© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Die Revolution frißt ihre Kinder
Extremismus: Die radikale Linke bekämpft "Rechtsextremismus" jetzt schon in den eigenen Reihen
Claus M. Wolfschlag

Immer öfter bekämpfen sich An hänger der linksradikalen Szene un tereinander mit gegenseitigen Vorwürfen eines angeblichen "Rassismus" oder "Rechtsextremismus". Der "faschistische" Feind wird demnach selbst im eigenen politischen Spektrum wahrgenommen.

Die "Autonomen"-Zeitschrift Interim berichtete jüngst von Problemen zwischen Gästen und den neuen Betreibern einer linken Szene-Kneipe im Berliner Mehringhof, die mit verbalen Angriffen, mit "sexistischen und rassistischen Sprüchen" ausgetragen worden seien. Dabei sei den Betreibern, einem afrobrasilianischen Kollektiv, von Gästen vorgeworfen worden, sie hätten "uns die Kneipe weggenommen" und sie sollten "dahin gehen, wo sie herkommen". Die Zeitschrift Interim schlug sich deshalb auf die Seite der Betreiber und wertete die Angriffe als überholtes "Besitzstandsdenken", das in der "Szene" grassiere: "Das ist unterschwelliger und offener Rassismus. Wir fordern alle BesucherInnen des Muvuca auf, (...) das Maul aufzumachen, wenn sie ZeugInnen von rassistischen Sprüchen werden. Kein Platz für Rassisten und Sexisten!!!"

In der selben Interim-Ausgabe erklärten Vertreter "autonomer Gruppen", sie hätten Anfang April sämtliche Ausgaben der linksgerichteten Zeitschrift Bahamas aus den Räumlichkeiten des linken Berliner Buchladens "Schwarze Risse" gestohlen. Dadurch hätten sie nicht dem Buchladen finanziell schaden wollen, sondern nur "eine Diskussion über den Umgang mit diesem biologistisch-sexistischen und rassistischen Machwerk" anzuregen versucht. Schließlich war in der Zeitschrift Bahamas unter anderem behauptet worden, daß das "Patriarchat" ein "Auslaufmodell" darstelle, das nur noch in Migranten-Zusammenhängen zu finden sei.

Die "Autonomen" rechtfertigten ihr Vorgehen mit Verweisen auf den "antifaschistischen" Kampf: "Wer/Welche jetzt Zensur rufen will, sollte sich mal mit der JUNGEN FREIHEIT oder der Deutschen Stimme in Verbindung setzen, um abzuklären, in welchem Rahmen auch diese Zeitungen im Namen des freien Diskurses in unseren Buchläden zu erhalten sein sollten."

Verfolgungsängste und Wahnvorstellungen

Ebenfalls nicht verschont wurde in letzter Zeit wieder einmal das ehemalige FDJ-Organ Junge Welt. Nach einem dort erschienen Artikel wider das US-Embargo gegenüber dem Irak meldete sich eine anonyme "Gruppe von Antifaschisten und Antiimperialisten aus dem Irak und Kurdistan" zu Wort und unterzog die Tageszeitung harscher Kritik: "Die Junge Welt hat sich hier für faschistische Propaganda mißbrauchen lassen. Ihr Antiamerikanismus macht die Junge Welt blind für die Millionen von Opfern des irakischen Faschismus." Somit müsse die Junge Welt fortan damit rechnen, daß der Kampf der Gruppe nicht nur gegen die DAG, gegen "Fascho-Organisationen" oder Giftgas-Firmen laufen werde, sondern auch gegen die linke Tageszeitung selbst.

Der Kampf gegen den "Faschismus" innerhalb der linken Szene ist eine Konsequenz aus den dort grassierenden Verfolgungsängsten und Wahnvorstellungen. Er hat demnach seine Vorgeschichte in zahlreichen Beispielen der Vergangenheit. So wurde bereits 1991 der aus der "Marxistisch Reichistischen Initiative", einer linksgerichteten Kleingruppe, entstandene "Bund gegen Anpassung" im Antifaschistischen Info-Blatt als "gefährliche, faschistoide Psychosekte" angegriffen.

