© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
Kolumne
Aus der Traum!
Klaus Motschmann

Eine zum Verständnis des Sozialismus maßgebende Schrift – "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" – wird von Karl Marx mit der Feststellung eingeleitet, "daß sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sozusagen zweimal ereignen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce". Wenn es doch nur so wäre! Wir können aufgrund unserer zeitgeschichtlichen Erfahrungen hinzufügen, daß das zweite Mal nicht unbedingt eine Farce sein muß. Es kann auch abermals eine Tragödie sein.

Die Tragödie unserer Zeit, wenn man diesen Begriff einmal aufnehmen will, liegt nicht (!) in dem Wiedererstarken einer kommunistischen Partei, wie man heute in Verkennung der tatsächlichen Herausforderungen weithin jammern hört. Sie liegt vielmehr in der notorischen Unfähigkeit der sogenannten progressiven Intellektuellen und Meinungsmacher, Strategie und Taktik dieser Partei zu begreifen, geschweige denn ihr argumentativ zu begegnen.

Dafür gibt es verschiedene Gründe, die vor allem auch von Marx und Engels hinreichend nachgewiesen worden sind. Wie viele Kübelgüsse von Verachtung, Hohn und Spott haben sie über "ganze Banden halbreifer Studiosen und Überweiser Doctores", "vorlaute Literaten", "Durchfallkandidaten", "unwissende Lümmel" und "zügellose Phrasendrescher" im eigenen geistig-politischen Umkreis gegossen, weil sie dem Sozialismus dauernd eine "höhere, idealistische" Wendung zu geben versuchen – bis heute! Anlaß zum Überdenken ihrer "spekulierenden Triebe" ist das jedoch nur ganz selten gewesen. Es gibt eben auch einen ideologisch-intellektuellen Masochismus!

Ein sehr wichtiger Grund dafür liegt in der Ich-Schwäche zahlreicher Intellektualisierter und in der Unfähigkeit, eigene Standpunkte zu entwickeln und zu behaupten. So erklärt es sich, daß die Erfahrungen mit dem realexistierenden Sozialismus in diesen Kreisen teils tatsächlich verdrängt sind, teils bewußt verdrängt werden und der Glaube an die Heilslehre des Sozialismus ungebrochen ist. Unmittelbar nach der sogenannten Wende haben sich namhafte Intellektuelle und Politiker in diesem Sinne zur Zukunft des Sozialismus in einem Sammelband mit dem programmatischen Titel "Der Traum aber bleibt" geäußert. Orientierung am Traum oder im Traum – auf jeden Fall nicht an den Realitäten und ihren Wirkungen.

Auch aus diesem Traum wird es ein Erwachen geben. Hoffentlich sehr bald, damit wieder Orientierungen möglich werden und die Traumdeutungen ein Ende haben. Wir würden sonst einer neuen Tragödie entgegenträumen.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste in Berlin


 
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