© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/01 29. Juni 2001

 
Die Zukunft gehört Euch
Vor 75 Jahren erschien Friedrich Georg Jüngers "Aufmarsch des Nationalismus"
Tobias Wimbauer

Im Frühjahr 1926 erschien Friedrich Georg Jüngers (1898–1977) erstes eigenständiges Werk, der "Aufmarsch des Nationalismus" als zweiter Band (nach Franz Schauweckers Kriegsbuch "Der feurige Weg") in der von seinem Bruder Ernst Jünger herausgegebenen Reihe "Der Aufmarsch. Eine Reihe deutscher Schriften" im Leipziger Verlag Der Aufmarsch.

Friedrich Georg Jünger, der "junge Dynamitar und fascistische ’Revolutionär‘", wie Thomas Mann ihn in einem Brief nannte, war, wie sein Bruder, ein "Akteur" der Konservativen Revolution. Das liberalistische Weimarer Parteiensystem lehnte er strikt ab (daraus resultierte auch seine Ablehnung der NSDAP). Das wegen der im "Aufmarsch des Nationalismus" ausgesprochenen Aufforderung zum Hochverrat angestrengte Verfahren gegen Jünger wurde 1928 vom Oberreichsanwalt eingestellt. Jünger publizierte in zahlreichen kleinen nationalistischen Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch, bis zu ihrem Verbot 1934, in Ernst Niekischs nationalrevolutionärer Zeitschrift Widerstand, deren Redakteur er zeitweise gewesen war. Ende der zwanziger Jahre kehrte Friedrich Georg Jünger der politischen Publizistik den Rücken und wurde hernach als Erzähler und vor allem als Lyriker bekannt. Sein Gedicht "Der Mohn" (1934) wurde weithin als ein Gedicht gegen die Machthaber empfunden und fand weltweite Beachtung.

Ernst Jünger charakterisiert die Schrift in seinem Vorwort: "Sie entspricht einer Jugend, die nicht doktrinär, nicht liberalistisch und nicht reaktionär ist". Ernst Jünger schreibt: "Wir nennen uns Nationalisten – dieses Wort ist uns durch den Haß des gebildeten und ungebildeten Pöbels, durch das Heer der Opportunisten des Geistes und der Materie geweiht. Was dort gehaßt wird, was den seichten Strömen des Fortschritts, des Liberalismus und der Demokratie zuwider ist, das hat zum mindesten den Vorzug, nicht allgemein zu sein. Wir fordern nicht das Allgemeine. Wir lehnen es ab, von den allgemeinen Wahrheiten und Menschenrechten bis zur allgemeinen Bildung, zur allgemeinen Wehrpflicht, zum allgemeinen Wahlrecht und zur allgemeinen Nichtswürdigkeit, die das notwendige Ergebnis all dessen ist. (…) Der moderne Nationalismus, das Grundgefühl eines neuen, der zu oft vorgekauten Phrasen der Aufklärung bis zum Erbrechen überdrüssig gewordenen Geschlechts, will das Besondere."

"Nicht das Besondere dem Allgemeinen opfern"

Der "Aufmarsch" ist ein politisches Manifest, geschrieben in "Glut und Feuer" (E. Jünger), gegliedert in vier Kapitel, die – mit Ausnahme des ersten – jeweils in vier Unterkapitel unterteilt sind: Nationalisten!, Bewegung, Wille und Ziel, die, wie Ernst Jünger in seinem Vorwort schreibt, "vier tragenden Grundpfeiler des modernen Nationalismus".

Im ersten Kapitel ("Nationalisten!") gemahnt Jünger an das Erbe des Krieges. Die "seichte Romantik der Demokratie" zu zerstören, ist das Gebot der Stunde: "Europa! Dies ist der sehnsüchtige Ruf der Demokratie und ihrer geistigen Bannerträger. Aber es ist kein Ruf, dem wir folgen. Es schallt uns wohl in den Ohren, aber es findet keinen Widerhall in unseren Herzen. Wir wollen nicht das Besondere dem Allgemeinen opfern." Nicht eine abstrakte europäische Gemeinschaft soll es sein, "sondern eine Fülle mächtiger, verehrungswürdiger Organismen", wenn man so will: ein Europa der Völker. "Noch sind unsere Reihen nicht geschlossen, noch wehen unsere Fahnen vereinzelt im Wind. Aber wir haben unsere Zukunft aufgeschlossen, wir tragen die Idee eines neuen Reiches in uns. Der Aufmarsch hat begonnen". Jünger schließt mit dem Aufruf: "Ordnet, vereinigt und sammelt Euch! Fegt die Gegenwart in allem hinweg, was hinderlich und ohne Wert für die Zukunft ist! Denn diese Zukunft gehört Euch, und Ihr werdet Euch vor ihr zu verantworten haben!"

