© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001


Rücksichtslos
von Thorsten Thaler

Wenn es nach dem Willen von Otto Schily (SPD) geht, kann die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen ihre Behörde bald schließen. Der Innenminister will Marianne Birthler untersagen, Akten über Personen der Zeitgeschichte in Zukunft ohne Zustimmung der Betroffenen an Historiker oder Journalisten herauszugeben. Schily beruft sich auf ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts, das am Mittwoch voriger Woche in erster Instanz einer Klage Helmut Kohls stattgegeben hatte. Der Altkanzler will verhindern, daß die ihn betreffenden Stasi-Akten etwa über abgehörte Telefongespräche veröffentlicht werden. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, trotzdem nutzt Schily die vermeintliche Gunst der Stunde und sucht der Stasi-Aufarbeitung ein Ende zu bereiten. Dabei geht es nicht allein um Helmut Kohl. Es geht um die gesamte politische und intellektuelle Klasse der alten Bundesrepublik.

Der häufig laut werdende Vorhalt, viele Westdeutsche hätten auch mehr als zehn Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung nicht begriffen, daß die Hinterlassenschaft der DDR-Staatssicherheit eben nicht nur Mitteldeutsche betrifft, greift freilich zu kurz. Das Gegenteil ist der Fall. Viele westdeutsche Politiker und Intellektuelle wissen sehr genau um ihre Kollaboration mit der SED-Diktatur, ihre Stasi-Verstrickung und ihre sonstigen politischen Schweinereien. Gerade deshalb sind sie so erpicht darauf, die Akten unter Verschluß zu halten. Dieses schmutzige Geschäft erledigt jetzt der Innenminister.


 
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