© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/01 27. Juli / 03. August 2001

 
Rivalen im Kampf um die globale Ordnung
Zwei Neuerscheinungen über die deutsch-amerikanischen Beziehungen
Richard Schneider

Nur Kriminalromane und Liebes geschichten sollte man nicht mit der letzten Seite beginnen. Bei wissenschaftlichen Werken, also dicken Büchern mit vielen Anmerkungen, muß man dagegen genau dort einsetzen, wo im Unterhaltungsgenre Spaß und Spannung unweigerlich enden.

Wer dieses Rezept befolgt, spart gewöhnlich viel Zeit. Denn Autoren wissenschaftlicher Arbeiten schließen ihre Epen regelmäßig mit einprägsamen Zusammenfassungen. Daran hält sich auch die als Buchfassung erschienene Dresdner Dissertation von Herbert Sirois über die deutsch-amerikanischen Beziehungen zwischen 1933 und 1941, also den Jahren zwischen Adolf Hitlers Machtergreifung und dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg. Doch die Schlußbetrachtung, mit der Sirois‘ außenpolitische Analyse ausklingt, verschafft keinen Zeitgewinn. Denn des Autors Fazit fällt so verwirrend und widersprüchlich aus, daß Neugier zu vertiefter Lektüre zwingt.

Zunächst wird man beim Betreten dieses volkspädagogisch zernierten Geländes angenehm überrascht. Endet Sirois doch mit einer wohltuend nüchternen Feststellung: Zwar seien viele US-Amerikaner auch heute noch davon überzeugt, der Krieg zwischen den beiden Nationen sei eine Entscheidungsschlacht zwischen Demokratie und Diktatur , "Gut" und "Böse" gewesen und habe daher unausweichlich mit der Vernichtung des "Bösen" enden müssen, das, Hitlers Kriegserklärung sei dank, auch noch fabelhaft die ihm zugedachte Rolle des "Aggressors" gespielt habe. Doch "realistisch betrachtet", hätten Hitler und Roosevelt einfach nur "eine formal vergleichbare Politik globaler nationalegoistischer Machtinteressen verfochten". Nur habe man in Washington und Berlin eben sehr verschiedene Modelle für eine internationale Ordnung entworfen.

Diesen "realistischen" Ansatz hält Sirois leider nicht durch, weil nach und nach die Thesen von Andreas Hillgruber durchschimmern, vermittelt von Sirois‘ Doktorvater, Hillgrubers Schüler Reiner Pommerin. Der 1989 verstorbene Kölner Historiker hat bekanntlich nicht wenig Mühe darauf verwendet, Hitler einen Stufenplan zur "Weltherrschaft" nachzuweisen. Und Sirois adaptiert Hillgrubers Konstruktion ohne Vorbehalt, so daß schon seine zentrale These Bedenken weckt, wonach es bei der transatlantischen Konfrontation für beide Kontrahenten um die Durchsetzung einer "globalen" Ordnung gegangen sei. Dabei ist lediglich gesichert, daß nur die USA unbestreitbar "globale" Ziele und One-World-Visionen verfolgten. Soweit man in Berlin überhaupt über "globale Ordnung" nachdachte, dann wohl im Sinne einer Präfenrenz für das Modell, das man heute die "multipolare Welt" nennt.

Sirois muß daher konzidieren, daß der "Internationalist" Roosevelt der "Verfechter eines offensiven Vorgehens zur langfristigen Absicherung eigener Interessen" gewesen sei. Wie er nach den wirtschaftshistorisch orientierten Forschungen von Hans-Jürgen Schröder und Detlef Junker zudem kaum mehr bestreiten mag, war die "Absicherung der sozioökonomischen Grundlagen" der USA ausschließlich durch die Erringung von "Weltherrschaft" zu gewährleisten, eine "globale Stellung", die nach Sirois‘ Urteil für die Strategen des Weißen Hauses "unumgänglich" war.

Diesen Einsichten halten Sirois aber nicht davon ab, den Gang seiner Untersuchung von der vertrauten Gut-Böse-Dichotomie diktieren zu lassen. Entsprechend steuert das Dritte Reich, einem mysteriösen "rassenideologischen Wahn" verfallen, die Weltmacht fest im irren Blick, auf den europäischen und 1941 schließlich auf den Weltkrieg zu. Wer sich von hinten nach vorne durchgelesen hat, bekommt bestätigt, daß solche Simplifizierungen weniger wissenschaftlichen, als politischen Motiven geschuldet sind. Immerhin weist Sirois in der Vorbemerkung darauf hin, daß er dem "German Marshall Fund of the United States" und dem vermutlich auch alles andere als anglophoben "Förderkreis Demokratie und innere Sicherheit e. V. Sachsen" Dank für die Realisierung seiner Untersuchung schulde. Dazu passt dann die gleich anschließende gereizte Anmerkung, zwei Darstellungen von Dirk Bavendamm über Roosevelts Kriegspolitik seien wegen ihrer "stark revisionistischen Grundtendenz" nicht in den Kreis der einschlägigen historischen Werke einzubeziehen, die sich um wissenschaftliche Ausgewogenheit bemühten.

