamera-Einstellung. Selbst hartgesottene Ideologen haben diese Grundprinzipen peinlich genau zu beachten, sofern sie sich nicht freiwillig ins politische und gesellschaftliche Abseits stellen wollen. Das geht nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre sehr schnell, wobei die Leitfiguren der politischen und intellektuellen Linken in der Regel dank jahrzehntelanger Übung in der Anpassung an die jeweils herrschende Generallinie (bzw. den mainstream) und Disziplinierung von Abweichlern keine nennenswerten Schwierigkeiten haben, dem jeweils aufgezogenen Geßlerhut öffentliche Referenz zu erweisen.

So haben es Lothar Bisky und Gregor Gysi dank ihrer ungezählten Auftritte in den Spiegelkabinetten unserer Mediokratie meisterhaft verstanden, den Eindruck einer gründlich demokratisierten PDS zu vermitteln und damit einen beachtlichen Teil der politischen Klasse unseres Volkes zu überzeugen. Möglicherweise sogar sich selber; niemand sollte das von vornherein bestreiten.

Doch Ziel und Weg der PDS werden nach wie vor wenn auch nicht allein, aber doch in erheblichem Maße von der Kommunistischen Plattform, dem Marxistischen Forum und der Mentalität alter Genossen bestimmt. Gysi selbst hat bestätigt, daß diese Leute "einen ganzen Parteitag terrorisieren" (Münster, April 2000) konnten, und damit seinen Rücktritt vom Fraktionsvorsitz im Bundestag, Bisky den seinen vom Parteivorsitz begründet. Und mit einer Partei, die sich von derartigen Leuten terrorisieren läßt, will die SPD jetzt einen Neuanfang in Berlin beginnen.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin


 
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