© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
Vom Klapperstorch zur Babyklappe
Dresden: Lebensschutzorganisation KALEB eröffnet anonyme Abgabestation für Neugeborene / Adoptiertengruppen protestieren gegen "Findelkinder-Projekte"
Ellen Kositza

Für Frauen, die ungewollt schwanger werden oder sich im Verlaufe der Schwangerschaft mit unerwarteten, offenbar nicht zu bewältigenden Schwierigkeiten konfrontiert sehen, stehen hierzulande breitgefächerte Beratungs- und Hilfsangebote bereit. Staatliche, konfessionelle und soziale Dienste stehen ratlosen, oft alleingelassenen Frauen bei ihren schwerwiegenden Problem begleitend zur Seite, helfen oft unbürokratisch und individuell.

Dennoch wiederholt es sich in Deutschland vierzig- bis fünfzigmal im Jahr: Neugeborene geraten in Gefahr, von ihren Müttern nach einer heimlichen Geburt in Panik umgebracht oder – als Findelkind ausgesetzt – zu spät gefunden zu werden. Experten gehen dabei von einer sehr viel höheren Dunkelziffer aus.

In Dresden eröffnete nun das christliche KALEB-Zentrum (Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren) in der vergangenen Woche die erste "Babyklappe" Sachsens: Müttern in scheinbar auswegloser Situation wird die Möglichkeiten geboten, unerkannt durch eine am KALEB-Haus installierte Klappe ihren Säugling in ein dahinterstehendes Wärmebettchen abzugeben. Sensoren melden die Ankunft des Babys, und binnen weniger Minuten kümmert sich eine Mitarbeiterin des Zentrums um das Kind. Gleichzeitig wird das kooperierende Dresdner Diakonissen-Krankenhaus in Kenntnis gesetzt, und nach einer medizinischen Untersuchung wird der Säugling zunächst in die Obhut einer Pflegefamilie gegeben.

Für die abgebende Mutter liegt in der Babyklappe ein Brief bereit, der sie darüber informiert, daß sie binnen der folgenden acht Wochen Gelegenheit hat, ihr Kind zurückzuholen – Hilfe und Unterstützung in ihrer Notlage und auch in den kommenden Wochen und Monaten sollen ihr sicher sein. Auch dabei darf die Mutter anonym bleiben. Wie sie sich auch entscheiden mag, es liegt – rechtlich reichlich kompliziert, aber durch die Juristenvereinigung "Lebensrecht" eindeutig nachgewiesen – im Fall einer derartigen Kindsabgabe kein Straftatbestand vor. Nach der zweimonatigen Bedenkfrist wird das Jugendamt benachrichtigt und dort ein reguläres Adoptionsverfahren eingeleitet.

16 ehrenamtliche Helferinnen von KALEB tragen außerdem Gewähr, unter einer Notrufnummer stets erreichbar zu sein und im Fall der Fälle Hochschwangere oder Säuglinge aus ganz Sachsen abzuholen. Die Kosten für die Ausbildung der Ehrenamtlichen übernahm das Sächsische Sozialministerium, die großangelegte Werbekampagne finanziert das Diakonische Werk. Durch Privatspenden wird das laufende Projekt – übrigens angestoßen durch eine Anfrage aus CDU-Kreisen – unterstützt.

Zwei Monate nach der Abgabe wird die Adoption eingeleitet

Seit Oktober 2000 wurden im Dresdner Umland drei Säuglinge tot aufgefunden. Ob solche Mütter, in Panik und Affekt handelnd, von der Babyklappen-Möglichkeit wirklich erreicht werden, davon Gebrauch gemacht hätten oder es künftig tun werden?

Garnet Helm, Leiterin des Dresdner Projekts, hofft es. Sie nennt als Grund für das Tätigwerden von KALEB eine "Art Verpflichtung" : "Wenn man sich wie wir gegen Abtreibung einsetzt, kann es uns nicht egal sein, wenn geborene Kinder von verzweifelten Müttern ausgesetzt werden." Darüber, wie Mütter, die ihre Kinder aussetzen, erfolgreich anzusprechen seien, gebe es keine gesicherten Erkenntnisse.

Die Idee der "Babyklappe" wurde den Niederlanden abgeschaut, die erste anonyme Abgabestation Deutschlands nahm im April vergangenen Jahres in Hamburg ihren Dienst auf. Der dort initiativ gewordene SterniPark e.V.bietet zusätzlich die Möglichkeit einer anonymen Geburt und eines anschließenden Aufenthalts in einer angegliederten Mutter-Kind-Einrichtung. Auch die Einrichtung einer deutschlandweiten Notruf-Nummer (0800 / 4 56 07 89), die es schwangeren Frauen in Not ermöglicht, sich bundesweit von "Babyklappen"-Mitarbeiterinnen abholen zu lassen, geht von dem Hamburger Projekt aus. Bislang haben elf Frauen dort anonym ihr Kind geboren, in sechs Fällen haben sie sich entschieden, es zu behalten. Dennoch: seit Eröffnung der Klappe durch den Hamburger SterniPark sind bereits zwei Säuglinge in der Stadt frei ausgesetzt worden, gleiches wird aus Berlin berichtet.