1997 entspann sich ein Streit unter den verschiedenen Bewohnern des Berliner Hauses Adalbertstraße 6. In dem Gebäude lebten mehrheitlich deutsche Vertreter der linken Szene, die an einige ehemalige Mitglieder der türkischstämmigen Gruppe "Antifasist Genclik" einen Laden untervermietet hatten. Die deutschen Hausbewohner forderten nach negativen Vorkommnissen den Auszug der Ausländer, da diese auch nach mehreren Gesprächen wiederholt keine Miete und keine Umlagekosten gezahlt hatten. Die "Antifasist Genclik"-Leute warfen den "HausbewohnerInnen" daraufhin vor, daß sie sich als "Bürger deutschen Rechts" aufspielten, die, beflügelt durch einen vorangegangenen Brandanschlag in Lübeck, in die "deutsche Trick-Kiste" greifen würden. Sie gaben dazu die Parole aus: "Wenn Rassisten dich angreifen, dann sorge dafür, daß sie es nie wieder tun". Die "HausbewohnerInnen" erklärten dagegen verärgert in einer Stellungnahme: "Wir wurden beschimpft als Teutonen, Rassisten, Faschisten, Spitzel und was ihnen sonst noch einfiel. Und das, obwohl die Ladenleute uns nicht kennen, nichts über unseren Alltag wissen. (...) Es zeugt auch von einer in unseren Augen gefährlichen Ignoranz und zutiefst unpolitischen Haltung, daß alle diejenigen, die nicht ihrer Meinung sind, eben Scheiß Deutsche und Rassisten sind. So einfach ist das. Für sie – für uns nicht."

Antisemitismus-Vorwurf gegenüber der "Jungen Welt"

Ebenfalls 1997 eskalierte ein Streit in der Redaktion der PDS-nahen Tageszeitung Junge Welt. Vertreter des radikalen linken Flügels, darunter "Antideutsche" und "Autonome", trennten sich von dem Blatt und gründeten die Wochenzeitung Jungle World. Dabei warfen sie der Jungen Welt vor, daß diese "immer mehr volkstümelnd" geworden wäre sowie "latenten Antisemitismus" verbreite. Im selben Jahr kam es bezüglich des "Faschismus"-Vorwurfs zu massiven Auseinandersetzungen zwischen "Autonomen" und Veganer-Gruppen, also radikalen Fleischverächtern, die selber teilweise aus dem "autonomen" Umfeld stammten. Während die Veganer den Verzehr und Gebrauch von Tierprodukten in einen "faschistischen Kontext" setzten und "Tierquälerei mit NS-Massenmord gleichgesetzt" hätten, warfen andere Vertreter der radikalen Linken diesen wiederum "faschistoides Gedankengut" und "Mystifikation der Erde" vor.

Dieses Phänomen des "antifaschistischen" Kampfes innerhalb des Spektrums der radikalen Linken hat verschiedene Ursachen. Die persönliche Konzentration auf bestimmte Sachverhalte oder Erklärungsmuster des Lebens bestimmt auch die Wahrnehmung der Wirklichkeit. So wie die Feministin in jedem Bleistift ein Phallussymbol wahrnehmen kann, so wie der rechtsgerichtete Verschwörungstheoretiker im "C&A"-Emblem bereits den Judenstern auszumachen versteht, so finden auf "Antifaschismus" geeichte Polit-Aktivisten in Jedem und Allem "faschistoide" Tendenzen.

Die Effektivität des "Rechtsextremismus"-Vorwurfs, auf den in unserer neurotisierten Gesellschaft grundsätzlich Pawlowsche Reflexe der Abscheu und sozialen Ächtung folgen, ist dabei bestens bekannt und wird dazu genutzt, jeden Andersdenkenden, selbst in den eigenen Reihen, zu diffamieren und mundtot zu machen, um die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können. In einem politischen Milieu wie dem der linken Szene, das von Ausgrenzung, Beschuldigungen, rechthaberischer Diskursverweigerung und emotionalisierter Selbstjustiz geprägt ist, war es nur eine Frage der Zeit, bis die "Revolution" anfangen mußte, ihre eigenen Kinder zu fressen.


 
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