Im zweiten Abschnitt ("Bewegung") rekurriert Jünger auf die "Kraft des Willens"; im Kampf habe sich der Wille in seiner reinsten Form gezeigt, der Kämpfer hatte die Gewißheit, "Träger des Wollens" zu sein. Doch auch außerhalb des Krieges ist "jeder Tag ... ein Kampftag", an welchem es sich erneut zu behaupten gilt, "denn jeder Verzicht gegenüber dem Leben besagt zugleich, daß das Leben auf uns verzichtet. Wer nicht mehr bestimmen will, wird bestimmt; wer nicht mehr herrschen will, wird beherrscht." Das Ziel der neuen, der nationalistischen Bewegung ist "die Scheidung ..., eine neue schärfere Grenzsetzung ..., eine Stärkung von innen heraus". Jünger schließt aus, daß die Ziele auf friedlichem Wege erreicht werden könnten: "Jede Auseinandersetzung hat durch bewaffneten Kampf zu erfolgen." Dieses Vorgehen bedinge "einen neugeordneten Staat, neue Formen, eine neue Gesinnung".

Wer steht für den neuen Nationalismus? "Es ist die trotz aller Anstrengungen, Enttäuschungen und Fehlschläge unverbrauchte Jugend (…) In ihr beginnt das Gefühl einer wilden Erbitterung wach zu werden, die Ahnung irgendwie im Kern des Lebens benachteiligt und betrogen worden zu sein." Diese jungen Männer haben gegen schweres Ungemach anzukämpfen: "gegen die Mutlosigkeit eines erschöpften, besiegten Volkes (…) Er muß die Unterwürfigkeit der Regierung, die sklavischen Neigungen der Wehrlosen, die Wollust der Selbsterniedrigung, im ganzen die ungeheure Welle zersetzender Triebe bekämpfen."

Jünger wendet sich im folgenden gegen den Novemberumsturz, den man zu Recht einen Dolchstoß genannt habe, "denn er ist von Deutschen gegen Deutsche geführt worden, zielsicher und aus dem Hinterhalte heraus. Er hat die Einsicht in die notwendige, gesetzesmäßige Bindung der Vergangenheit an die Gegenwart und Zukunft zerstört und als sichtbarste Folge eine weite Verwirrung des deutschen Bewußtseins hervorgerufen." Im November 1918 hatte Philipp Scheidemann die Republik proklamiert, knapp acht Monate später billigte die Weimarer Nationalversammlung eine neue Reichsverfassung.

Jünger schreibt: "Wir sahen die Novembermänner sich mit den verschlissensten Federn schmücken, wir sahen den mattesten Liberalismus durch offene Türen jagen, wir vernahmen die Verkündung der Menschenrechte zum hundertsten Male. Eine verstaubte Rüstkammer öffnete sich. Man entnahm ihr Rechte, Freiheiten, Toleranzen, Parlamente, Wahlrechte, Volksvertreter. Man gab sich Mühe, nichts zu vergessen und alles auf eine passende Schnur zu ziehen. Endlich schrieb man einen liberalistischen Roman, die deutsche Reichsverfassung. Aber dies war ein Körper, der in keiner Ader vom Blut durchflossen war. Es war nicht möglich, etwas anderes als Phrasen darüber zu reden; und wann wurden mehr Phrasen gewechselt, wann sahen wir größere Phraseure in diesem Lande! Es war nicht denkbar, diesen Seiltänzern von Begriffen auszuweichen; die hatten den letzten deutschen Zaun, die letzte deutsche Mauer mit ihrem Geschwätz beklebt."

Spartakisten-Aufstand als Weimarer Gründungsmythos

Der Spartakisten-Aufstand im Januar 1919 wurde von Jünger als Gründungsmythos der Weimarer Republik empfunden. "Der Nationalist muß erkennen, daß mit einer Kampfstellung an sich gegen das Gefüge und die Träger des Novemberstaates nichts getan ist. Denn das hieße, das Leben in einer Verneinung erschöpfen, durch die für die Zukunft nichts erreicht wäre. Auch ein schlechter und unvollkommener Zustand ist besser als eine Kritik, die ihn nicht gleichzeitig zu vervollkommnen vermöchte. Der Nationalismus aber ist keine kritische Bewegung; er ist eine autoritative Satzung härtester Prägung. In ihm ruht nicht das Gebäude eines neuen Staates. Aller Kampf hat nur Sinn, insofern er auf die Verwirklichung dieses Staates abzielt und ihn zu kräftigen vermag." Um eine klare Scheidung zu erreichen, muß alles einer Musterung unterzogen werden.