"Keine Zeugen. Keine Fragen. Keine Polizei": Mittlerweile existieren rund vierzig solcher Einrichtungen im Bundesgebiet, alleine drei in Berlin, ein Großteil in Bayern. Unterschiedliche Initiativen fungieren als Träger dieser Projekte, in München etwa nimmt, nach mittelalterlichem Vorbild, ein Kloster Säuglinge an. Österreich zieht langsam nach, die Schweiz auch, obwohl Kindesaussetzungen – vier bekanntgewordene innerhalb der letzten vier Jahre – dort kaum ein Thema sind.

Kritiker fürchten, daß das Angebot die Nachfrage steigert

Damit wird auch einer der Kritikpunkte an der Babyklappe angestoßen – steigert das Angebot womöglich die Nachfrage? Diesen Schluß mag das Beispiel Frankreich zulassen, wo seit Einführung dieser Möglichkeit 600 Kinder anonym zur Welt gebracht worden sind, eine Zahl, die freilich in keinem Verhältnis zur Summe zuvor ausgesetzter Kinder steht. Bedenken dieser Art, Sorgen, die Hemmschwelle zum Weggeben des eigenen Säuglings könne sinken, werden aus unterschiedlichen Kreisen geäußert. So war man bei der Caritas, die mittlerweile selbst derartige Projekte leitet, zunächst skeptisch; ein jüngerer Zeitungsartikel im schweizerischen Blick berichtete polemisch über die so empfundene Möglichkeit zur "bequemen Entsorgung" von Neugeborenen ("und so funktioniert’s"), und in Reihen der PDS, die den "Babyklappen" als einzige Partei mit unverhohlener Skepsis gegenübersteht, fürchtet man, einem patriarchalischen Zwang, durch Weggabe eines nicht statthaften Neugeborenen "Familienehre" zu retten, könne damit Vorschub geleistet werden. Dies mag gerade moslemische Frauen betreffen, und hier berührt man zugleich eine weitere juristische Grauzone: Wie bereits Fälle aus den länger etablierten Geburtshäusern zeigen, können Ausländerinnen ohne Aufenthaltsgenehmigung hierin eine Möglichkeit sehen, unregistriert zu gebären. Für Garnet Helm von KALEB ist eine solche Gesetzesunterwanderung freilich das geringste Problem – Menschenleben ist Menschenleben, geholfen wird allen.

Stärkste Gegner der "Babyklappe" sind allenthalben verschiedene Selbsthilfegruppen adoptierter Menschen, die sich in einer hundertfach unterzeichneten Hamburger Erklärung strikt gegen solche Findelkind-Projekte aussprachen: Anonym geborenen Menschen werde jede Möglichkeit genommen, sich auf die Suche nach familiären Wurzeln zu begeben; derartige biographische Lücken hätten bisweilen fatale Folgen für die heranwachsenden Adoptierten. Garnet Helm mag die Wichtigkeit und Brisanz solcher Überlegungen nicht abstreiten, weist jedoch auf psychologische Langzeituntersuchungen hin, die belegten, daß Adoption in vielen Fällen die gesündere Alternative für das unerwünschte Kind darstelle.

Mit Sicherheit wirft der Eifer, mit dem in den vergangenen Monaten bundesweit "Babyklappen" errichtet wurden, ein bezeichnendes Licht auf gesellschaftliche Zustände. Dem traurigen Gedanken an eine institutionalisierte Möglichkeit, ein Neugeborenes anonym weggeben zu können, und an den dahinterstehenden hohen technologischen wie personalen Aufwand, steht im Gegenzug ein umfassender, gesellschaftlich wie politisch anerkannter Komplex gegenüber, durch den unglücklichen Schwangeren Abtreibungen ermöglicht werden. Einmal zur Welt gebracht, scheint ein Kind mit weitaus höherer Emotionalität rechnen zu dürfen.

Für Aufsehen hatte eine Werbekampagne für die "Babyklappe" in Berlin-Zehlendorf gesorgt. Mittels großplakatiger Werbung und 50.000 Flugzetteln sollte die Möglichkeit einer straffreien "Kindsübergabe" bekanntgemacht werden. Neben dem Foto einer überfüllten Mülltonne hieß es da: "Manche Kinder haben Glück. Sie werden bei uns abgegeben." Provokante Werbung in sensibler Angelegenheit: ein zweischneidiges Schwert.

Heikel erscheint zudem der gängige Name der Einrichtungen, wird doch mit "Klappe" sehr deutlich ein technisch-praktisches Moment betont. "Zugegeben, der Name ist scheußlich", räumt auch Garnet Helm ein, aber es sei nun einmal so, daß gerade mit dem gelegentlich vorgeschlagenen Namen "Moses-Körbchen" die wenigsten Dresdner etwas anfangen könnten. Als nicht eindeutig genug wurden alternative Namensschöpfungen wie "Baby-Körbchen" empfunden, schließlich solle mit dem Projekt nicht irgendeine sozialchristliche Elite angesprochen werden, so Helm, sondern schichtübergreifende Publizität erlangt werden. Der harte, doch eindeutige Name habe sich in anderen Städten nun etabliert, und letztlich sei Vernetzung wichtig.

 

Spendenkonto: Projekt Findelbaby, Kto.-Nr. 101567028, BLZ 85095164, LKG Sachsen eG Dresden


 
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