© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Ein bayerischer Leuchtturm
Sachsen: Mit BMW erhält Leipzig wieder ein industrielles Rückgrat / 250 Bewerber für Produktionsstandort
Paul Leonhard

Mitteldeutschland wird wieder zum Land der Autobauer: Als erstes setzten kurz nach der Wiedervereinigung Volkswagen mit seinen Werken in Chemnitz und Zwickau-Mosel und Opel in Eisenach Zeichen. Dann entschied sich VW noch einmal für Sachsen (statt für) Tschechien und investierte eine Milliarde Mark in die zur Zeit in Dresden kurz vor der Fertigstellung stehende "gläserne Manufaktur". Hier sollen künftig Luxuslimousinen vom Typ D1 gefertigt werden und 2.000 Arbeitsplätze entstehen.

In Thüringen rechnet man fest damit, daß Daimler-Chrysler und Mitsubishi hier ihr neues Benzinmotorenwerk errichten und die Porsche AG hat sich bereits lange vor den Bayern für Leipzig entschieden. Die sächsische Handelsstadt hat lange warten müssen, bis sich für sie eine "richtiger" Investor fand. Während die Landeshauptstadt Dresden als zweites Standbein neben den Ministerien und nachgeordneten Behörden mit Erfolg auf die Ansiedlung von Chip-Hersteller wie AMD, ZMD und Siemens setzte, wollte der einstige Leuchtturm Leipzig lange Zeit nicht die richtigen Signale senden. Zwar kam Quelle und in die dahin dümpelnde Messe wurden Millionen gesteckt. Auch der Hauptbahnhof wurde prächtig saniert und zu einem "Einkaufstempel" ausgebaut, aber produzierendes Gewerbe machte einen Riesenbogen um die Handelsstadt, in der zu DDR-Zeiten Zehntausende in Maschinenbaubetrieben wie den Kirow-Werken arbeiteten. Kein Wunder, daß sich bereits am Tag nach der BMW-Entscheidung für Leipzig 2.000 Menschen um eine der neuen Stellen bewarben. BMW-Personalvorstand Ernst Baumann wird es freuen.

Mit BMW erhalte Leipzig wieder ein "industrielles Rückgrat", kommentierte Wirtschaftsdezernent Detlef Schubert die Standortentscheidung. Das neue Werk werde einen Kaufkraftzuwachs von vier bis sechs Prozent bringen. Beim Einkommensteueraufkommen sei durch die Werksbeschäftigten ein Plus von etwa 40 Millionen Mark zu erwarten.

Insgesamt wollen die Bayerischen Motorenwerke an der Pleiße 5.500 direkte und rund 4.500 indirekte Arbeitsplätze schaffen. Ab 2005 sollen aus dem neuen Werk pro Tag 650 Fahrzeuge der 3er-Reihe vom Band rollen. Nach Angaben von BMW-Chef Joachim Milberg sollen reichlich zwei Milliarden Mark investiert werden. Bauen wird BMW am nordöstlichen Stadtrand auf einem 600 Hektar großen Grundstück. Bei der Suche nach dieser Immobilie hatte die Stadtverwaltung ein glückliches Händchen. Ursprünglich hatte man den Bayern eine Fläche im Leipziger Norden am Güterverkehrszentrum und eine im Südraum angeboten. Beide wurden aber abgelehnt. Als sich die BMW-Manager aber mit einem Grundstück im Nordosten anzufreunden schienen, kaufte die clevere Stadt Grundstück für Grundstück auf. Der schwierigste Brocken dabei war offenbar die Kirchgemeinde Plaußig. Denn die Christen forderten eine öffentliche Debatte über die absehbaren Veränderungen in der bislang dörflich geprägten Region. Doch letztlich stimmten sie einem Flächentausch zu. Am 1. April 2002 soll das künftige BMW-Werks-Gelände erschlossen übergeben werden.

