© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/01 13. Juli 2001

 
Der schöne Schein des Abendrotes
"All die schönen Pferde": Der Film zum Buch, das den Kultautor Cormac McCarthy wider Willen berühmt machte
Georg Eizenhöfer

Der Western lebt, und sei es in Spaghettiversion oder als "Wild, Wild West"-Klamauk. Auch heuer feiert das Genre wieder fröhliche Urstände, wenn die Verfilmung von Cormac McCarthys "All die schönen Pferde" (1992) endlich in die Kinos kommt. Daß der unter Regie Billy Bob Thorntons gedrehte und von den aficionados – der eingeschworenen Fangemeinde diesseits und jenseits des Atlantiks – lange mit Spannung erwartete Streifen der literarischen Vorgabe nicht gerecht werden konnte, überrascht kaum.

Aber die Tatsache, daß eine McCarthy-Verfilmung überhaupt zustande gekommen ist, grenzt an ein Wunder schon deswegen, weil McCarthy Jahr für Jahr versucht hat, Drehbücher und gar ein Bühnenstück an den Mann zu bringen, nur um sich immer wieder sagen lassen zu müssen, seine Werke seien unaufführbar. So wurde das Drama "The Stonemason" noch während der Proben abgesetzt, als sich McCarthy weigerte, Änderungen vorzunehmen. Die Drehbücher, mit so dubiosen Titeln wie "Of Whales and Men", liegen fest verschlossen im Giftschrank der University of Arizona und sind niemandem zugänglich, und das erscheint plausibel, wenn man den Gerüchten glauben darf, die den Inhalt dieser Werke im Bereich des Peinlichen verorten.

Das einzige Filmprojekt, für das McCarthy das Drehbuch schrieb und das je realisiert wurde, war die Fernsehproduktion "The Gardener’s Son" (1977), die 1978 ihren Weg ausgerechnet zur Berlinale fand und dort auch vorgeführt wurde, obwohl sich weder hier noch in Amerika irgend jemand an den Film erinnern kann. Diesmal aber ist es keines von McCarthys Drehbüchern, das verfilmt wurde, sondern einer seiner Romane, und zwar nicht der dritte Band seiner Grenz-Trilogie, "Cities of the Plain" (1997), der auf dem Material eines früheren Drehbuchs aufbaut, sondern der erste Band der Trilogie, "All die schönen Pferde", der einzige Bestseller McCarthys.

Ein kleines Wunder ist die Verfilmung also auch insofern, als nun McCarthy künstlerische Lorbeeren zu einem Zeitpunkt zuteil werden, zu dem niemand mehr so recht an sie geglaubt haben dürfte. Der unter seinen Anhängern als literarischer Alchemist düsterster Apokalypse und epischer Sprachgewalt gefeierte Schriftsteller zählt mittlerweile siebenundsechzig Lenze und wird wohl den Zenit seines Schaffens überschritten haben. Obgleich in akademischen Kreisen zu Recht hochangesehen, verkaufte sich keiner der zuvor veröffentlichten Romane, und bis zum unerwarteten Volltreffer mit "All die schönen Pferde" hielt sich McCarthy jahrelang mit Preis- und Stiftungsgeldern über Wasser. Glücklicherweise lagen die Stipendien und Fördermittel um so höher, je länger ihm der kommerzielle Erfolg versagt blieb.

Dieser Logik der Disproportionalität folgend kam es nicht von ungefähr, daß McCarthy in den Verkaufszahlen von "All die schönen Pferde" den Anfang vom Ende seines Status als "writer’s writer", als ein Schriftsteller für Literaten, zu erkennen glaubte. Auch wenn er weder die Tantiemen für das Buch noch den sechsstelligen Betrag für die Filmrechte ausschlug, graute ihm vor dem Vergleich mit den Neuerscheinungen, die neben "All die schönen Pferde" die Bestsellerliste anführten: "Wären Sie gerne in solcher Gesellschaft?" gab er an den Journalisten zurück, der ihn nach den Gründen seines Unbehagens angesichts des endlich erfolgten Durchbruchs fragte.

