© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/01 06. Juli 2001

 
Zeitschriftenkritik: die horen
Neugierig gelesen
Werner Olles

1955 von Kurt Morawietz in Hannover als "Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik" gegründet, bestätigen die horen seit geraumer Zeit zuverlässig ihren Ruf, eine der interessantesten deutschen Literaturzeitschriften zu sein. 1980 und 1988 mit dem Alfred-Kerr-Preis ausgezeichnet – "weil sie mit großer Aufmerksamkeit die internationale Literatur beobachtet und vorstellt; weil sie in der deutschen Literatur nicht nur das Neueste behandelt, sondern sich auch um vergessene Autoren kümmert; weil sie mit Text und Kritik zu wesentlichen, wenig beachteten Autoren und Werken hinführt; weil sie den Leser durch Nachrichten und Kommentare am literarischen Leben beteiligt" (Jury-Spruch) –, ist die Zeitschrift seit vielen Jahren ein recht bemerkenswerter Spiegel des hiesigen Literaturbetriebs.

Immer wieder stellen die horen Neues und Vergessenes vor, blicken aber vor allem auch über die Grenzen und zeigen uns, wie anderswo gedacht und gedichtet wird. Es ist ein erstaunlicher literarischer Reichtum, der hier vorzufinden ist, spannende Dokumente von allererster Qualität entfalten sich vor den Augen des Lesers. Die Debatten, die hier geführt werden über die sogenannte Postmoderne, gehören zur Pflichtlektüre für alle, die sich mit den avancierten Projekten moderner Weltliteratur, aber auch mit schwer zugänglicher Literatur aus den experimentellen Randzonen vertraut machen wollen. Zwar ist es geradezu die Pflicht einer guten Literaturzeitschrift, neugierig zu sein auf das kommende Neue und sich dabei doch einen klaren Blick zu bewahren für das bahnbrechende Alte in der modernen Literatur, aber die horen stellen doch eines der kompetentesten Projekte für ambitionierte Literaturarchäologie und poetische Neulanderschließung dar.

Es sind die feinen kleinen Studienausgaben zu Einzelthemen, die den Wert dieser fabulösen Literaturzeitschrift ausmachen. Dennoch gerät man hier nie in Versuchung über den literarischen Zeit- und Weltgeist sozusagen das Gras wachsen zu hören, um es dann essayistisch zu ernten. "Gegenwartsliteratur aus Nordeuropa", "Vom Leben, Lieben und Lesen in Buchwelten", "Literatur als Grenzüberschreitung/Vom Schreiben an Erfahrungsgrenzen", "Faszination und Täuschung in der Weltliteratur", "Von der Vielfalt der Poesie", "Portugiesische Literatur 25 Jahre nach der Nelkenrevolution", "Von der Freiheit der Phantasie/Indien in der deutschsprachigen Literatur 1900 bis 1999" und "Irgendwo bei Kattowitz/Polnische Gegenwart im Spiegel der Literatur" lauteten die Themen der letzten Ausgaben.

Auch im 46. Jahrgang ihres Erscheinens praktizieren die horen immer noch einen Pluralismus der Stimmen, Temperamente, Meinungen und Tendenzen, der vielen anderen Literaturzeitschriften eine ganze Nasenlänge voraus ist. Aus dem literarischen Geschehen unserer Tage ist diese Zeitschrift nicht mehr wegzudenken.

 

"edition die horen", Verlag für neue Wissenschaft, Postfach 10 11 10, 27511 Bremerhaven. Das Einzelheft kostet 18 Mark, das Jahresabo 60 Mark.


 
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