Im dritten Kapitel ("Wille") geht es Jünger um die geistigen Grundlagen des neuen Nationalismus, der "das Gefühl für die tragische und heroische Fülle des Vergangenen wecken (will), den Machtanspruch des Volkes durch Hinweis auf die großen Taten des Deutschtums stärken und ihn gesteigert auf die Zukunft übertragen".

Der Nationalismus versteht sich als Bewegung gegen die Zerstörung aller Bindungen, "die durch Staat, die Kirche, die Ehe, die Familie, die Ehre ... gesetzt waren (…) Ein maßloser Drang nach Entfesselung um jeden Preis, nach Auflösung, nach schrankenloser Freiheit löste die Gesellschaft unaufhaltsam in Treibholz auf und zerfraß jeden Widerstand mit ätzenden Säuren." An die Stelle dieser Bindungen wurde die Beliebigkeit gesetzt, das Flüchtige, das vom Urgrund Abgelöste.

Die Idee des allgemeinen Fortschrittes rechnet Jünger zu den mechanistischen Ideen: "In ihr liegt der überhebliche und flache Optimismus der Aufklärung und die ungeheure Anmaßung der zivilisierten Intelligenz, die den kosmischen Sinn gleichsam in sich erfüllt sieht und sich auf dem Gipfelpunkt einer imaginierten Menschheit glaubt. Den flachen Schwätzer erkennt man am besten an der ungeheuren Raum- und Zeitlosigkeit seiner Ideen. Es ist nichts erbärmlicher und hohler als die Köpfe dieser großen und kleinen Beglücker, die sich vermessen, die Menschheit einem goldenen Zeitalter zuzuführen. Im letzten läuft all das auf die Lehre hinaus, daß das Leben ein Genuß und Glück ist, an dem möglichst alle prozentual gleichmäßig zu beteiligen sind."

Es ist die Entwurzelung des Menschen, welche die Aufklärung und der Liberalismus zeitigten; die Folge davon ist der "aufs tiefste gesunkene Lebenswille, der bis zur Lust am Schuldbekenntnis herabsteigt und den Genuß der reuigen Zerknirschung empfindet". So ist natürlich auch die Diskussion um die Schuld am Ersten Weltkriege müßig, die einzige Schuld bestand darin, "daß wir bei aller Härte nicht hart genug waren", daß der Krieg verloren wurde.

Jünger differenziert zwischen dem Geistmäßigen und dem Blutmäßigen. "Was der Einzelne ist, ist er nicht allein durch sich. Seine Vorfahren, seine Familie, sein Volk sind in ihm. (…) Das Land ist die Mutter, das Volk ein Sproß mit großer Zukunft, dessen Auserwähltheit der Nationalismus verficht, weil er fühlt, daß ohne den Glauben daran kein Volk zur Tafel des Lebens berufen ist." Das Volk ist nicht synonym gesetzt mit "Bevölkerung", sondern ist vielmehr die blutsmäßige Gemeinschaft: "So will es das Leben als Ganzes, als eine neue, berauschende Fülle, dicht und abgegrenzt, bewußt beschränkt, nicht aber verfließend und durch den Intellekt ermattet."

"Jeder Nationalismus hat etwas Berauschendes, einen wilden, blutsmäßigen Stolz, ein heroisches, mächtiges Lebensgefühl. Er besitzt keine kritischen und analytischen Neigungen, die das Leben schwächen. Er will keine Toleranz, denn das Leben kennt sie nicht." Die Gemeinschaft des Blutes wendet sich gegen die Gemeinschaft des Geistes, denn diese "hat die Gedanken der Nation in ihrer Würde beraubt, die Heimat heimatlos gemacht und das Vaterland auf dem Altare einer ideologischen Welt geopfert."

Eine Blutsgemeinschaft bedarf keiner Rechtfertigung. Auf den ersten Blick liegt darin sehr wohl ein Nachteil, denn gegen die liberalistische Demokratie muß der Nationalismus "schwerfällig und geistlos" erscheinen. Dennoch darf er nicht den Fehler des Kommunismus begehen und sich der Mittel des Liberalismus bedienen. Der Nationalismus hat nichts in den Parlamenten zu suchen, er ist keine plebiszitäre Angelegenheit, es stellt sich auch nicht die Frage nach der Anzahl seiner Anhänger; Zahlen spielen keine Rolle, denn die Gewißheit lebt in ihm.

