© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
"Man muß klare Fronten schaffen"
Gerhard Löwenthal über den Verrat der SPD und die Konfliktunfähigkeit der CDU
Moritz Schwarz / Matthias Bäkermann

Herr Löwenthal, Sie haben ein Leben lang die Bürgerlichen vor den Gefahren des Kommunismus gewarnt. Man wollte nicht auf Sie hören. Sehen Sie sich durch die Entwicklung in Berlin nun nachträglich bestätigt?

Löwenthal:" Bestätigt" würde ich nicht gerade sagen. Bestätigt habe ich mich dadurch gefühlt, als die Wiedervereinigung am 3.Oktober 1990 endlich zustande gekommen ist, weil ich zu den wenigen in Deutschland gehört habe, die sich Jahrzehnte damit beschäftigt haben. Die Mehrheit der Bürger in der Bundesrepublik hat angenommen, die Bundesrepublik ist Deutschland. Es hat sich auch in der Politik niemand mehr mit der Wiedervereinigung beschäftigt. Die stereotype Antwort war bis hinauf zu Helmut Kohl: "Die Deutsche Frage steht nicht auf der Tagesordnung." Und ich habe immer gefragt, warum setzen wir sie dann nicht darauf? Diesmal bin ich entsetzt darüber, wie die SPD verkommen ist, daß sie den Verrat in Berlin zuläßt. Denn anders kann ich das nicht bezeichnen. Ich habe zu Füßen von Kurt Schumacher gesessen, als er von den rotlackierten Nazis geredet hat. Für mich ist die PDS keine Nachfolgepartei, sie ist eine Fortsetzungspartei, denn die SED ist ja nicht aufgelöst, sondern umbenannt worden. Gysi hat die Auflösung der SED 1990 ausdrücklich abgelehnt, denn sonst wäre der Partei das bestehende Vermögen entgangen. Man kann nicht mit einer Partei, die für 45 Jahre Diktatur mitverantwortlich ist, den legitim gewählten Regierenden Bürgermeister von Berlin stürzen. Aus meiner Sicht ist dies Verrat an der Freiheit, der den Alliierten schwer erklärbar ist, da sie 45 Jahre die Freiheit der West-Berliner verteidigt haben. Ich befürchte außerdem, daß das die Generalprobe für Herrn Schröder bei der nächsten Bundestagswahl ist. Es gab neulich ein siebenstündige Treffen bei Schröder, an dem auch der Fraktionsvorsitzende der PDS im Bundestag, Roland Claus, teilgenommen hat.

Das Problem ist nur, daß es in der SPD gar nicht als Verrat wahrgenommen wird. Wenn Sie heute mit Leuten der SPD sprechen, wissen diese nicht, was Sie meinen.

Löwenthal: So können Sie das nicht sagen. Es gibt einen Aufschrei, insbesondere bei den Älteren, besonders im Kurt-Schumacher-Kreis. Ich bekomme unentwegt deprimierte und empörte Bekundungen von alten Sozialdemokraten. Man darf also nicht sagen "die SPD", sondern die SPD-Spitze. Am meisten empört mich diese Heuchelei von Müntefering, der sagt, nach zehn Jahren müsse man nun endlich versöhnen, aber die Nazidiktatur sollen wir nach 50 Jahren noch weiter aufarbeiten. Das ist der Grund, daß ich dafür sorge, das Dokument des Deutschen Bundestages in die Öffentlichkeit zu bringen, in dem die Vergleichbarkeit der beiden Diktaturen ausdrücklich festgehalten wird.

Was waren Ihre zentralen Punkte, die Sie in der ARD-Sendung "Sabine Christiansen" bezüglich der PDS ins Gespräch führen
wollten?

Löwenthal: Erstens wollte ich den Verrat der SPD ansprechen, zweitens die Vergleichbarkeit von NS- und SED-Diktatur herausstellen und drittens die Heuchelei aufzeigen, die zwischen der Forderung der "Versöhnung" mit den Taten der SED und der 50-jährigen Aufarbeitung des Dritten Reiches besteht.

Bildet denn die Union derzeit so etwas wie eine Opposition?

Löwenthal: Der "Club Der Unbekannten" entsetzt mich. Das ist doch auch das Problem. Wo ist die schlagkräftige CDU, die Herrn Schröder angreift? Durch die Verkündung des abfallenden Wirtschaftswachstums auf ein Prozent könnte man diesen doch ins Mark treffen. Außerdem könnte man in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, was Schröder als Ministerpräsident in Niedersachsen hinterlassen hat – ein Trümmerfeld. Statt dessen schiebt dieser in konservativen Themen seine eigene Frau vor, die plötzlich vom Wert der Erziehung in der Familie reden muß, obwohl sie schon seine vierte Frau ist. Schlimmere Heuchelei ist doch kaum möglich. Deshalb frage ich mich: Wo bleibt die Union? Wo ist die Opposition?

