© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/01 06. Juli 2001

 
Schöner Tod an der Front
Euthanasie: Alliierte psychologische Kriegführung des Zweiten Weltkrieges feiert Auferstehung
Hans-Joachim von Leesen

Die Euthanasie, der "schöne Tod", wie der aus dem Griechischen stammende Begriff wörtlich übersetzt lautet, beschäftigt gleichermaßen Philosophen wie Theologen, Juristen wie Mediziner. Die Sterbehilfe soll unheilbar Kranken ein qualvolles Ende ersparen – so das allgemeine Verständnis. Die bewußt herbeigeführte Lebensverkürzung galt aber Jahrhunderte hindurch als Tötungsdelikt. Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts diskutiert man um die Straffreiheit der Tötung auf Verlangen von unheilbar Kranken und Sterbenden. Daß dieses Problem gerade in unseren Tagen brennend ist, geht aus der wieder aufgeflammten Diskussion im Zusammenhang mit umstrittenen gesetzlichen Regelungen in den Niederlanden hervor.

Hitler unterzeichnete unmittelbar nach Kriegsausbruch einen Erlaß, wonach "die Befugnis namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern" sei, "daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann". Daraus wurde jedoch sehr schnell, ohne daß darüber ein Gesetz erlassen wurde, ein Euthanasieprogramm zur Vernichtung sogenannten "lebensunwerten Lebens", das von 1940 bis August 1941 durchgeführt wurde. Dann stoppte die zunehmende öffentliche Beunruhigung sowie eine mutige Predigt des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, das trotz strenger Geheimhaltung durchgesickerte Programm. Von da an wurden nur noch in Einzelfällen Geisteskranke und unheilbar Kranke sowie KZ-lnsassen, im Osten in größerem Umfang auch Juden, Russen, Polen durch Giftspritzen getötet.

Nach dem Kriege standen in den sogenannten Nürnberger Ärzteprozessen die Verantwortlichen vor dem Gericht der amerikanischen Sieger, und auch deutsche Gerichte ahndeten in den folgenden Jahren die Tötungen. Im Mai dieses Jahres bereicherte das Erste Deutsche Fernsehen durch eine Sendung von "Report Mainz" das grausige Kapitel Euthanasie um eine weitere Facette. Dort wurde behauptet, daß während des Zweiten Weltkrieges deutsche Soldaten, die unter der Belastung gemüts- oder nervenkrank wurden, der Euthanasie zugeführt wurden. Prof. Dr. Peter Riedesser von der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf wird zitiert, daß traumatisierte Soldaten, die nicht mehr kriegsverwendungsfähig waren, "als Objekt der Euthanasie umgebracht" wurden.

Dergleichen Behauptungen tauchten in den Ärzteprozessen ebensowenig auf wie in den zahlreichen in den Nachkriegsjahren in Deutschland durchgeführten Gerichtsverfahren. Woher kommen diese neuen Erkenntnisse? Oder handelt es lediglich um wehrmachtsfeindliche Parolen, wie sie auch in ähnlicher Qualität durch die Ausstellung von Reemtsma und Heer in die Welt gesetzt wurden?

1983 erschien ein von der Öffentlichkeit zunächst nicht weiter beachtetes Buch des Autors Ernst Klee, vom ARD vorgestellt als "Euthanasieexperte". Der wegen eines Fernsehfilmes über Kleinwüchsige ausgezeichnete Autor behauptet in seinem Buch "Euthanasie im NS-Staat", im Zweiten Weltkrieg habe man schwerstverwundete deutsche Soldaten im Rahmen von Tötungsaktionen unheilbarer Kranker umgebracht, indem man ihnen Gift spritzte. Seine Quelle:der Brief eines der tatsächlich bei der Euthanasie tätig gewesenen Ärzte an seine Frau vom Januar 1942, in dem er ihr berichtete, eine Abordnung von Ärzten sei nun "im Kampfgebiet des Ostens, um an der Bergung von Verwundeten in Eis und Schnee zu helfen". Dazu Klee: Es sei "nicht geklärt", wozu diese Ärzte tatsächlich verwendet worden sind.

