© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
In eine linke und eine rechte Hälfte gespalten
Albanien: Die Parlamentswahlen in der kleinen Balkan-Republik offenbaren Probleme einer ganzen Region / Westliche Hilfe für Ex-Kommunisten
Carl Gustaf Ströhm

Das endgültige Ergebnis der letzen Sonntag in Albanien abgehaltenen Parlamentswahlen stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest. Dennoch gibt es schon ein Resultat: Unabhängig davon, ob die Sozialisten von Premier Ilir Meta oder die Demokratische Partei des Ex-Präsidenten Sali Berisha die Mehrheit erringen werden – das Land ist in eine "linke" und eine "rechte" Hälfte polarisiert. Von einem strahlenden Sieg der Ex-Kommunisten und von einem Absinken der antikommunistischen Opposition in die Bedeutungslosigkeit – wie es viele westliche Medien voreilig behauptet hatten – kann keine Rede sein.

Die westliche Politik hat also in der Republik Albanien, wo Europa und die USA auf erstaunliche Weise die gewendeten Kommunisten – sozusagen die Enkel des 1985 verblichenen KP-Diktators Enver Hoxha (der 1967 alle Kirchen und Moscheen schließen ließ!) – unterstützten, zu einer faktischen Destabilisierung geführt. Der Westen hat nicht nur jene konservativ-"bürgerlichen" Kräfte in Albanien (soweit solche Begriffe überhaupt anwendbar sind) im Stich gelassen, die – wenn auch unvollkommen – die Werte der rechten Mitte repräsentieren. In dieser Hinsicht haben – leider – besonders die deutsche CDU und die Österreichische Volkspartei versagt. Anstatt den nichtsozialistischen Kräften den Rücken zu stärken (und ihnen, wo nötig, freundschaftlich die Leviten zu lesen), ließ man Berisha wie eine heiße Kartoffel fallen und ermöglichte damit auf der ganzen Linie den Sieg der "Sozialistischen Internationale" in Albanien. Anstatt behutsam zu helfen, die völlig zerrütteten zwischenmenschlichen und sozialen Strukturen in diesen Armenhaus Europas wiederaufzubauen, redete man der "schrankenlosen Demokratisierung" das Wort, die schließlich nur dazu führte, daß die "gewendeten" Kommunisten das Heft in die Hand nahmen – wobei man über die Frage streiten mag, ob die unvermeidliche Korruption unter den heute regierenden Linken geringfügiger ausfällt als seinerzeit unter einer "bürgerlichen" Regierung. Manchmal gewinnt man den Eindruck, Korruption und mafiöse Verflechtungen seien unter den heutigen Herren nur besser und diskreter organisiert als in Berishas Tagen. Es muß überdies bezweifelt werden, ob die 500 internationalen Wahlbeobachter, die nach Tirana eingeflogen wurden und die in ihrer überwältigenden Mehrheit weder die albanische Sprache verstehen noch die Geschichte des Landes kennen, überhaupt erfassen können, was da vor sich geht.

Ob die Wahl wirklich frei und fair ist, läßt sich durch oberflächliche Kurzbesuche und einige Gespräche, bei denen man auf einen (meist von der Regierung beigestellten) Dolmetscher angewiesen ist, überhaupt nicht überprüfen. Folglich dient ein beträchtlicher Teil solch internationaler Aktivitäten entweder der Bestätigung in Brüssel sowie anderswo deponierter Meinungen oder der Befriedigung von Eitelkeiten – oder beidem.

Knapp zehn Jahre nach dem Fall des Kommunismus ist Albaniens Zukunft ungewisser denn je. Ein Großeteil der jungen Leute möchte das Land in Richtung Westen verlassen. Viele junge Albaner haben das nicht ganz unberechtigte Gefühl, daß ihnen der Westen außer schönen Phrasen nichts zu bieten hat, jedenfalls nicht, solange sie im Lande bleiben und versuchen, sich durch Arbeit oder fleißiges Lernen über Wasser zu halten. "Glück", so scheint es den jungen Albanern, hat nur, wer sein Schicksal selber in die Hand nimmt, sei es als Zigaretten-, Drogen- und Menschenschmuggler oder als Desperado, der – wie die Brüder jenseits der Grenze in Mazedonien und dem Kosovo – seine Sache selber auskämpft.