Interessant ist, was die Union heute erlebt. Am 9. November vorigen Jahres bei der Demonstration "Aufstand der Anständigen" wurden die Unionspolitiker öffentlich brüskiert. Vor zwei Wochen mußten Unionspolitiker am Berliner Alexanderplatz im Eier- und Batterienhagel die Flucht antreten. Frißt der Kampf gegen Rechts nun die eigenen Kinder?

Löwenthal: Das meine ich nicht. Es gab in Berlin immer Auseinandersetzungen, die bis zu Gewalttätigkeiten gingen. Mich hat daran verblüfft, daß alle Anwesenden ziemlich unvorbereitet waren. Wo war eigentlich die Polizei? Man wußte doch, wo man sich aufhielt. Der Alexanderplatz ist doch nicht der Kurfürstendamm, sondern die ehemalige Machtzentrale der DDR.

Hängt die Möglichkeit einer eventuellen PDS -Mitregierung damit zusammen, daß der antitotalitäre Konsens der Bundesrepublik substanziell und kulturell aufgeweicht ist?

Löwenthal:" Aufgeweicht" ist gut. Der antitotalitäre Grundkonsens, den wir seit Beginn der Bundesrepublik bis in die siebziger Jahre hatten, ist von Egon Bahr durch die Verbrüderung mit SED-Politikern systematisch zerstört worden. Willy Brandt hatte davor das Zitat gebraucht: "Man darf sich nicht Antifaschist nennen, wenn man nicht auch Antikommunist ist."

Die Union hat sich offenbar strategisch ins Aus manövriert. Sie steht nun ohne Koalionspartner da.

Löwenthal: Die Union hat den Fehler gemacht, sich politisch zu isolieren. Sie hat sich zu lange auf die unzuverlässige FDP gestützt. Nun hat die SPD drei Optionen: die Grünen, die FDP und die PDS. Die Union dagegen hat keinen Partner, mit dem sie koalieren könnte. Sie hat die Methode Scharn-horsts nie verstanden, getrennt zu marschieren und vereint zu schlagen. Daß die CSU nie aus Bayern herauskam – daß Strauß hier an der eigenen Partei gescheitert ist –, war gesamtnational gesehen ein Fehler. Auch die zweite Chance 1990, aus der DSU eine bundesweite konservative Partei zu machen, würde versäumt.

Sie haben die DSU mit aufgebaut?

Löwenthal: Sicher. Ich habe das zunächst hinter den Kulissen getan, weil ich nicht nach außen in Erscheinung treten wollte. Anders ausgedrückt, ich habe sie politisch beraten. Leider Gottes ist es versäumt worden, eine Alternative entstehen zu lassen. Nach einer Stabilisierung zunächst in den neuen Bundesländern hätte man die DSU bundesweit ausdehnen können. Vergessen wir das. Das ist alles historisch. Die Aussichten für die nächte Bundestagswahl sind augenblicklich nicht besonders gut. Nun kriegt die Union auf dem Platinteller ein Thema präsentiert, und nun wollen wir sehen, was sie damit anfangen.

Sie meinen die Zuwanderung?

Löwenthal: Nein. Ich meine den wirtschaftlichen Abstieg. Ich hoffe, die Union hat nun kapiert, daß sie aus dem "Kanzler des Aufschwungs" einen "Kanzler des Abstiegs" machen muß. Das müßte nun jeden Tag passieren. Mich verblüfft, daß es bei der CDU im Adenauerhaus keine Abteilung gibt, die was von public relations versteht. Ich raufe mir jeden Tag die Haare, wenn ich sehe, welche Chancen da vergeben werden. Zum Beispiel haben Sie doch gemerkt, wie im Bundestag aufgeheult wurde, nachdem Friedrich Merz das Thema des Versagens der SPD in Zusammenhang mit der deutschen Einheit ins Plenum gebracht hat. Es hätte doch längst eine Dokumentation geben müssen, wer aus der SPD-Führung was wann zu diesem Thema gesagt hat.

Da wären dann aber auch ein paar peinliche Zitate von der CDU mit dabei gewesen?

Löwenthal: Das wäre doch egal gewesen. Angriff ist die beste Verteidigung.

Der wirtschaftliche Abschwung ist dann jetzt die Chance für die CDU?

Löwenthal: Die Frage ist, ob das ein Jahr lang als Thema hält.

Es ist aber wiederum kein Thema, an dem die CDU irgendwelche Werte festmachen könnte?

