© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/01 10. August 2001 |
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Leichtes Spiel für den Kanzler Rot-Grün: Ein Jahr vor der Bundestagswahl fällt die Bilanz der Schröder-Regierung negativ aus/Die Union kann davon nicht profitieren Paul Rosen Wenn Kanzler Gerhard Schröder in der nächsten Woche zu seiner Sommerreise durch Deutschland aufbricht, wird er feststellen können, daß die Wirtschaft bereits in Herbststimmung ist. Die Wachstumsraten gehen kontinuierlich nach unten. Mit einem erwarteten Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts von rund noch einem Prozent liegt die Bundesrepublik auf einem der hintersten Plätze in der Europäischen Union. Die Ökosteuer, die trotz aller Warnungen der Experten im nächsten Jahr erneut erhöht werden wird, wirkt wie eine scharfe Bremse für die auf Transportleistungen angewiesene Wirtschaft. Dennoch wird Schröder wieder flotte Sprüche auf den Lippen haben und Optimismus verbreiten. Der "Tunix-Kanzler" (CSU-Landesgruppenchef Michael Glos) ist sicher, daß er nach der Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres weiterregieren wird. Ginge es nach der Leistungsbilanz seiner Regierung, müßte Schröder die Wahl haushoch verlieren. Gewiß, eine Reihe ideologischer Lieblingsprojekte hat die rot-grüne Koalition verwirklicht. So wurde, wenn auch nicht so radikal wie erst geplant, die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt. Mit dem zum 1. August in Kraft gesetzten Lebenspartnerschaftsgesetz, das Schwulen und Lesben das Zusammenleben unter eheähnlichen Bedingungen ermoglicht, hat die Regierung Schröder zwar die Grundsätze einer nachhaltigen demographischen Politik auf den Kopf gestellt, aber ein Wahlversprechen erfüllt. Im ökonomischen Bereich gleitet die Bilanz in ein Desaster ab. Die von Finanzminister Hans Eichel auf den Weg gebrachte Steuerreform, die von rot-grünen Propagandisten gerne mit dem Prädikat "Jahrhundertwerk" geschmückt wird, brachte der traditionellen SPD-Klientel, den Arbeitern und kleinen Angestellten, so gut wie nichts. Immerhin können sich Eltern über ein um 30 Mark höheres Kindergeld vom 1. Januar an freuen. Doch die Großindustrie, die Schröder als "Genosse der Bosse", immer gut im Blick hat, ist in Champagnerstimmung: Unternehmensbeteiligungen können jetzt steuerfrei hin und her geschoben werden. So können milliardenschwere Versicherungs- und Bankkonzerne ihre Imperien steuerfrei neu ordnen. Zusätzliche Arbeitsplätze kommen dabei nicht heraus. Die Großfirmen zahlen im Durchschnitt vielleicht noch 95 Prozent Steuern, während der Mittelstand, der die meisten Arbeitsplätze bietet und die meisten neuen Stellen schafft, 50 Prozent seiner Erträge an Vater Staat überweisen darf. Somit wird nichts mehr aus Schröders Wahlversprechen, die Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr unter die Marke von 3,5 Millionen zu drücken. Die Wirtschaft ist von einem Abwärtstrend erfaßt worden Der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller, die Kassandra der Bundesregierung, spricht bereits von einem drohenden "Nullwachstum" der deutschen Wirtschaft und empfiehlt mehr Selbstbeteiligung in der Sozialversicherung, was den traditionsverbundenen Genossen in der SPD-Bundestagsfraktion die Zornesröte ins Gesicht trieb. Müller, dem eine gewisse Kenntnis der Wirtschaft nicht abgesprochen werden kann, hat längst erkannt, wie schlecht die Lage ist. Auch Laien müssen nur auf die Entwicklung der Kurse deutscher Aktien schauen, um ahnen zu können, daß die Wirtschaft von einem Abwärtstrend erfaßt worden ist. Denn die Börse nimmt den Trend immer schon vorweg. Die letzte Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) bestätigt die Lageanalyse: Danach sehen die Unternehmer die Geschäftsentwicklung immer düsterer: Die Zahl der konjunkturellen Schwarzseher stieg seit Fruhjahr diesen Jahres von 18 auf 26 Prozent der befragten Unternehmer. Und statt 19 wollen jetzt 23 Prozent aller Unternehmen Personal abbauen. Schon stellte die Bild-Zeitung, früher dem Kanzler recht wohlgesonnen, die bange Frage, ob es denn noch Weihnachtsgeld gebe, wenn die konjunkturellen Aussichten so schlecht sind. Noch übler wird die Bilanz im Bereich der Sozialpolitik. Arbeitsminister Walter Riester hat eine Rentenreform durchgesetzt, die erstmals den Einstieg in eine private, kapitalgedeckte Altersvorsorge vorsieht Doch die Familien, die die freiwillige zusätzliche Altersvorsorge am