© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/01 10. August 2001

 
Schröders Notnagel
Das Zuwanderungskonzept von Innenminister Schily birgt Licht und Schatten
Michael Wiesberg

Mit seinem Entwurf eines Zuwande rungsgesetzes will Innenminister Otto Schily das geltende Ausländergesetz durch ein "Aufenthaltsgesetz" ersetzen. Künftig soll es nur noch zwei Aufenthaltstitel geben: eine befristete Aufenthaltserlaubnis und eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Dies stellt ohne Zweifel einen Fortschritt gegenüber dem unübersehbar gewordenen Wildwuchs dar.

Weiter soll ein Bundesamt für Migration geschaffen werden. Dieses soll zwischen den deutschen Auslandsvertretungen die Informationen über die Arbeitsmigration koordinieren. Darüber hinaus soll dieses Bundesamt auch ein Integrationsprogramm für Ausländer entwickeln. Diesem Bundesamt soll schließlich ein weisungsunabhängiger Sachverständigenrat für Zuwanderung und Integration zugeordnet werden, der über die Aufnahme- und Integrationskapazitäten entscheiden soll. Skepsis ist angebracht, ob dieser Sachverständigenrat sich ausschließlich von ökonomischen Gesichtspunkten leiten lassen wird. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, daß in der Ausländerpolitik ideologische Motive meist den Ausschlag geben.

Ein Einfallstor für derartige Motive ist zum Beispiel die anvisierte Zuwanderung im Auswahlverfahren, mit dem im Bedarfsfall eine begrenzte Zahl besonders geeigneter Zuwanderer aufgenommen werden soll. Diese Zuwanderer müssen sich nicht auf einen freien Arbeitsplatz bewerben, sondern nur bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, die an dem kanadischen Vorbild eines Punktesystems orientiert werden sollen. Die "Zuwanderung nach dem Auswahlverfahren" soll als zweite Säule neben die "Zuwanderung nach dem Regelverfahren" treten, das sich an der Nachfrage am Arbeitsmarkt ausrichten soll.

Entscheidend für die Bewertung des Schilyschen Zuwanderungskonzeptes aber ist die Frage, wie dieser Entwurf die ungewollte Zuwanderung aufgrund "humanitärer Erwägungen" einzuengen gedenkt. Die Absicht, den Familiennachzug von Kindern bis zum zwölften Lebensjahr festzuschreiben, um die vielfach gängige Praxis, Kinder erst kurz vor Ablauf des derzeit geltenden Nachzugsalters nach Deutschland zu holen, zu unterbinden, greift zu kurz. Einen wirklichen Fortschritt würde die Festschreibung des Familiennachzuges von Kindern bis zum sechsten Lebensjahr bedeuten, wie es die Unionsparteien fordern. Nur dann besteht die Hoffnung, diese Kinder in Deutschland noch halbwegs integrieren zu können.

Skepsis ist auch gegenüber den Erfolgsaussichten staatlicher Integrationsangebote angebracht, die laut Referentenentwurf gesetzlich festgeschrieben werden sollen. Die Teilnahme an einem Integrationskurs soll bei einem Aufenthalt von weniger als sechs Jahren obligatorisch werden. Ein Verstoß gegen diese Pflicht soll bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis berücksichtigt werden. Es bleibt unklar, welche Konsequenzen gemeint sind. Sinnvoll wäre es, Pflichtverstöße mit dem Verlust der Aufenthaltserlaubnis zu verknüpfen.

Keine durchgreifenden Veränderungen bringt der Entwurf im Hinblick auf das Thema Asyl. Asylbewerbern soll nach drei Jahren ein Daueraufenthaltsrecht erteilt werden, wenn eine Überprüfung ergibt, daß sich die Verhältnisse im Heimatland nicht geändert haben und weiterhin eine Verfolgung droht. Dies betrifft in der Regel etwa fünf Prozent der Asylanten, die als politisch Verfolgte anerkannt werden. Wie der massive Asylmißbrauch in Zukunft effektiver eingedämmt werden könnte – darauf bleibt der Referentenentwurf die Antwort schuldig. Inwieweit die Vorschläge Schilys zur Beschleunigung des Asylverfahrens durchsetzbar sind, muß abgewartet werden. Selbst wenn diese aber realisiert werden sollten: Entscheidend wird sein, wie schnell abgelehnte Asylanten abgeschoben werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß die Findigkeit abgelehnter Asylbewerber, sich auch dank der Unterstützung deutscher "Freunde" der Abschiebung zu entziehen, keine Grenzen kennt.

Unter dem Strich kann also von einem Durchbruch "ökonomischer Vernunft" im Hinblick auf die Zuwanderungspolitik nur bedingt die Rede sein. Fraglich ist, ob überhaupt von einem Durchbruch der "Bedürfnisse des Arbeitsmarktes" die Rede sein kann. Entscheidend dürfte wohl vielmehr die allmähliche Anerkennung der Tatsache sein, daß die ungeregelte Zuwanderung nicht mehr finanzierbar ist. Dies zeigen seriöse Schätzungen, die die Kosten für Bürgerkriegsflüchtlinge, anerkannte und nichtanerkannte Asylbewerber, Armutsimmigranten, "de facto-Flüchtlinge" und andere mit den verschiedensten Aufenthaltstiteln im Jahre 2000 auf 17 bis 20 Milliarden Mark beziffern. Nicht plötzlich ausgebrochenene "ökonomische Vernunft" diktiert also den restriktiveren Kurs in der Ausländerpolitik, sondern die schlichte Tatsache, daß sich der Staat die finanziellen Konsequenzen seiner beispiellosen Zuwanderungspolitik nicht mehr länger leisten kann. Das soziale Sicherungssystem droht von innen her gesprengt zu werden.

Wohl auch deshalb steht in dem Referentenentwurf, daß Ausländer wegen "besonderer humanitärer Interessen" ein Aufenthaltsrecht erhalten könnten, wenn "Körperschaften wie die Kirchen die damit verbundenen Kosten" übernähmen. Sprich: Ausländer, die von Rechts wegen kein Aufenthaltsrecht mehr haben, sollen nicht mehr in den Genuß öffentlicher Leistungen kommen dürfen. Das immerhin kann als Fortschritt bezeichnet werden.


 
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