© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   31-32/01 27. Juli / 03. August 2001


Mit Vollgas geht’s weiter
Das Klimaprotokoll von Kyoto wurde gerettet – der Planet Erde nicht
Volker Kempf

Am Montag meldeten Rundfunk und Fernsehen, es sei in Bonn eine Einigung zum Schutz des Erdklimas zustande gekommen. Die anschließende Meldung mußte allerdings wieder stutzig machen: Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften sowie die Regierungschefs der G-8-Staaten wollen alles unternehmen, um das weltweite Wirt-schaftswachstum zu forcieren – vier Prozent jährlich seien realistisch.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat unterdessen längst Zahlen vorgelegt, wonach Wirtschaftswachstum bisher noch immer jede Effizienzsteigerung bei der Energienutzung zunichte gemacht hat. Für den Zeitraum von 1980 bis 2020 sei gar eine Zunahme des Energieverbrauchs um 50 Prozent zu erwarten und damit eine entspechende Erhöhung des Ausstoßes von treibhausfördernden Kohlendioxidemissionen (CO2). Die einzigen Staaten, die in den neunziger Jahren ihr CO2-Aufkommen reduziert haben, waren denn auch die mit einer Wirtschaftsschrumpfung. Hierzu gehören fast ausschließlich Länder des zusammengebrochenen Ostblocks, einschließlich der neuen Bundesländer mit ihren stillgelegten Kraftwerken und Industrieanlagen.

Wie wollen also jene Staaten, die sich jetzt in Bonn auf ein Klimaschutzprotokoll geeinigt haben, ihre klimarelevanten Emissionen reduzieren, ohne an dem Dogma vom Wirtschaftswachstum zu rühren? Selbst ein so ökologisch denkender Mann wie Al Gore ("Wege zum Gleichgewicht") drehte im vergangenen US-Wahlkampf zugunsten des Wirtschaftswachstums seines Landes den Ölhahn weiter auf. US-Präsident George W. Bush macht unterdessen keinen Hehl mehr daraus, daß sich die USA zwischen Klimaschutz und Wirtschaftswachstum zu entscheiden hätten, und zwar für letzteres. Bush in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung wörtlich: "Um es ganz klar zu sagen: Die Kyoto-Zielsetzungen sind unrealistisch – zum Beispiel ein Rückgang der Kohlendioxid-Emissionen auf den Stand von 1990 oder darunter. Dies kann unser Land nicht mittragen."

Unterstützung erhielt Bush im Vorfeld der Verhandlungen durch einen von 18.000 Geowissenschaftlern unterzeichneten Aufruf. Darin wird mahnend erklärt, daß Klimaschutz das Wirtschaftswachstum gefährde. Eher nachgeschoben wirken in der dazugehörigen Broschüre "Klimakatastrophe?" angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse und Verschwörungstheorien: Der Anstieg von CO2 in der Atmosphäre täte der Umwelt sogar gut, einen anthropogenen, also menschengemachten Treibhauseffekt gäbe es unterdessen nicht. Ausschließlich die Sonne heize uns ein. Völlig unterschlagen wird in diesem Text, daß selbst bei Ausbleiben einer Klimakatastrophe ein hoher CO2-Ausstoß noch immer Indikator eines rasanten Verbrauchs unserer nicht erneuerbaren Energievorräte wäre. Und wo Ressourcen knapp werden, sind Kriege nicht mehr weit. Dennoch wollen diese Wissenschaftler angeblich nur Gutes, alle anderen Forscher – etwa 95 Prozent – seien hingegen interessengeleitet. Mag den 18.000 Geowissenschaftlern glauben, wer will: Deren Befürchtung, daß Klimaschutz Wirtschaftswachstum ausbremsen muß, läßt sich nicht bestreiten. Nicht nur die USA bekamen deshalb in Bonn sprichwörtlich kalte Füße und suchten das Weite. Auch Japan drohte, eine Einigung auf das Kyoto-Protokoll platzen zu lassen. Ohne die USA und dann auch noch Japan wären nämlich keineswegs 55 Industrieländer zusammengekommen, die mindestens 55 Prozent des weltweiten Kohlendioxidausstoßes erzeugen und zugleich eine Ratifizierung von Reduktionsverpflichtungen auf ein Niveau vor 1990 in Aussicht stellen.

Japan weigerte sich in Bonn, sich auf einen bestimmten Reduktionswert festzulegen. So ist nur noch von einem "signifikanten Anteil" zur Verringerung des Ausstoßes der weltweiten Treibhausgase die Rede. Vor allem für den Fall, daß das Wirtschaftswachstum alle angepeilten Energieeinsparungen auffrißt, würden Sanktionen drohen, die von den Vertretern des Landes der aufgehenden Sonne keinesfalls hingenommen werden. Das Problem wurde auf die nächste Vertragsstaatenkonferenz vertagt. Geplant ist, daß Vertragsabweichler ein höheres Klimaziel für die nächste Periode erfüllen müssen. Wenn der Widerspruch zwischen dem Weg des Wirtschaftswachstums und dem des Klimaschutzes allen gutgemeinten Zielsetzungen zum Trotz aufbricht, wird man dem nicht mit Verboten sinnvoll begegnen können. Genauso könnte man Naturgesetze verbieten. Es gibt keinen dritten Weg, den man einschlagen kann. Man wird sich wie George W. Bush schon für einen der beiden Wege entscheiden müssen. Und im Grunde ist die Entscheidung schon gefallen. Kein Land will sich vom Wirtschaftswachstum lossagen, nur um ein Klimaprotokoll zu erfüllen. Hier ist also noch vieles dünn und widersprüchlich, so daß man schon jetzt auf die Nachverhandlungen gespannt sein darf.

Kanada war so klug, unter anderem mit Rußland durchzusetzen, daß bestehende Wälder derart auf das eigene Klimakonto angerechnet werden, daß es den CO2-Ausstoß sogar noch steigern darf. Folgen andere Länder dieser Regelung, reduziert sich nach Berechnung der Umweltstiftung WWF das Klimaschutzziel von Kyoto von 5,2 Prozent weniger CO2-Emissionen im Jahr 2012 (nach dem Stand von 1990) auf nur noch 1,8 Prozent.

Deutschland will gar bis 2012 seinen CO2-Ausstoß um mindestens 21 Prozent reduzieren. Gleichzeitig macht Bundeskanzler Schröder ein Wirtschaftswachstum von national zwei Prozent zur Chefsache. Jürgen Trittin redet hiervon, Gerhard Schröder davon, als handele es sich um zwei voneinander unabhängige Dinge. Massenzuwanderung soll gemäß der Süssmuth-Komission auch noch sein, was alle Klimabemühungen hierzulande einmal mehr konterkarieren muß. Denn auch Einwanderer brauchen Energie, Autos, Häuser und Flugzeuge.

Daß Klimaschutz ein Primärziel sei, wie es die Einigung in Bonn suggeriert, ist auch bei uns nicht auszumachen. So arbeiten von den Arbeitgebern bis hin zu den Gewerkschaften alle gesellschaftlichen Kräfte auf Wirtschaftswachstum hin. Die Klimakonferenz von Bonn war da kaum mehr als ein Krächzen, Stöhnen und Klagen in der Kommandozentrale des Raumschiffs Erde. Wie die Heuschrecken fressen wir uns durch das Grün, bis der Planet geplündert ist. Erst dann nehmen die Treibhausgase wieder ab. Gewiß, weniger Menschen kämen da einer "Gesundschrumpfung", also einer Anpassung der Population an die Ökosysteme, gleich. Bevölkerungskonferenzen haben hier aber gar nicht erst versucht, mehr zu bewirken als Klimakonferenzen.

So bleibt die Umweltpolitik eine Farce. Nur das Kyoto-Protokoll wurde gerettet – der Planet Erde nicht.
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