© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/01 06. Juli 2001

 
Neidische Schimpansen
Kino: "Das kleine Buch der Liebe" von Sandra Werneck
Silke Lührmann

Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist weder der aufrechte Gang noch der Verstand, sondern die Fähigkeit zu lieben. Um die beneidet ihn der Schimpanse. Warum er das tut – auch wenn gar nicht erwiesen ist, ob er zu mehr als Futterneid überhaupt fähig ist –, zeigt dieses "Wörterbuch der Liebe" alphabetisch geordnet anhand kurzer Szenen und bekömmlicher Soundhäppchen, die die beiden Hauptfiguren, ihre Kollegen, Freunde, die geschiedene Ehefrau in die Kamera sprechen. Um den notorisch unaufmerksamen Rezensenten mit geeigneten Zitaten auf die Sprünge zu helfen, sind die pikantesten im Presseheft abgedruckt.

Die Regisseurin Sandra Werneck (Jahrgang 1953) hat sich in ihrem heimischen Brasilien als sozialkritische Dokumentarfilmerin einen Namen gemacht. Mit ihrem Spielfilmdebüt, das bei Festspielen im In- und Ausland Preise gewann, will sie eine andere Art von Betroffenheit auslösen: weniger Empörung als Zustimmung. Den dokumentarischen Stil ahmt Werneck hier nach, zwar mit der schelmischen Warnung versehen, daß "das Kameraobjektiv auch lügen könnte". Der Zuschauer soll eigenes Erleben wiedererkennen am Lieben und Leiden dieses vermeintlichen südamerikanischen Durchschnittspaars (ein bißchen spießig, ein bißchen unkonventionell), über das man wenig erfährt außer ihren Namen und Berufen – Luiza (Andréa Beltrao) ist Architektin, Gabriel (Daniel Dantas) erforscht Käfer – und der Bandbreite von Luizas Unterhemden zwischen Reizwäsche und biederem Baumwolleibchen.

"Gott wollte Stille. Als Adam und Eva zu sprechen begannen, mußten sie das Paradies verlassen", umreißt die Regisseurin ihre Darstellungsabsichten. "Gehorsamer sind die Tiere, die schweigen, wenn sie sich lieben und sich vermehren, wie Gott es befiehlt. Menschen, verdammt dazu, ewig zu zweifeln, irren über den Planeten auf der Suche nach ihrem Liebesobjekt. Nachdem sie sich getroffen haben, müssen Menschen Häuser bauen, Babys haben, arbeiten, kochen, verführen, wenn sie können, und eine Ebene von Romantik vermeiden, um nicht abzuheben."

Die Schöpfungsgeschichte wie die Evolution schreiben "Liebe" mit F für "Fortpflanzung". Hier kann weder Darwins Erzählung noch die der Bibel weiterhelfen. So konstruiert sich das Kopftier Mensch seine eigenen Regelwerke. Der entzauberten Welt angemessen, kennt "Das kleine Buch der Liebe" statt Leidenschaft nur Gefühle, statt Überschwang nichts als Vernunft. Einen einzigen Tag möchte sich Gabriel freinehmen, um sein Verliebtsein zu feiern, und seine Begründung ist keine extravagante: "Schließlich gibt es auch Vaterschaftsurlaub und Mutterschaftsurlaub!"

Die Liebe aber – sich in einem fremden Herzen willkommen, dann zu Hause zu fühlen – ist Mehrwert, den man nicht besteuern kann und nicht versteuern muß. Sie ist ein Ausnahmezustand, der sich kaum wirtschaftlich nutzen läßt. Denn wer wirklich liebt, möchte dem geliebten Menschen die Ewigkeit schenken und keine sterbenden Blumen oder ein Parfüm, dessen Duft irgendwann verstummt. Liebe stört den Alltag und hält ihm auf Dauer nicht stand – so die Weisheit und Daseinsberechtigung nicht nur dieses Films, sondern auch einer ganzen Beratungsindustrie, die sich die "serielle Monogamie" erfunden hat.

Die Langeweile, die "unsere Herzen einfriert", läßt sich mit Worten nicht bannen. Deshalb erspart Werneck dem Publikum die Bürokratie einer Eheschließung, und auch der Treueschwur in der Badewanne vermag die zwangsläufige, statistisch wie biologisch errechenbare Logik dieses "Films für alle, die sich paaren wollen oder sich schon einmal gepaart haben", nicht abzuwenden. Immerhin ein halbes Alphabet lang wird den beiden Glück gegönnt, bis der Buchstabe L gleich dreifach Unheil bringt: "Litigó" (Streit), "Lamento" (Wehklage) und "Luta" (Kampf). Die lange Talfahrt gestaltet sich so spannend wie der Kummerkasten jeder beliebigen Zeitschrift: Sie will Kinder, er hat schon zwei, sie erzählt zuviel von ihrer Arbeit, er schaut anderen Frauen auf den Hintern, sie schnarcht, sein "Gefühlsleben ist ein Telefonbuch".

Als Mündel einer durchrationalisierten Zeit seufzen wir, wie vergänglich alles Schöne sei, zucken die Achseln, und wer noch dazu jung und attraktiv ist wie Luiza und Gabriel, darf jederzeit wieder bei "amar" von vorne beginnen. Allzu neidisch brauchen die Schimpansen nicht zu sein.


 
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