Als geradezu abschreckendes Beispiel dient das Schicksal des einst vom Westen gehätschelten und später – als er westlichen Interessen nicht mehr nützlich sein konnte – brutal fallengelassenen Sali Berisha. Alles, was man ihm plötzlich vorwarf – von der unter seiner Präsidentschaft wuchernden Korruption bis zur Neigung seiner Anhänger zu Gewalttätigkeiten – trifft auch auf seine linken Gegner zu. Aber letzteres ist in der westlichen Öffentlichkeit kein Thema, solange Albaniens gewendete Kommunisten brav die Vorgaben aus Washington und Brüssel erfüllen – während der sperrige Berisha die Illusion hatte, er könne ungestraft den westlichen Befreiern widersprechen. Das Resultat westlicher Versäumnisse (oder Absichten?) ist die Destabilisierung Albaniens und die Polarisierung der innenpolitischen Szene in bittere Feindschaft. Das aber ist weder für die Albaner noch für Europa gut.

Aber Destabilisierung und Polarisierung scheinen das Los des Balkans zu sein, den der Westen mit Stabilitätspakten domestizieren und befrieden wollte. Heute bietet sich in der ganzen Region ein höchst wackeliges Bild: Über Mazedonien liest man, daß dort die Armee – wer weiß, zum wievielten Male – eine "Offensive" gegen die "albanischen Rebellen" gestartet hat. Aber eingedenk der Tatsache, daß es auf dem Balkan schon immer zwei Wahrheiten und mindestens zwei Gesichter gegeben hat – eines für den Hausgebrauch und eines für den Sultan im fernen Istanbul –, ist die Offensive gar keine Offensive, sondern ein Herumballern aus Panzern und Hubschraubern ins Gebirge hinein. Eine Infanterie, die das Gelände durchkämmt und die Rebellen stellt, kann und will man nicht einsetzen.

Die Nato wiederum, deren Generalsekretär lamentierte, es sei ein Wahnsinn, was in Mazedonien passiere, entsendet 3.000 Mann zur Entwaffnung der "bösen" Albaner – aber, so heißt es, die tapferen Nato-Krieger dürften erst in Erscheinung und in Aktion treten, wenn die Albaner ihrer Entwaffnung zustimmten: das heißt, die Nato darf erst aktiv werden, wenn sie eigentlich nicht mehr gebraucht wird. Auch auf das wesentliche Militärbündnis scheint die Geschichte mit den zwei verschiedenen Balkan-Wahrheiten abgefärbt zu haben.

So bietet sich die Nachbarschaft Albaniens dar: Mazedonien – einst als Beispiel "friedlichen multiethnischen Zusammenlebens" gepriesen – droht am Konflikt zwischen Slawen und Albanern zu zerbrechen. Im Klartext: Instabilität. Im Kosovo herrschen Unklarheit und Verbitterung unter der dortigen albanischen Bevölkerung, die sich vom Westen hintergangen fühlt. In Montenegro herrscht ein labiles Gleichgewicht zwischen Pro-Jugoslawen und "separatistischen" Kräften, die möglichst bald "los von Serbien" wollen. Da der Westen seit dem Sturz des Slobodan Milosevic groteskerweise die großserbischen Kräfte unterstützt und die nationalen Montenegriner als üble Separatisten verteufelt – herrscht auch in Montenegro Bitterkeit über diesen "westlichen Verrat". Fazit: gleichfalls Instabilität.

Über Bosnien-Herzegowina ist bereits berichtet worden: Hier haben die diversen internationalen Repräsentanten nicht zur Befriedigung und zum Ausgleich, sondern durch plumpes Taktieren und sinnlose Gewaltanwendungen zu einer Verschärfung interethnischer Spannungen beigetragen. Da wurde der Bock buchstäblich zum Gärtner gemacht. Fazit: Auch hier kaum verdeckte Instabilität.

Bleibt am Ende Serbien bzw. Rest-Jugoslawien. So sehr man die Verbrechen des Ex-Präsidenten Milosevic verurteilen mag – ob die nun anvisierte Auslieferung des früheren "starken Mannes" an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in den Haag wirklich zur Befriedung der Region beitragen oder ob sie nicht vielmehr neue Ressentiments wecken und einen neuen Märtyrerkomplex begünstigen wird, ist eine offene Frage. Nicht nur die Albaner, die gesamte Region könnte sehr bewegten – und folglich instabilen – Zeiten entgegengehen.


 
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