© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
UMWELT
Scheinheiliges Bio-Siegel
Volker Kempf

Im Mai fand eine Konferenz des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen statt. Verbraucherschutzministerin Renate Künast sprach dort zu der Frage, ob Lebensmittelqualität mehr kosten muß: "Wenn sich die Verbraucher für mehr ’Klasse statt Masse‘ und ein ’Ja‘ zu gesünderen, möglichst umweltgerecht hergestellten Lebensmitteln bekennen, dann muß sich das auch in den Einkaufskörben widerspiegeln."

Ja, wenn das Wörtchen "wenn" nicht wär’ … Doch Verbraucher sind scheinheilig, wie die Bundesministerin im Juni auf dem Kirchentag der versammelten Christenheit entgegenschleuderte. In Umfragen nämlich gäben 80 Prozent an, eigentlich Eier von "glücklichen Hühnern" essen zu wollen. Faktisch aber würden nur 20 Prozent der Verbraucher Eier aus Freilandhaltung kaufen. So ist das auch in anderen Bereichen: In den achtziger und neunziger Jahren wollte eine Mehrheit des deutschen Volkes mit moralischem Nachdruck den Atomausstieg. Als dieser dann mit dem Regierungswechsel 1998 zum Greifen nah war, rückte bald die Erkenntnis in den Vordergrund, daß das Geld kostet. Atomanlagen einfach vorzeitig vom Netz zu nehmen, gibt es schließlich nicht zum Nulltarif. Strom soll also billig bleiben, und aus dem Atomausstieg ist flugs ein Atomauslaufmodell mit Wiedereinstiegsoption bei Abwahl der Regierung geworden.

Doch zurück zur Lebensmittelqualität: Die hat ihren Preis. Deshalb wird vor allem spannend, wie hoch der Anteil derjenigen sein wird, die für Produkte mit einem "Künast-Bio-Siegel" etwas tiefer in die Tasche greifen. Im Spätsommer soll es soweit sein. Selbst die Aldi-Kette zieht mit. Das ist sicher ein Schritt in Richtung der anvisierten 20 Prozent Öko-Landwirtschaft in Deutschland, wenn nicht gar eine kleine Revolution.


 
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