Die anfängliche Euphorie über den langersehnten Siegeszug des Buches ist in der einschlägigen Literaturkritik inzwischen der Einsicht gewichen, daß des Autors Mißtrauen berechtigt gewesen sein könnte. Denn literarisch gesehen steht die Grenz-Trilogie (von der bisher nur die ersten beiden Bände ins Deutsche übersetzt wurden) tatsächlich im Schatten der früheren Werke insofern, als sie das Genre des Westerns mehr oder weniger adaptiert – anstatt es zu pervertieren (wie es McCarthys "Die Abendröte im Westen", 1985, macht) – und die existenzielle Melancholie der früheren Texte gegen sentimentale Nostalgie für den alten Westen einzutauschen scheint. Als erfüllte sich McCarthys Skepsis sozusagen in ihrer Artikulierung, stellt "All die schönen Pferde" so etwas wie eine Zäsur dar, da die absehbaren und gelegentlich ermüdenden Handlungsabläufe der Trilogie in Kontrast stehen zu der heillos anarchischen Erzählstruktur der früheren Werke, zu ihrer manischen Gewaltträchtigkeit, ihrer grotesken Überzeichnung amerikanischer Realität, ihrer barocken Rhetorik und vogelfreien Moral. Zum Vergleich: "Die Abendröte im Westen", von McCarthy als ultimativer Western angelegt (der in seiner Konzeption "Moby Dick" gleicht, aber das manifest destiny-Programm amerikanischen Expansionsdrangs nicht im Mikrokosmos eines Schiffs spiegelt, sondern in dem einer Bande von Desperados) läßt als einzige ethische Prämisse das Recht des Stärkeren gelten und dramatisiert somit einen ad absurdum geführten Sozialdarwinismus, um auf diese Weise den Mythos des Wilden Westens ein für alle Mal zu demaskieren. Dagegen besinnen sich "All die schönen Pferde" und "Der Grenzgänger" (Band zwei der Trilogie) zurück auf zwischenmenschliche Tugenden wie Romantik, Freundschaft, Heldentum, hart an der Grenze zu Pathos oder gar Kitsch, und lassen so den bereits zum alten Eisen gegebenen Mythos des Westerns durch die Hintertür wieder herein.

So einfach es sein mag, die Cowboy-Romantik umzusetzen, so schwer ist es offenbar gefallen, die atemberaubende Prosa und die subtile Utopiebildung des Buches (die ihm überhaupt erst literarischen Anspruch verleihen) in die Bildersprache des Kinos zu übersetzen. Selbst ein Exzentriker wie Thornton – dem McCarthys makabres Weltbild durchaus nicht fernliegen dürfte, brüstet sich doch seine Ehefrau, die "Lara Croft"-Darstellerin Angelina Jolie, Reportern gegenüber gerne mit dem gemeinsamen Lieblingsmöbel, einem authentischen elektrischen Stuhl – sah sich hier überfordert, nachdem Mike Nichols ("Die Reifeprüfung"), der sich ursprünglich die Filmrechte an dem Erfolgsroman gesichert hatte, schnell das Handtuch – oder, um in McCarthys geistigem Horizont zu bleiben: die Flinte ins Korn – geworfen hatte. Thorntons über dreistündigen director‘s cut bekommen die hiesigen Kinobesucher dabei gar nicht erst zu sehen, sondern müssen sich mit einer um die Hälfte beschnittenen und auf die unvermeidlichen Versatzstücke der Initiations- und Liebesgeschichte verkürzten Version bescheiden.

Wie im Roman reißt der sechzehnjährige John Grady Cole (Matt Damon) mit seinem Freund aus, um jenseits der Grenze in Mexiko ein Leben voller Freiheit und Abenteuer à la Marlboro Country zu suchen, sich einen Namen als Broncoreiter machen, sich in die Tochter (Penélope Cruz) des reichen Hacendado, dem alles gehört, verlieben. Wie im Roman kämpft er um sein Leben und reitet am Ende, nach all den bestandenen Proben, ins Abendrot einsamer Männlichkeit davon.

Aber die hoffnungslose Illusion einer intakten pastoralen Gesellschaft, wie sie dem amerikanischen Traum zugrundeliegt und hier abhanden gekommen zu sein scheint und daher in ein fantastisches Mexiko projiziert wird, diese sorgfältig aufgebaute Illusion ließ sich filmisch kaum nachzeichnen. Demnach war schon im voraus zu erwarten, daß die Adaption von "All die schönen Pferde", selbst wenn sie sich als Kassenschlager erwiesen hätte, McCarthy als Verfasser seichtester Groschenliteratur ausweisen würde und daß die grauen Haare, die dem Autor angesichts der Verkaufszahlen des Romans bereits gewachsen sind, sich gänzlich in einen schlohweißen Schopf verwandeln.

McCarthys späte Rückbesinnung auf geordnete Erzählstrukturen und existenzielle Harmonie ergibt erst Sinn im Zusammenhang des hyperbolischen Zerrbildes des Wilden Westens, wie es "Die Abendröte im Westen" aus einer Sicht entwickelt, die Nietzsche zur Ehre gereichte, hätte Nietzsche um 1849 in Texas gelebt und einen rauchenden Colt statt der klecksenden Feder geschwungen. Doch diese Kontextualisierung wird wohl nur von den erwähnten aficionados zu leisten sein, die sich seit Jahren auf diesen Film freuen wie König Midas auf das herbeigewünschte Gold und die wie König Midas mit Eselsohren dastehen werden, weil sie so unbedacht gewünscht haben.

Ob es sich demnach empfiehlt, die Lektüre des Buches dem Kinobesuch voranzustellen, mag an dieser Stelle offenbleiben, zumal sich McCarthy von seiner besten Seite ohnehin in Werken wie eben "Die Abendröte im Westen" zeigt, nicht in "All die schönen Pferde".


 
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