Ausschlaggebend waren neben dem großen Engagement der Leipziger Stadtväter für das Werk und ihrem schnellen Reagieren auf alle BMW-Anfragen wohl die Lage des angebotenen Grundstückes direkt an der Autobahn 4 in unmittelbarer Nachbarschaft des Flughafens sowie die günstige geostrategische Lage mitten in Europa. Weitere Pluspunkte sind das enorme Reservoir gut ausgebildeter Fachkräfte der Metallbranche, im Vergleich mit Westdeutschland niedrigere Löhne und die Bereitschaft der Gewerkschaften, flexiblen Arbeitszeiten zuzustimmen. Außerdem gelten die Fördermöglichkeiten in den neuen Ländern. BMW kann mit einem Steuerzahleranteil von bis zu 35 Prozent rechnen. Bei einer Gesamtinvestition von einer Milliarde Mark sei eine Förderrate von 28 Prozent garantiert, betonte Milberg.

Der Autobahnbau in der Region wird jetzt beschleunigt. Bereits bis Ende 2004 soll die Südumfahrung Leipzigs durchgehend fertig ausgebaut sein. Zwei Jahre eher, als bisher geplant. Das Projekt sei von herausragender verkehrspolitischer und infrastruktureller Bedeutung, sagte Staatsminister Rolf Schwanitz (SPD). Bereits kurz vor dem 18. Juli hatte die Bundesregierung in einem Schreiben an den BMW-Vorstand mitgeteilt, ein Standort in den neuen Ländern würde sich "sowohl aus unternehmerischen Gründen als auch vor dem Hintergrund gesamtwirtschaftlichen Erwägungen eine hervorragende Wahl erweisen". Gleichzeitig bot Berlin an, "im Falle einer Entscheidung von BMW für einen der beiden Standorte, den ohnehin geplanten neu- beziehungsweise Ausbau der Straßeninfrastruktur im Bereich Autobahnen bis zum Jahr 2005 sicherzustellen". Für den Raum Leipzig versprach Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier die Fertigstellung der Südumfahrung bis 2004 sowie den Anschluss der A38 Göttingen-Halle an die A7 in Niedersachsen. Der sechsstreifige Ausbau des Thüringer Teils der A9, südlich des Hermsdorfer Kreuzes, werde voraussichtlich 2006 oder 2007 abgeschlossen sein.

Im Falle einer Entscheidung für das ebenfalls ins Rennen gegangene Schwerin hätte die Bundesregierung die Fertigstellung der Ostseeautobahn A20 Lübeck-Stettin sowie eine Autobahnverbindung zwischen der A20 und der A24 Hamburg-Berlin bis 2005 garantiert. BMW in Leipzig ist für Kanzler Gerhard Schröder ein "klares Zukunftssignal für Ostdeutschland". Sachsen und Leipzig hätten sich auf "internationalem Parkett als wettbewerbsfähig" erwiesen, freute sich Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD). Schließlich hat sich seine Stadt gegen Augsburg, das böhmische Kolín oder das ungarische Tatabánya durchgesetzt.

Aber es gibt auch nachdenkliche Stimmen: Die Entscheidung sei gut für Leipzig, aber es hätte auch andere Flächen gegeben, gibt der 57jährige Bernd Hoffmann, Leiter der Plaußiger Naturschutzstation, in der Leipziger Volkszeitung zu bedenken. Wieder werde ein kleines Stück der Heimatlandschaft unwiderruflich preisgegeben. Und der Ortschef von Seehausen, Randolf Klemm, freut sich zwar über die Arbeitsplätze, sorgt sich aber um sein Hobby, denn das Werk liegt mitten in seinem Jagdgebiet: "Ich hoffe, daß ich als Freizeit-Politiker und als Jäger Möglichkeiten erhalte, meine Kenntnisse in den Bebauungsplan mit einbringen zu können. Befürchtungen gibt es auch im Mittelstand. Hier gibt es Ängste, qualifiziertes Personal kleinerer Werkstätten und Industriebetriebe könnte zu BMW wechseln. Während der Hauptgeschäftsführer der Leipziger Industrie- und Handelskammer (IHK), Lothar Meier, eine Fluktuation bei bestehenden Beschäftigungsverhältnissen nicht ausschließen will, sind für Hans-Ulrich Falk, Pressesprecher der IHK Magdeburg. Spekulationen über eine mögliche Abwanderung von Kfz-Experten "Kaffeesatzleserei".

Plan des BMW-Werkes in Leipzig: BMW-Vorstand Reithofer freut sich über flexible Samstagsarbeit und Maschinen, die bis zu 140 Stunden in der Woche laufen, OB Tiefensee über sein "wettbewerbsfähiges Leipzig"


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen