© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Totale Mobilmachung
Beim G-8-Gipfel in Genua herrschte der Ausnahmezustand
Michael Wiesberg

Globalisierung heißt in der Sprache der Sozialwissenschaftler vor allem eines: Totalmobilmachung aller Lebensbereiche im Zeichen der Ökonomie. Dies gilt auch für die hochmobile Internationale der Politchaoten, die inzwischen bei jedem Weltwirtschaftsgipfel als selbsternannte Sturmabteilung der Erniedrigten den Ausnahmezustand probt. Daß diese Klientel inzwischen die berechtigte Kritik an den Rahmenbedingungen des Globalisierungsprozesses in den Hintergrund gedrängt hat, ist auch ein Ergebnis des 27. Weltwirtschaftsgipfels der G8-Staaten in Genua. Dies beklagen die sogenannten Nichtregierungsorganisationen (NROs), die zu den Protesten in Genua aufgerufen haben. Diese behaupten von sich, ohne demokratische Legitimation vorweisen zu können, die "Zivilgesellschaft" repräsentieren zu wollen. Deren Repräsentanten sind aber immer noch die gewählten Parlamente und Regierungen. Ihre Einflußnahme hat inzwischen solchen Erfolg, daß die NROs auch für linksextremistische Politchaoten attraktiv geworden sind. Diese nutzen deren Gipfelproteste inzwischen medienwirksam für ihre Art von "Protest".

Ideologische Nähe dürfte dieser Mesalliance Vorschub geleistet haben, greifen doch Vertreter der NROs bei den Begründungen für ihren Widerstand gegen die Globalisierung immer wieder auf ein Argumentationsmuster zurück, das seit Jahren wohlbekannt ist: nämlich auf die Behauptung, es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Armut der Entwicklungsländer und dem Reichtum der Industriestaaten. Unschwer kann man hier das Zentrum-Peripherie-Modell der marxistisch inspirierten Dependenztheorien heraushören, mit denen in "fortschrittlichen Kreisen" Unterentwicklung begründet wird. Die Industriestaaten prosperieren vor allem deshalb, so die Theorie, weil diese mittels eines Weltwirtschaftssystems, das "strukturelle Gewalt" gegen die Ärmsten der Erde ausübt, ihren Reichtum akkumulieren können. Es ist gerade die Schlichtheit dieser Theorie, die auch ihre Zählebigkeit erklärt. Deswegen ist mehr als Skepsis gegenüber der Prognose von Thomas Schmid angebracht, der in einem FAZ-Kommentar resümierte: "Ein letztes Mal noch tun sich, von den marxistischen Antikapitalisten über die katholisch-sozialen Zweifler an der offenen Gesellschaft bis zu den regionalistisch orientierten Freunden der Erde, alle zusammen, denen der Lauf der globalen Dinge Unbehagen bereitet."

Zu einer Fehleinschätzung kommt Schmid, wenn er konstatiert, daß die "Streiter wider die Globalisierung verkennen, daß der Prozeß, den sie stoppen und umkehren wollen, keinen Autor ... kennt." Der Prozeß der Globalisierung sei, so Schmid, "unpersönlich" und daher sei der Protest gegen diesen "sinnlos".

Dieser Sichtweise muß entschieden widersprochen werden, weil sie einer Prüfung der Fakten nicht standhält. Dies verdeutlicht bereits ein Blick auf die Art und Weise, wie die marktradikale Wirtschaftsdoktrin, die den Prozeß der Globalisierung heute kennzeichnet, durchgesetzt wurde. Im angloamerikanischen Raum ist diese Doktrin als "Washington-Konsens" bekannt. Zustande kam dieser Konsens Anfang der achtziger Jahre, als die Spitzen der amerikanischen Regierung, des IWF, der Weltbank und anderer Organisationen zusammenkamen, um eine gemeinsame Vorgehensweise gegen die verschuldeten Staaten Lateinamerikas festzulegen. Das Ergebnis war ein informeller Konsens, der bis heute die "Gesetzestafel" darstellt, wie der Sozialwissenschaftler Egon Matzner zutreffend feststellte.

Dieser Konsens hat gerade für Schuldnerländer erhebliche Folgen, denn die Vergabe von Krediten ist an rigorose Konditionen gebunden, die im einzelnen lauten: 1. Stabilisierung der Währung durch strikte Verknappung des Geldangebotes und Abbau der Defizite von Staatshaushalt und Leistungsbilanz; 2. Deregulierung aller Marktbeschränkungen, insbesondere aller Preise sowie Subventionsabbau; und 3. rasche Privatisierung der Unternehmen sowie der Güter und Leistungen produzierenden Einrichtungen und Behörden.

Dieses Programm wurde zuerst in den USA und Großbritannien unter Thatcher und Reagan eingeführt und dann mutatis mutandis auch von der EU und den OECD-Staaten. Brechstangen dieses Siegeszuges waren dabei im nicht unerheblichen Maße die übernationalen Finanzinstitutionen wie IWF oder Weltbank, die mehr oder weniger unter Kuratel der USA stehen. Festgehalten werden kann also, daß die Globalisierung keinesfalls ein "unpersönlicher Prozeß" ist, der sich der elektronischen Revolution oder der weltweiten Zurückdrängung des Staatseinflusses verdankt, sondern eine von bestimmten Interessenvertretern bewußt initiierte und beförderte Entwicklung. Diese Entwicklung ist auf den Begriff einer "Monopolaren Weltordnung" (Matzner) gebracht worden, weil im wesentlichen die Interessen der USA die Rahmenbedingungen der Internationalisierung der Märkte bestimmen.

Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß der Washington-Konsens für die OECD-Staaten eher positiv gewirkt hat. Für den Rest der Welt sieht die Situation freilich anders aus. Nicht ein Mehr an Wohlstand ist hier zu registrieren, sondern die fortschreitende Verarmung immer größerer Teile der Bevölkerung. Notwendig ist deshalb mehr denn je eine Revision der "Spielregeln" der Globalisierung, und deren einseitige Definition durch die USA.


 
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