Löwenthal: Aber natürlich. Mit der Marktwirtschaft könnte man auch eine Wertediskussion verbinden.

Das Problem ist aber, daß anhand von wirtschaftlichen Prozentzahlen keine politische Grundsatzdiskussion angefangen werden kann?

Löwenthal: Das ist doch uninteressant. Der Wähler wählt nach dem Portemonnaie. Mit dem Thema "Deutsche Leitkultur" ist alleine keine Wahl zu gewinnen. Den Leuten ist wichtig, wie es ihnen am Wahltag geht.

Was ist mit dem Thema Zuwanderung?

Löwenthal: Nun hat in diesem Punkte die politische Linke, vor allem verkörpert durch Herrn Schily, begriffen, worum es gehen muß, und die Position der CDU übernommen.

Wird die Union beim Thema Zuwanderung demnach von der SPD etwa thematisch ausgestochen?

Löwenthal: Ich glaube grundsätzlich, daß man mit dem Thema Zuwanderung, so wie es jetzt diskutiert wird, keine Wahl führen kann.

Nun versucht die CDU eine gemäßigte Politik bei einem linken Thema zu machen. Damit werden die Leute verunsichert, denn es wird unterschwellig der Eindruck vermittelt, daß die SPD sich soweit durchgesetzt habe, das selbst die Union auf deren Kurs eingeschwenkt ist?

Löwenthal: Ich würde es umgekehrt sehen. Die Union hat sich soweit durchgesetzt, daß die SPD ihre Position verändert hat. Die SPD wollte doch ursprünglich schrankenlose Zuwanderung. Nun sehen doch alle ein, daß wir eine zahlenmäßig begrenzte und vor allem qualitativ ausgewählte Zuwanderung brauchen. In den USA, Kanada und Australien ist das doch ganz selbstverständlich.

Politik besteht aus Sachfragen, aber auch aus Stimmungen. Dabei gelingt es der SPD immer wieder, die Union rechts zu überholen, wenn man etwa an die jüngsten Sprüche des Bundeskanzlers zur Strafverschärfung bei Kindesmißbrauch und seinen wiederentdeckten Wehrmachtsvater denkt.

Löwenthal: Mich interessiert nicht, wie die andere Seite sich in diesem Punkte verhält. Die CDU sollte nur interessieren, wie sie eine Attacke nach der anderen an die Adresse der SPD senden kann. Die CDU muß Schröder als den Gewandelten darstellen, der Standpunkte der CDU übernimmt.

Wer könnte die Union mit diesem Konzept denn am ehesten bei der nächsten Bundestagswahl vertreten?

Löwenthal: Eine Kandidatendiskussion wäre aus meiner Sicht zu früh, denn es können sich noch eine Menge Entwicklungen ergeben. Man sollte diese Diskussion jetzt auch nicht führen.

Glauben Sie, daß die momentane Führung den von Ihnen geforderten Kampf aufnehmen kann?

Löwenthal: Das läßt sich schwer beurteilen. Im Augenblick habe ich meine Zweifel, daß diese Führung angreifen kann. Der Konsensfanatismus ist eine verhängnisvolle Politik. Politik heißt Auseinandersetzung. Sie müssen klare Fronten schaffen, um den Leuten eindeutig zu sagen, wer wo steht. Es muß eine ganz klare Position eingenommen werden, diese ist bei der CDU zur Zeit nicht erkennbar. Ich habe immer den Eindruck, die Union fürchtet die Auseinandersetzung. Man muß angreifen. Ich bin gerade deshalb oft angegriffen worden. Doch wenn ich resümiere, bin ich nicht unzufrieden.

 

Gerhard Löwenthal geboren 1922 in Berlin, war von November 1945 bis 1953 Reporter und stellvertretender Programmdirektor beim "Rundfunk im amerikanischen Sektor" (RIAS Berlin). Von 1954 bis 1957 arbeitete er als stellvertretender Programmdirektor beim Sender Freies Berlin (SFB). Von Juni 1959 bis August 1963 war er Hauptabteilungsleiter für Wissenschaftliche Information bei der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris. Von 1963 bis 1968 war er ZDF-Europa-Korrespondent und Studioleiter in Brüssel, bis er im September 1968 Leitung und Moderation des ZDF-Magazins übernahm. Seit seinem Ausscheiden im Januar 1988 ist er freiberuflicher Journalist und Schriftsteller. 1978 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Band, 1992 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Veröffentlichungen: "Ich bin geblieben – Autobiographie" (1987); "Feindorganisation Hilferufe von drüben" (mit H. Kamphausen /C.P. Clausen, 1993)

 

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