© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    26/01 22. Juni 2001

 
Verrat
Dokumentation: Offener Brief des Kurt-Schumacher-Kreises an Funktions- und Mandatsträger der Berliner SPD
Heinz Gerull / Hermann Kreutzer

Als politische und Rechtsnachfolgerin der SED trägt die PDS die volle Verantwortung für die Verbrechen der SED an Sozialdemokraten und anderen Demokraten.

Nach Auskunft der russischen Generalstaatsanwaltschaft sind auf Veranlassung der SED 5.000 Sozialdemokraten zumeist langjährig inhaftiert worden. Davon sind in der Haft 400 umgekommen und an den Haftfolgen über tausend verstorben. Die anderen haben in den unmenschlichen SED-KZs und SED-Zuchthäusern bleibende Gesundheitsschäden erlitten.

Wir wiederholen: Für diese Verbrechen trägt die PDS die Verantwortung!

Bis heute, elf Jahre nach dem Zusammenbruch, hat die PDS noch nicht ein einziges Mal den Versuch unternommen, diese Verbrechen lückenlos aufzuklären, sich nicht ein einziges Mal aufgerafft, die Schuldigen an diesen Verbrechen, also die Pieck, Grotewohl, Ulbricht, Matern, Honecker, Haid, Fischer, Sievert, Sindermann, Mewes etc. zu benennen, und nicht ein einziges Mal die Bereitschaft zur Wiedergutmachung gezeigt. Im Gegenteil: Die überwältigende Mehrzahl der PDS-Funktionäre und Mitglieder billigt auch noch im nachhinein die Verbrechen an Sozialdemokraten.

Und Sie von der deutschen Sozialdemokratie? Sie haben bisher auch nicht ein einziges Mal in den zurückliegenden elf Jahren die PDS aufgefordert, die Verbrechen der SED an Sozialdemokraten aufzuklären, die Schuldigen festzustellen und Wiedergutmachung, zumindest in Erinnerung an die von der SED Umgebrachten, zu leisten!

Weshalb nicht? Sind Ihnen diese aufrechten Sozialdemokraten, die ihre Freiheit und ihr Leben für die Demokratie in Deutschland und für ihre SPD und damit auch für Sie, sehr geehrte Damen und Herren, hingegeben haben, so wenig wert, daß Sie meinen, sie so ignorieren zu können?

Lippenbekenntnisse gelten hier nicht! Sie müssen endlich politisch-moralisch zu ihnen stehen und das heißt, Konsequenzen zu ziehen und gegen die Schuldigen und Verantwortlichen vorzugehen. Statt dessen projektiert man ernsthaft eine Koalition bzw. ein Paktieren mit der PDS, diesen rotlackierten Nazis. Seit Kurt Schumachers Zeiten sind sie das geblieben, auch wenn sie sich, der Not gehorchend, nach außen "demokratisch" geben. Wenn die Herrschaften Demokraten wären, hätten sie sich schon längst der SPD angeschlossen und wären nicht mehr in dieser Kommunistenpartei.

Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß eine Koalition mit der PDS auf den Leichenbergen der von der SED umgebrachten Sozialdemokraten errichtet wird, solange die PDS nicht bereit ist, die an Sozialdemokraten begangenen Verbrechen aufzuklären, die Schuldigen festzustellen und Wiedergutmachung zu leisten. Wir werden Ihnen das immer wieder vorhalten; vielleicht dämmert es dann eines Tages, und Sie fangen an, sich zu schämen.

Wenn man meint, eine solche dubiose Koalition benötige man, um einige Jahr "Macht ausüben" und sich als Regierender Bürgermeister oder Senator sonnen zu können, und natürlich Ihrem Boß, dem Bundeskanzler, eine bessere Position im Bundestag zu bieten, beweist nur, wie "kurz" das alles gedacht ist. Die Berliner Bevölkerung lebt seit Jahrzehnten in der Stadt, Senatoren existieren nur einige Jahre. Wenn Sie sich einmal den Momper-Senat von vor elf Jahren ansehen und fragen nach den damaligen Senatoren: nach dem Erich Petzold, dem guten Mitscherlich, dem Wagner und nach der aufgeblasenen Stahmer. Wo sind sie? "Sag mir, wo die Senatoren sind, wo sind sie geblieben?"

Ihnen, Herr Strieder, Herr Wowereit, Herr Böger, Herr Benneter, Herr Lohrenz etc.etc. wird es in ein paar Jahren genauso ergehen. Und wegen dieser vorüberhuschenden billigen Macht, für dieses Linsengericht an Eitelkeit, ist man bereit, die politische Moral und die eigene Partei zu verraten. Es wäre das erste Mal in der Geschichte der SPD, daß diese demokratische Partei mit Nazis, mit rotlackierten, paktiert. (Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt muß man der politischen Dummheit der dortigen Genossen als demokratische Anfänger zugute halten).

In Berlin aber würden Sie außer den verfolgten Sozialdemokraten auch die großen Berliner Sozialdemokraten Franz Neumann, Louise Schröder, Ernst Reuter, Otto Suhr, Otto Theuner, Rolf Schwedler, Günther Klein, Joachim Lipschitz, Willy Brandt, um nur einige zu nennen, mit der angepeilten Lumpenkoalition jeden Tag aufs neue verraten. Mit Anti-Demokraten koaliert man nicht. Das war über hundert Jahre ein Aspekt der politischen Moral der SPD. Daran hat man sich heute, nach zwei überstandenen Diktaturen erst recht zu halten!

Wer als SPD-Mitglied bereit ist, mit der Nachfolgerin der Verbrecherpartei SED, der PDS, eine Koalition einzugehen, ohne daß diese Partei wirklich mit ihrer Vergangenheit gebrochen hat und bereit ist, die Verbrechen aufzuklären, die Schuldigen zu nennen und Wiedergutmachung zu leisten, verrät nicht nur die Tradition seiner Partei und die großen Berliner Sozialdemokraten, sondern versetzt den von der SED umgebrachten Hunderten von Sozialdemokraten noch einen Fußtritt und stellt sich als das dar, was er ist, ein charakterloser politischer Lump!

 

Heinz Gerull: als SPD-Mitglied von der Gestapo verfolgt und von den Kommunisten zu 25 Jahren verurteilt; davon sechs Jahre in Workuta inhaftiert.

Hermann Kreutzer: als SPD-Mitglied von den Nationalsozialisten zu zehn Jahren Haft verurteilt und von den Kommunisten zusammen mit Ehefrau und Vater zu je 25 Jahren verurteilt; davon sieben Jahre u.a. in Bautzen inhaftiert.


 
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