Wer die politischen Zwänge ignoriert, denen Sirois bei der Verwertung seines Materials gehorcht, wenn er es beflissen in das Hillgruber-Korsett presst, kann aus der Arbeit noch erheblichen Gewinn ziehen. Die in US-Archiven angestochenen Quellen läßt Sirois so munter sprudeln, daß sie den Leser zu eigenen Schlußfolgerungen verleiten, die die Engführungen des Hillgruber-Enkels sprengen. Wie man bei der Präsentation der Funde überhaupt darüber staunen kann, wie sehr die Politik einer Weltmacht, die zweimal in diesem Jahrhundert tief und entscheidend den Lauf der deutschen Geschichte bestimmt hat, noch im Dunkel der Archive verborgen ist. Deutsche Zeithistoriker haben sich jedenfalls nicht besonders damit beeilt, die Hintergründe Washingtoner Außenpolitik zu erhellen, so daß man Sirois allein für die Wahl seines Themas dankbar sein muß. Oft genug und selbstverständlich ganz ungewollt, etwa in den Abschnitten über Roosevelts "Eindämmungspolitik" gegen die (von Washington überzeichnete) deutsche wirtschaftspolitische Penetration Lateinamerikas, dem Pressekrieg gegen das Reich oder der völkerrechtswidrigen "Neutralitäts"-Politik ab 1939, bestätigt Sirois überdies Bavendamms These, daß die Initiative in den deutsch-amerikanischen Beziehungen seit 1933 stets beim US-Präsidenten lag.

Die ideologischen Fesseln, die Sirois hindern, mehr auf seine Quellen zu hören, halten auch eine Gruppe von jungen Historikern gefangen, die sich unter der Herausgeberschaft von Michael Wala und Ursula Lehmkuhl mit "Europas Blick auf Amerika" beschäftigen und denen der "U.S. Information Service" den Druck ihrer Aufsatzsammlung mitfinanziert hat. Untersucht wird zwar nicht Europas, sondern vornehmlich, konzentriert auf das Verhältnis von Technik und Kultur, Deutschlands USA-Bild, aber dem Reiz des Themas tut das keinen Abbruch. Dabei entbehrt die Studie über die Rezeption amerikanischer Technologie und Kultur in der Weimarer Republik ("Amerikanisierung und Überfremdungsängste") des Kölner Anglisten Wala leider etwas der Originalität, da wir über die Ambivalenz deutscher Reaktionen, die zwischen Faszination durch die Technik und Aversion gegen die US-"Unkultur" schwanken, seit langem gut unterrichtet sind.

Informativer ist da schon der Beitrag der Tübinger Zeithistorikerin Gabriele Metzler, die das Verhältnis deutscher Physiker zu ihren amerikanischen Kollegen behandelt. Sie legt stringent dar, wie, begünstigt durch die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg, aber auch durch die erheblichen finanziellen Ressourcen privat geförderter Großforschung, US-Physiker die wissenschaftliche Vormachtstellung eroberten, die bis zum Anfang der zwanziger Jahre unangefochten von den Hochburgen der deutschen theoretischen Physik in Göttingen und Berlin, von Max Planck, Albert Einstein, Arnold Sommerfeld und Max Born behauptet wurde. Zehn Jahre später war diese Führungsposition verloren, Englisch hatte sich als lingua franca der internationalen Physik durchgesetzt und der von den US-Forschungszentren dankbar begrüßte Zustrom hochqualifizierter Emigranten konnte eine Entwicklung nur noch beschleunigen, die mit dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki im August 1945 dann einer "entsetzten Weltöffentlichkeit" demonstrierte, wo die neue wissenschaftliche Supermacht zu suchen war.

Wenn Metzler meint, vor 1933 hätten sich die deutschen Physiker ihren Abstieg selbst verschuldet, da sie in kultureller Überheblichkeit und "Selbstisolation" aus der verachteten Neuen Welt nichts lernen wollten, mutet dies recht bizarr an. Offenbar kennt sie das bald vierzig Jahre alte Standardwerk von Brigitte Schroeder-Gudehus nicht, das die vom Geist des Versailler Diktats inspirierte Ächtung der deutschen Wissenschaft und den Boykott gegen deutsche Forscher auf internationaler Ebene, den von Paris und Brüssel in der auswärtigen Kulturpolitik geführten Kleinkrieg, in allen widerwärtigen Details beschreibt.

Philipp Gassert, eine Zeit lang am Deutschen Historischen Institut in Washington tätig gewesen, arbeitet ein Kapitel aus seiner vor vier Jahren veröffentlichten Dissertation über "Amerika im Dritten Reich" etwas aus und widmet sich der nationalsozialistischen Kritik am amerikanischen Gesellschaftsmodell. Hitlers alternative, "reaktionäre Moderne", die zwischen 1940 und 1943 mit der deutschen Hegemonie über den der amerikanischen Weltwirtschaft entgegengesetzten europäischen Kontinentalblock politisch "in Ansätzen verwirklicht" worden sei, habe die Auseinandersetzung mit den "großen Technokratien" USA und UdSSR auch deshalb verloren, weil die deutsche Wirtschaft gerade nicht durchgreifend "amerikanisiert" worden sei. Bis 1942 habe sich die NS-Führung den Luxus einer der Kultur, den Handwerkstraditionen und der Individualfabrikation verpflichteten Produktionstechnik geleistet, bis man unter Albert Speer in der Rüstungswirtschaft auf die den Menschen radikal verdinglichenden, aber rationelleren US-Methoden umgeschwenkt sei. Der deutsche Versuch, eine technologisch fortgeschrittene "Volksgemeinschaft" als ein Gegenmodell zum Westen zu errichten, habe sich deshalb als "ideologische, wirtschaftliche und militärische Sackgasse" erwiesen.

 

Herbert Sirois: Zwischen Illusion und Krieg. Deutschland und die USA 1933-1941. F. Schöningh Verlag, Paderborn 2001, 317 Seiten, 78 Mark

Michael Wala/Ursula Lehmkuhl (Hg.), Technologie und Kultur. Europas Blick auf Amerika vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Böhlau Verlag, Köln-Weimar 2000, 254 Seiten, 58 Mark


 
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