Jünger entwickelt ein neues Staatsverständnis. Die Aufgabe des neuen Staates sei es, Machtansprüche zu verwirklichen, und nicht, die Bürger zu saturieren. Es gibt ein Primat des Politischen, das Wirtschaftliche tritt zurück. Die Wirtschaft hat dem Staate zu dienen – nicht aber umgekehrt. Daraus folgt notwendig der Kampf gegen die liberalistischen Staatsvorstellungen. Übrigens findet sich die grundgesetzliche Vorstellung, daß Eigentum verpflichte, auch bei Jünger: "Das Eigentum darf weder zerstört werden noch zerstörend wirken. In dem Maße aber, in dem es sich Andere verpflichtet, muß es verpflichtet werden." Ebenso dürfe das Sozialwesen nicht so überhandnehmen, daß darüber die Machtziele zu leiden hätten. "Der Staat darf sich nicht zu einem sozialen Ungetüm entwickeln, das jede Kraft im Innern Zwiespalt auflöst und die Machtziele unheilvoll vernichtet." Dies führe letztlich zum Untergang des Staates.

Der Staat ist "die bündige Formel des Machtwillens der Nation". Er ist die Sammlung der blutsmäßigen Kräfte, er bedarf daher keiner "Gewaltenteilung" und auch nicht des liberalistischen "Hagelschlag des Geschwätzes". Auch den Parlamenten, den "massenhaften Versammlungen von Durchschnittsköpfen" gehört nicht die Zukunft, denn das "allgemeine Wahlrecht ist ein Sieb für betriebsame Agitatoren und eifrige Dummköpfe", für ein "Geschlecht von Wühlmäusen". Der Nationalismus wird dieses System zerstören, die Parteien und "ihre grenzenlose Selbstsucht, die den Staat zersetzt und seinen lebendigen Sinn vernichtet", zerbrechen. "Die wechselnde Fehde von Zufallsmehrheiten, der sinnlose Kampf von Mehrheiten und Minderheiten und das, was er mit sich bringt, den gesamten verwickelten Betrieb von Meinungen, Abstimmungen, Einsprüchen und Widersetzlichkeiten, lähmt den Staat und macht ihn zu einem schwerfälligen, zerspaltenen Wesen."

Die Wirtschaft hat dem Staat zu dienen – nicht umgekehrt

Im letzten Kapitel ("Ziel") beschwört Jünger noch einmal das Opfer des Soldaten des Weltkrieges, "die Scharen der Gefallenen, mit denen die Erde besät ist, die namenlos und unzählig verbluteten, das Gesicht dem Feinde zugewandt. Ihr jahrelang wie ein Strom fließendes Blut bezeugt das lebendige Gefühl der Gemeinschaft. Sie fielen nicht für eine Geistgemeinschaft, nicht für eine utopische Verbrüderung, sondern für die Blutgemeinschaft Deutschland." Ein neuer Kampf bahnt sich an: der "Endkampf des Imperialismus". Es ist der Kampf um die Herrschaft über den Planeten, um die Zentralgewalt. "Die Gesinnung des Nationalismus ist notwendig zugleich eine imperialistische. Denn er weiß, daß man nur tätig oder leidend sein kann. Und man ist tätig, insofern man Imperialist ist, insofern man den Willen besitzt, sich keiner fremden Macht unterzuordnen, sondern selbst Macht auszuüben und Macht zu erlangen." Das Deutsche in eine neue Form zu bringen, ist eines der Hauptziele des Nationalismus, er will verhindern, daß das Deutsche "in einem dienenden, sklavischen Zustande seine Würde und Kraft verlier(t)".

Jünger schließt: "Dies ist der mächtigste Appell an das Deutsche. Es ist ein Aufruf der Zeit selbst, ein Gruß aus dem Unendlichen, aus tödlichen Räumen. Möge er die Nation gerüstet finden!"

1992 erschien in Frankreich eine Übersetzung des "Aufmarsch", eine deutsche Neuausgabe läßt auf sich warten. Im Herbst wird bei Klett-Cotta die gesammelte politische Publizistik Ernst Jüngers erscheinen. Ein entsprechender Band mit der politischen Publizistik Friedrich Georg Jüngers ist ein Desiderat. Angesichts der oftmals verblüffenden Aktualität vieler Betrachtungen F.G. Jüngers und der meist schwierigen Zugänglichkeit dieser Texte ist zu hoffen, daß ein Verleger endlich das Wagnis eingeht und sie gesammelt publiziert.

 

Tobias Wimbauer, 25, studiert Germanistik und Philosophie in Freiburg. 1999 veröffentlichte er das Standardwerk "Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers".


 
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