© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Hubert Markl
Noahs Navigator
von Jens Saxer

Als im vorigen Sommer das Harnack-Haus in Berlin-Dahlem wiedereröffnet wurde, war es ein Vergnügen, ihm zuzusehen. Dem agilen Hubert Markl, dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der es spielerisch verstand, seine illustre Gästeschar mit Freude und Optimismus anzustecken, und mit süddeutscher Konzilianz die eingefleischte Wissensschaftsskepsis des Auditoriums zu überwinden, das sich eingefunden hatte, um einen Forscher zu ehren, der sich ausgerechnet auf dem politisch umkämpften Terrain der Genpatentierung Verdienste erworben hatte.

Für die Vermittlung eines positiven Wissenschaftsbildes, allen Tributen an die "Ambivalenzen des Fortschritts" zum Trotz, hätten die auf 79 Institute und Laboratorien verteilten 11.000 Mitarbeiter der MPG 1996 keinen begabteren Kommunikator zu ihrem Präsidenten wählen können als den damals 58jährigen Verhaltensbiologen. Der vielleicht schon deshalb auf sein im Rampenlicht der Öffentlichkeit auszuübendes Amt so gut vorbereitet war, weil er sich lange mit dem "Kommunikationsverhalten sozialer Insekten" beschäftigt hat, dem Thema seiner Habilitationsschrift von 1967.

In den MPG-Gremien dürfte man 1996 gewußt haben, daß ein Mann von Markls Qualitäten benötigt würde, um der sich anbahnenden Schlacht um Chancen und Risiken der Genforschung zu bestehen. Was sich hier seit der Entschlüsselung des Humangenoms und der Erfolge der Stammzellenforschung abspielt, stellt ältere Konflikte zwischen Wissenschaft und Moral weit in den Schatten. Da solche außergewöhnlichen Lagen auch außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, hat Markl frühzeitig versucht, sich als "verantwortungsbewußter" Wissenschaftler zu profilieren. Freilich auf Kosten seiner Vorgänger, der Erbbiologen und Mediziner des MPG-Vorläufers, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, denen eine von Markl 1997 eingesetzte Historikerkommission soeben bescheinigte, dem NS-"Staatsterror" gedient und "Wissenschaft ohne Moral" praktiziert zu haben.

Nach einer pathetischen Mea-culpa-Rede, mit der sich Markl bei Opfern der NS-Menschenversuche entschuldigte, glaubt er jetzt die moralische Gefährdung des Forschers im Orkus der Geschichte entsorgt zu haben und zu neuen biopolitischen Ufern aufbrechen zu können. Welches Selbstverständnis Markl dabei prägt, belegt ein Topos seiner vielen Reden: Ohne Wissenschaft werde es kein "globales Überleben" geben. Wie sein Lehrer Konrad Lorenz, legitimiert also auch Markl Wissenschaft als Alternative zur Apokalypse. Einfühlsame Editoren illustrierte daher Vorträge Markls mit Hans Baldung Griens Gemälde "Die Sintflut" von 1516, das von Noahs Arche beherrscht wird. Man mag darüber streiten, ob wir heute nicht schon auf seiner Arche unterwegs sind. Hubert Markl jedenfalls, mit seinem ungebrochenen Vertrauen in die Wissenschaft, böte sich als Noahs Navigator an.


 
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