nötigsten hätten, weil ihre Rentenanspruche relativ niedrig sind, können sich die Monatsbeiträge nicht leisten. Zu hoch ist die Summe der Steuern und Sozialabgaben gerade bei Mittel- und Geringverdienern, als daß sie noch bedeutende Beträge in Lebens- oder Rentenversicherungen zahlen könnten. Riesters Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Kürzung von Rentenansprüchen. Ihre Haltbarkeitsdauer wird von der Mehrheit der Experten nur auf wenige Jahre geschätzt. Das Problem der CDU ist die ungeklärte Führungsfrage Zudem hat die auf Tageserfolge versessene Schröder-Regierung das Prinzip der Nachhaltigkeit auch im Bereich Alterssicherung vergessen: Es gibt zu wenig Kinder, die die Renten der heutigen Arbeitnehmergeneration werden bezahlen können. Auch die Milliarden-Summen, die jetzt für die private Altersvorsorge zuruckgelegt werden, müssen produktiv eingesetzt werden, damit sie Zinsen und Zinseszinsen bringen. Doch die Menschen, die diese Kapitalsummen bewegen, sind im Deutschland des Jahres 2050 nicht mehr da. Der Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber, der negativen demographischen Entwicklung entgegenzusteuern, ging ins Leere. Mit ihrem Lebenspartnerschaftsgesetz setzt sich die Regierung zudem über alle biologischen Grundsätze hinweg, daß in erster Linie die Geburtenzahlen und nicht sexuelle Interessen zu fördern sind. Mit ihrem nächsten Projekt, der Erleichterung der Einwanderung nach Deutschland, begeht Rot-Grün einen weiteren Irrtum: Die neu ins Land kommenden Ausländer werden die Sozialsysteme nicht stabilisieren können. Der heutige Berater der Regierung in Sozialversicherungsfragen, Bert Rürup, hat schon vor mehreren Jahren darauf hingewiesen, daß nicht nur junge Zuwanderer ins Land kommen und daß Zuwanderer auch älter werden. Hinzu kommt die bisher schon sichtbare Entwicklung: Zwar hat sich die Zahl der Ausländer in der Bundesrepublik in den letzten Jahren drastisch erhöht, aber die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Auslander ist mit zwei Millionen stets konstant geblieben. Am schlimmsten wird die Bilanz im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung. Schon verlangt Eckart Fiedler, der Chef der größten Angestelltenkrankenkasse "Barmer", ein milliardenschweres Hilfsprogramm für diesen Zweig der Sozialversicherung, um drohende Beitragserhöhungen zu verhindern. Auch das Wahlversprechen der Koalition, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag unter 40 Prozent zu drücken, steht damit auf der Kippe. Doch die SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt wirkt hilflos und wäre eigentlich ein Geschenk für die Opposition. Das erklärt nämlich des Kanzlers Optimismus: Die Unionsparteien sind für ihn keine Gefahr. Auch über ein Jahr nach dem Amtsantritt von CDU-Chefin Angela Merkel wirkt die Partei noch wie gelähmt. In allen wichtigen Bereichen fehlen die Gegenspieler zu Schröders Kabinettsmannschaft, mit der eigentlich keine Meisterschaft zu gewinnen wäre. Aber selbst als Tierseuchen wie BSE und Maul- und Klauenseuche die Republik in hysterische Aufgeregtheit versetzten, war in der Union niemand da, der der Ankündigungsministerin Renate Künast hätte ins Wort fallen können. So tingelt die Grüne weiter durch die Lande und kann ungestört behaupten, mit einem Etat von wenigen hundert Millionen Mark die "Agrarwende" durchführen zu wollen. Das Problem der CDU ist ihre ungeklärte Führungsfrage: Angela Merkel verzettelt sich in internen Auseinandersetzungen mit dem Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz; der mächtige Bayernfürst Stoiber verhält sich abwartend, weil er unschlüssig ist, ob er die Kanzlerkandidatur übernehmen soll oder nicht. Somit kommt die Opposition nicht auf Touren, die von Glos geförderte schlagkräftige Truppe ist nicht in Sicht. Schröder hat daher leichtes Spiel: Selbst wenn seine SPD nicht stärkste Fraktion werden sollte, fehlt es der Union an geeigneten Bündnispartnern im Bundestag. Die Liberalen unter Guido Westerwelle rutschen wieder stärker an die Sozialdemokraten heran. Für die Grünen ist die SPD der natürliche Koalitionspartner. Und die PDS steht nach Magdeburger Modell, der Koalition in Schwerin und der Beihilfe zum Sturz des Berliner Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen nur zu gerne für eine Koalition oder Tolerierung von Rot-Grün auf Bundesebene zur Verfügung. Und wenn alle Stricke reißen würden, hätte Schröder auch nichts gegen eine große Koalition mit der Union. |