Dieses an sich nichtssagende Zitat nimmt der amerikanische Autor Robert Jay Lifton in seinem Buch "Ärzte im Dritten Reich" auf, wiederholt das Zitat und behauptet: "Das Tarnunternehmen dient offensichtlich zwei Zwecken. Erstens nahm diese Gruppe, wie manche Beobachter glauben, Euthanasie an deutschen Soldaten vor, die entweder schwer verwundet, vor allem hirngeschädigt, oder ganz einfach aus psychischen Gründen nicht mehr kriegsverwendungsfähig waren." An anderer Stelle behauptet Klee im Zusammenhang mit der Euthanasie: "Doch nicht einmal die Kriegsverletzten werden geschont. Die Chefsekretärin der Anstalt Kaufbeuren über eine T-4-Schwester (T 4 = Euthanasieprogramm) in der Zweigsanstalt Irsee: ’Acht Soldaten hat die z. B. einmal gespritzt und weggeräumt. Das hat sie uns selber erzählt. Die sind weggestorben wie die Fliegen. Beinamputierte, Doppelamputierte, die hat sie alle weggeräumt.‘"

Weiterhin referiert Klee, daß "die Ehefrau eines Heizers der Kaufbeurer Nebenanstalt Irsee von der ’Tötungsschwester‘ Kneißler" gehört haben will, sie bereue es, "in Rußland im Lazarett Spritzen gegeben zu haben, an denen Soldaten schmerzlos gestorben seien".

Das ist alles, was offenbar an "Quellen" über Euthanasie an schwerverwundeten Soldaten vorhanden ist. Selbst bei wohlwollendster Beurteilung wird aus solchen Gerüchten kaum eine ernstzunehmende Quelle oder ein Beleg. Trotzdem nannte "Report Mainz" das Buch von Ernst Klee als Quelle für die Behauptung des Fernsehsenders sowie als zweite das Taschenbuch von Peter Riedesser und Axel Verderber "Maschinengewehre hinter der Front – Zur Geschichte der deutschen Militärpsychiatrie". In diesem Buch wird jedoch an keiner Stelle behauptet, daß schwerverwundete oder schwer neurotisierte deutsche Soldaten der Euthanasie zugeführt wurden.

Ein weiterer Autor, der an den kolportierten Gerüchten partizipiert, ist der an der Bremer Universität lehrende Gunnar Heinsohn, der in seinen beiden bei rororo erschienenen Taschenbüchern "Lexikon der Völkermorde" und "Warum Auschwitz?" sowohl Klees als auch Liftons Buch als Quellen angibt, obwohl Lifton lediglich Klees Behauptung breitwalzt und durch weitere unbewiesene Spekulationen ergänzt. Bei Heinsohn jedoch ist es bereits eine feststehende Tatsache, daß "deutsche Soldaten (beinamputierte u. a. ) mit Giftinjektionen von Krankenschwestern und Ärzten entweder in Heimatlazaretten oder direkt an der Front umgebracht werden".

Und von dort aus nimrnt die Legende ihren Weg in die Hörsäle der deutschen Universitäten.

Befragt, ob die dortigen Wissenschaftler bei ihrer Arbeit auf angebliche Tötung schwerverwundeter Soldaten gestoßen seien oder ob es über einschlägiges Quellenmaterial verfügt, verneint das Militärgeschichtliche Forschungsamt Potsdam ebenso wie ein Direktor des Instituts für die Geschichte der Medizin und Pharmazie, der sich intensiv mit dem Thema Euthanasie beschäftigt hat. Militärhistoriker mit dem Forschungsschwerpunkt "Zweiter Weltkrieg" bestätigen, daß ihnen bei ihren Arbeiten niemals Unterlagen über Euthanasie an deutschen Verwundeten in die Hände gelangt sind. Hohe ehemalige Offiziere der Bundeswehr wie der Wehrmacht halten die Euthanasie an Schwerverwundeten für ausgeschlossen, weil die Aktionen nicht hätten geheim bleiben können. Wären sie bekannt geworden, hätte das zum Zusammenbruch der Kampfmoral der Soldaten geführt.

Der Ursprung solcher Greuelmeldungen dürfte in der psychologischen Kriegführung vor allem Großbritanniens und der USA während des Zweiten Weltkrieges liegen. Sefton Delmer, Leiter der britischen "schwarzen Propaganda", berichtet in seinen Erinnerungen "Die Deutschen und ich", wie er genau solche Gerüchte über die Ermordung verwundeter deutscher Soldaten durch die eigenen Leute lanciert hat, um damit die Kampfmoral zu erschüttern. Er gibt offen zu, daß es sich dabei um erlogene Meldungen handelt.

Der amerikanische Autor Waverley Root schrieb in seinem 1945 in New York erschienenen Buch "The Secret History of the War", daß die Nationalsozialisten ihre schwerverwundeten Soldaten aus dem Norwegen-Feldzug von Bord des Lazarettschiffes "Adolf Hitler" – das es nie gab – einfach in die Ostsee geschmissen und Lazarettzüge voll von Schwerverwundeten aus Rußland in Tunnel gefahren hätten, wo sie unter Gas gesetzt worden wären. Über 50 Jahre nach Kriegsende feiern solche Elemente der alliierten psychologischen Kriegführung ihre Auferstehung, und kritiklose deutsche Professoren plappern sie nach als angeblich historische Tatsachen.

Fototext: Ostfront: Sanitäter pflegen verwundete Wehrmachtsoldaten im Armeelazarett in Gdow 1941


 
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