© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/01 20. Juli 2001

 
"Immer von ihrem Gewissen geführt"
Interview: Oberst Kleyser über die Ehrung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 in Magdeburg
Jörg Fischer

Herr Oberst Kleyser, warum haben Sie zusammen mit anderen ein Bürgerbündnis für den "Gedenktag 20. Juli" ins Leben gerufen?

Kleyser: Am 10. Januar diesen Jahres, zum 100. Geburtstag des Generals Henning von Tresckow, der Magdeburger ist, haben wir in unserer Stadt eine Gedenk-Stele errichtet: Die Magdeburger Gesellschaft, Universität, Bürger, Stadt und Bundeswehr. Das war der Anlaß. Tresckow war einer der führenden Köpfe und sicherlich auch unerbittlichsten Gegner von Hitler.

Was bezweckt Ihre Initiative?

Kleyser: Uns ging es darum, in einer Region, in der aus historischen Gründen der militärische Widerstand gegen Hitler etwas vernachlässigt worden ist, diesen als ein positives Erbe für die junge Generation deutlich zu machen. Es gab in Magdeburg bislang nichts, was daran erinnerte. Als ich als Soldat hierher kam, sah ich das als Chance, damit auch einen herausragenden Widerstandskämpfer zu ehren.

Tresckow war Symbol des "Widerstands aus Gewissensgründen". Oberst Graf Stauffenberg ging es um die "Rettung des Reiches". Wie sehen Sie das heute?

Kleyser: Der Widerstand war sehr vielschichtig, und ich halte die Frage des jeweiligen persönlichen Interesses, auch der politischen Lösungen für zweitrangig. Ich bin überzeugt, wenn man die Geschichte des Widerstandes nimmt, die einzelnen Biographien zusammen betrachtet, daß sich im Grundsatz alle – ob Goerdeler, ob Bonhoeffer, ob Carlo Mierendorff, ob Stauffenberg oder Tresckow sich immer von ihrem Gewissen geführt sahen. Sie dachten: Dieses verbrecherische Regime muß ein Ende haben. Ich glaube, das war der entscheidende Punkt auch für den 20. Juli, weniger die Frage, welche Staatsform, welche Ordnung des Reiches wollen wir, sondern die moralische Zielrichtung war nachher übereinstimmend.

Sollte es mehr solcher Initiativen geben, gerade in den Neuen Bundesländern?

Kleyser: Wir versuchen, hier eine Brücke zu schlagen: 20. Juli 1944, 17. Juni 1953 und 9. November 1989. Das sind alles Ereignisse, die zwar politisch unterschiedlich, aber allesamt ein Widerstand gegen Unrecht und Staatswillkür waren.

Der Widerstand am 20. Juli wurde beim Aufbau der Bundeswehr in den fünfziger Jahren noch sehr kontrovers diskutiert. Viele ehemalige Wehrmachtsangehörige, die im Jahre 1944 auf der "anderen Seite" standen, haben dann auch die Bundeswehr mit aufgebaut. Wie sehen Sie das heute?

Kleyser: Der Ungehorsam gegen Unrecht war und ist militärisch oder auch armeeimmanent. Die Tatsache, daß viele Offiziere nicht daran teilgenommen haben, hat viele Gründe. Es ist für mich aber ein Phänomen, daß gerade in den Kriegsjahren 1943 und 1944 sehr viele Offiziere vom Widerstand gewußt haben. Es hätte damals jeder zur Gestapo gehen können, trotzdem ist historisch keine einzige Denunziation belegt.

Die Offiziere des 20. Juli waren bekennende Wehrmachtssoldaten. Andererseits wurde 1995 bis 1999 in 33 deutschen und österreichen Städten die Austellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–44" gezeigt. Kann sich die Bundeswehr heute dennoch auf Wehrmachtstraditionen berufen?

Kleyser: Mir wäre lieber, die Wehrmachtsausstellung hieße "Verbrechen in der Wehrmacht". Verbrechen hat es ohne Zweifel gegeben, bis in die höchsten Stellen. Ich bin aber grundsätzlich immer gegen die Pauschalisierung einer ganzen Gruppe, dann könnten wir auch eine Ausstellung machen "Verbrechen der Deutschen". Ich glaube, daß wir zu Recht die Männer des 20. Juli, sofern sie Soldaten waren, als unsere Traditionsväter der Bundeswehr sehen.

Seit 1991 ist Krieg auf dem Balkan. Es wurden von den Beteiligten viele Kriegsverbrechen begangen. Auch das Nato-Bombardement auf Serbien ist umstritten. Jetzt ist die Entwaffnung der UÇK geplant. Besteht nicht die Gefahr, daß Handlungen von Nato oder Bundeswehr in 20 Jahren auch als Kriegsverbrechen angesehen werden?

Kleyser: Man muß immer trennen zwischen einem aktuellen Kenntnisstand und einer aktuellen Bewertung und einer späteren historischen Bewertung. Eines ist sicher, daß die Bundeswehr und unsere Alliierten innerhalb der Nato ganz klare Vorgaben haben, was Recht und Gesetz ist. Wenn man sich entscheidet, einem Unterdrückten militärisch zu helfen, dann wird das nicht immer friedlich abgehen können. Ich hielte es für sehr bedenklich, wenn man dieses dann auch in den Bereich des Unrechtes stellen wollte.

 

Oberst Ulrich C. Kleyser, 56, ist Kommandeur des Verteidigungsbezirkskommandos 82 in Magdeburg. Kleyser stammt aus Westfalen und war zunächst Offizier der Panzeraufklärungstruppe. Er durchlief die Generalstabsausbildung und war zuletzt Leiter des Heereshauptverbindungsstabes Frankreich in Paris.


 
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